"Die Welt bestand aus Röhre, schwarz-weißen Bildern und den Öffentlich-Rechtlichen - oder anders gesagt: Die Welt war noch in Ordnung" - so beschrieb Karl-Heinz Hofsümmer von der ARD-Werbung augenzwinkernd die Anfänge der Quotenmessung. Inzwischen ist die Welt des Fernsehkonsums deutlich komplizierter geworden, worauf auch die AGF, die von ARD, ProSiebenSat.1, der Mediengruppe RTL Deutschland und dem ZDF als Gesellschaftern getragen wird und die die Quotenmessung durchführen lässt, 25 Jahre nach ihrer Gründung reagieren muss. Die nächste Herausforderung, vor der man nicht nur in Deutschland steht: Die Messung der Zuschauerzahlen von Video-Streams im Web.

Die tragen inzwischen zumindest bei einzelnen Sendungen nicht unerhebliche Anteile zur Gesamtnutzung von Inhalten bei, bislang fehlt es aber an einer mit dem TV vergleichbaren und für alle Anbieter einheitlichen Messung. Dem will die AGF nun Abhilfe schaffen und setzt dabei auf Nielsen und dessen bereits existierendes Online-Panel als Partner. Dass man nicht auf die Haushalte aus dem von der GfK betriebenen TV-Panel zurückgreift, hat mehrere Gründe - und als vielleicht gewichtigsten die Kosten. Über die Haushalte des TV-Panels hätte man nur rund 7.500 Online-Nutzer als Basis gehabt - angesichts der erheblichen Anzahl der Anbieter und Endgeräte in der Online-Welt deutlich zu wenige. Eine Verdopplung der Panel-Haushalte hätte allerdings enorme Kosten verursacht - ein reines Online-Panel ist deutlich günstiger zu betreiben, da dort nur Software installiert werden muss und nicht umfangreiche Hardware wie bei der TV-Messung.

Doch die zunächst vielleicht naheliegendste Frage: Wozu braucht man überhaupt ein solches Panel - wie häufig ein Stream aufgerufen wird, kann ja jeder Sender anhand seiner Server-Statistiken ersehen. Tatsächlich handelt es sich bei der neuen Streaming-Messung um ein Hybrid-Verfahren: Zum Einen kommen die Zahlen aus der "Vollerhebung", also der eben erwähnten tatsächlichen Abrufzahl der Streams. Neu ist allerdings, dass diese künftig unter einheitlichen Bedingungen geschieht - und dass alle, die an der Messung teilnehmen wollen, einen bestimmten Code in ihre Player einbauen müssen, mit dem es möglich ist, auch sekundengenau zu bestimmen, bis zu welchem Zeitpunkt ein Stream eigentlich genau abgespielt wurde und nicht nur, wie häufig er aufgerufen worden war.

Anhand dieser Erhebung hat man nun also schon vergleichbare Zahlen - allerdings fehlen die für die Werbeindustrie ganz wesentliche Daten, wie man sich aus der TV-Quotenmessung kennt: Man weiß nicht, wie sich das Publikum hier eigentlich zusammensetzt was Alter, Bildungsgrad etc. angeht. Daher gibt es parallel das oben angesprochene Panel, in der die Nutzung bei rund 25.000 Panelisten erfasst wird. Diese beiden Daten müssen dann letztlich zusammengebracht werden, sodass den TV-Quoten vergleichbare Daten ermittelt werden können.

