Von „Lügenpresse“ bis „Schweigekartell“: Die Kritik an den Medien ist derzeit schrill und laut wie selten zuvor und wurde zuletzt noch davon befeuert, dass die Ereignisse in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof erst mit mehreren Tagen Verspätung zum Thema in landesweiten Medien wurden. Auch die „Tagesschau“ hat erst am Montag, dem 4. Januar berichtet. In einem Interview mit dem „journalist“ hat Kai Gniffke, Erster Chefredakteur von ARD-aktuell, nun zu den Gründen Stellung genommen.



Man habe erst am 4. Januar berichtet, weil zuvor das Ausmaß nicht klar gewesen sei. „Inzwischen sind wir bei mehr als 750 Anzeigen, am Anfang waren es 30. 30 bestohlene Leute, die zur Ablenkung auch unsittlich angefasst worden sind. Auf der Faktenlage ist das noch kein ‚Tagesschau‘-Thema. Es gab gerade mal eine regionale dpa-Meldung. Und die dpa ist bestimmt nicht verdonnert worden, irgendwas nicht zu berichten.“ Man habe bei ARD-aktuell sehr kritisch Bilanz gezogen, auf Basis der Informationen, die man an den ersten Tagen des Jahres hatte, hätte aber jeder CvD gesagt, er würde wieder genauso handeln.

Auch den Vorwurf, es sei nicht berichtet worden, weil Ausländer beteiligt gewesen seien, will er keinesfalls stehen lassen. „Wir haben nichts unterdrückt! (…) Wir haben am Montag Ross und Reiter genannt.“ Gniffke fasst zusammen: Man habe nicht deswegen nicht berichtet, weil man das Thema für unwichtig gehalten hätte, sondern weil man schlicht nichts davon gewusst habe. In der ARD-aktuell-Redaktion sei man nicht nur entsetzt über die Verbrechen selbst, sondern empfinde auch Befremden darüber, dass „in Deutschland, im 21. Jahrhundert, ein Ereignis solchen Ausmaßes erst nach vier Tagen in seiner ganzen Dimension bekannt wird. Das kann doch in Zeiten von Social Media nicht sein? Kann es aber doch.“

Wie man diejenigen, die seit Monaten lautstark „Lügenpresse“ skandieren, zurückgewinnen will, weiß auch Kai Gniffke nicht. Es gebe eine Gruppe, bei der Argumentieren nichts helfe. „Manchmal hoffe ich, dass ist eine Mode, die irgendwann wieder abebbt. (…) Das heißt aber nicht, dass ich das auf die leichte Schulter nehme, wir kämpfen um jeden.“ Gniffke betont allerdings auch, dass der ARD in Umfragen noch immer die höchste Glaubwürdigkeit bescheinigt werde. Der Lügenpresse-Vorwurf sei nicht die „vorherrschende Meinung der Menschen in diesem Land“. Vor allem legt Gniffke wert darauf, dass die Vorwürfe die Arbeit der Redaktion nicht beeinflussen dürfe. „Wir dürfen jetzt nicht hyperventilieren und sagen, oh jetzt haben wir gestern etwas Kritisches über die russische Außenpolitik gesagt jetzt lass uns mal gucken, ob wir morgen ein Thema finden, wo wir vielleicht etwas Negatives über Saudi-Arabien sagen können.“

Das komplette Interview steht in Ausgabe 2/2016 des "journalist".

Korrekturhinweis: Zunächst stand in diesem Artikel, dass das ZDF erst am 5. Januar berichtet hat. Das stimmt nicht. Zwar wurde in der "heute"-Hauptausgabe am 4. Januar das Thema nicht aufgegriffen, wohl aber online, im "heute-journal" und bei "heute+". Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.