Starke Acts: Eine Kunstform in überraschender Vielfalt

Die große Freude der Aufgeschlossenheit liegt doch darin, immer wieder eines Besseren belehrt zu werden; sich überraschen zu lassen. Das gelang der neuen RTL-Show, den „Puppenstars“. Wie viele verschiedene Formen des Puppenspiels kann es schon geben? Wer das im Vorfeld dachte, wird fasziniert gewesen sein ob der dargebotenen Vielfalt und herrlichen Absurdität manches Puppenspiels. Im Gegenzug zu anderen Castingshows bei RTL schaffen die „Puppenstars“ eine ernstgemeinte Bühne für eine Kunst, die Hand und Fuß hat (Wer eingeschaltet hat, versteht den Gag). Wie verrückt das klingt: Ausgerechnet RTL räumt der Kunst die große Bühne frei. Die Auftritte der ersten Sendung waren - von einer Tanznummer, die selbst Max Giermann mit „Da fehlt mir der Puppenbezug“ kommentierte - hervorragend inszenierte Momente der überraschenden Unterhaltung. An immer wieder sehenswerten zwei oder drei Minuten mangelte es nicht.

Aber warum nur muss alles eine Castingshow sein?

Bereits bei der Sat.1-Show „Superkids“ im vergangenen September fiel diese Einfallslosigkeit auf: Egal ob bei unglaublich talentierten Kinder oder faszinierendem Puppenspiel - wenn der eigentliche Wunsch hinter diesen Shows darin liegt, mit bewegenden und sehenswerten Auftritten das Publikum zu begeistern oder rühren, stellt sich die Frage, warum den Privatsendern dafür stets nur die Hülle einer Castingshow in den Sinn kommt. So wunderbar an den „Puppenstars“ war die Vielfalt des Puppenspiels. Die Magie lag in diesen Minuten der Performances auf der Bühne. Die Dramaturgie einer Castingshow bläht das unnötig auf und verlagert den Schwerpunkt der Sendung von der dargebotenen Kunst auf einen Wettbewerbscharakter, der gar nicht nötig wäre - und aus der außergewöhnlichen Idee eine zu gewöhnliche Show macht. Vielleicht aber ist das der nun einmal nötige Kompromiss?

Die Jury: Stimmig, schlagfertig und kompetent

Den Juroren der Sendung - Gaby Köster, Max Giermann und Martin Reinl - kann man das aber nicht zum Vorwurf machen. Sie erweisen sich sogar als wunderbares Trio, in dem die Aufgaben klar verteilt waren. Besonders schön: Gaby Köster hat nach ihrer schweren Zeit zu alter Schlagfertigkeit zurückgefunden. Mag mancher TV-Auftritt von ihr in den vergangenen Monaten noch schwierig gewesen sein, so war ihr trockener Humor bei den „Puppenstars“ nicht etwa „den Umständen entsprechend“ stark - sondern einfach stark. Max Giermann erwies sich neben seinen Gags als souveräner Moderator des Trios und mit Martin Reinl saß die Instanz des deutschen TV-Puppenspiels in der Jury. Er ist nicht ohne Grund für einen Grimme-Preis nominiert. Interessierte Nachfragen und Kompetenz im Thema wurden ergänzt durch den Schlagabtausch mit seinem Sitznachbarn - seiner Figur Kakerlak. Ach, und dann waren da noch Moderatorin Mirja Boes und ihre Puppen-Assistentin als kurzweilige Überleitung zwischen den Acts.

Zwei Stunden zur besten Sendezeit: Mut oder übermütig?

Man muss anerkennen, dass RTL hier etwas gewagt hat: Puppenspiel zur Primetime klingt  verrückt - aber genau das braucht das deutsche Fernsehen. Wer schon im Vorfeld den Kopf schüttelte über die Show, der erweist allen Forderungen nach neuen Ideen einen Bärendienst. Probieren geht über Kopfschütteln. Nach der ersten Sendung darf man aber fragen: Trägt das über mehr als eine Show? Es ist die schleichende Sorge, dass der Charme dieser Kunstform verloren gehen könnte in der überdimensionalen Verpackung dieser Show. Gleich zwei Stunden zur Primetime um 20.15 Uhr zu füllen, ist eine hohe Hürde für ein faszinierendes Handwerk. Man hätte es auch zunächst einmal um 23.15 Uhr anschieben lassen können vom Dschungelcamp. Aber der Samstagmorgen und die vorliegende Quote machen diese Gedanken zur Makulatur.

Ein fatales Stilmittel und seine gefährliche Langzeitwirkung

Trotz grundsätzlicher Freude über die „Puppenstars“ löst ein Detail große Bauchschmerzen aus: Die Produktionsfirma hinter der Show, Talpa Germany, hat schon bei ihrem Castingshow-Format „The Voice of Germany“ ein Stilmittel etabliert, das in höchstem Maße irritiert: Hart reingeschnittene Reaktionen des Publikums. Mal wird in Großaufnahme gelacht, mal gejubelt oder ungläubig geschaut. Das soll die Stimmung intensivieren aber wirkt immer dann völlig unglaubwürdig und albern, wenn von Standing Ovations in Großaufnahme in der nächsten Sekunde auf die Totale geschnitten wird - und alle brav auf ihren Plätzen sitzen. Doch die Kritik geht nicht in Richtung Continuity. Viel mehr schaufelt sich das deutsche Fernsehen mit so einer verfälschten Überinszenierung irgendwann selbst ein Grab: Weil einem daran gewöhnten Publikum jede normale Show ohne exzessive Nachbearbeitung komisch vorkommen wird. Das wäre bitter.