Dabei gibt es noch einige Hürden zu überwinden. Daher wird die Ausweisung der Streaming-Daten auch Schritt für Schritt erfolgen. "Es gibt nicht den einen Tag, an dem alles fertig ist", erklärte Robert Schäffner von IP Deutschland auf dem AGF-Forum. Noch in diesem Jahr soll es für jeden der teilnehmenden Sender aber immerhin schonmal wöchentlich eine Top10 geben, die allein auf Basis der Vollerfassung erstellt wird - es stehen also noch keine genaueren Angaben zur Zusammensetzung des Publikums zur Verfügung. Schon im 1. Quartal 2014 ist dann aber - so zumindest der derzeitige Planungsstand - mit ersten Panel-Daten zu rechnen, die dann die demographischen Zusatzinformationen liefern. Erste Testdaten, die auf dem AGF-Forum präsentiert wurden, zeigen hier natürlich ein deutlich jüngeres Publikum als bei der klassischen TV-Nutzung. Bei "CSI: Vegas" kommen im klassischen Fernsehen beispielsweise gerade mal rund 12,5 Prozent der Zuschauer aus der Altersgruppe 14-29, beim Streaming über die Hälfte, wie einige erste Testdaten ergaben. Bei der "Shopping Queen" sind sogar fast zwei Drittel der Online-Zuschauer unter 30. Doch gleichzeitig gibt es auch Formate wie "Wer wird Millionär", die auch online ein überwiegend älteres Publikum ansprechen.

Trotzdem werden auch diese Daten nur ein unvollständiges Bild ergeben. So kann die AGF bislang nur die Nutzung auf Laptops bzw. PCs unter Windows und Mac OS X messen. Im Mobil-Bereich wird die Nutzung über den klassischen Browser erfasst - doch der enorm wichtige Bereich der Apps ist bislang außen vor. Hier stößt man noch auf besondere Herausforderungen und - besonders im Falle von Apple - geschlossene Systeme. Man arbeite aber an Lösungen und habe ein "immens großes Interesse", auch Apps so schnell wie möglich in die Messung mit einbeziehen zu können, beteuert die neue AGF-Vorsitzende Karin Hollerbach-Zenz. Ohnehin werden zunächst auch nur die Mediatheken bzw. Video-Angebot auf den eigenen Websites der Sender gemessen - stellt ein Sender eine Sendung beispielsweise auf YouTube bereit, dann funktioniert die Messung bereits nicht mehr.

Zum Start werden zudem auch nur wenige TV-Sender bei dieser Messung vertreten sein - von jedem AGF-Gesellschafter, also ARD, ZDF, RTL-Gruppe und ProSiebenSat.1 mindestens ein Sender. Hintergrund ist, dass wie oben beschrieben unter anderem die Player-Software angepasst werden muss und die Videos auch eigens "vertaggt" werden müssen, was zusätzlichen Aufwand bedeutet. Nach und nach sollen aber nicht nur immer mehr Sender dazu kommen, auch anderen Marktteilnehmern stehe man offen. So könnten sich etwa Verlage mit ihren Bewegtbild-Angeboten ebenso messen lassen wie eine Plattform wie YouTube - wobei freilich sehr fraglich ist, ob international tätige Unternehmen für jedes Land eigene Mess-Verfahren umsetzen wollen, das zudem nicht ganz billig ist. Noch rennt man der AGF daher offenbar auch nicht die Bude ein: Zwar würden sich beispielsweise manche Verlage nach dem Stand der Dinge erkundigen, konkrete Anfragen oder Verhandlungen gebe es aber noch nicht. Die erwartet man seitens der AGF aber ohnehin eigentlich erst, wenn die neue Messung erfolgreich eingeführt ist und sich bewährt hat.

Die Einzel-Ausweisung von Online-Nutzungsdaten ist aber natürlich nicht das Endziel - letztlich möchte die AGF dann das TV-Panel und das Online-Panel, die schon mit einheitlicher Methodik messen, zusammenbringen um dann quasi Gesamt-Zuschauerzahlen über die Medien hinweg ermitteln zu können. Das freilich wirft dann noch einmal ganz neue Fragen auf. Sinn ergibt dann eigentlich keine Ausweisung mehr nach dem linearen Sendeschema, sondern allein "produktbezogen" also sendungsbezogen. Denn ob ein Nutzer nun online die Wiederholung oder die Erstausstrahlung geschaut hat, lässt sich schließlich kaum unterscheiden. Erstmals sollen solche fusionierten Nutzungsdaten aus TV- und Online-Panel dann übrigens 2015 vorliegen.