Die Briten sind auf dem internationalen Fernsehmarkt hinter den USA der zweitgrößte Exporteur von TV-Produktionen. Anders als die Vereinigten Staaten können sie ihr Fernsehprogramm allerdings nicht komplett aus Eigenproduktionen bestreiten, sondern sind ähnlich wie die meisten anderen Nationen darauf angewiesen, Programmstrecken mit Lizenzware zu füllen. Wenig überraschend stammen die meisten fiktionalen Serien-Importe aus US-amerikanischer Produktion. Durchaus verblüffend, gerade wenn man die Situation in Deutschland zum Vergleich heranzieht, ist jedoch der Stellenwert, den die US-Serien im britischen Fernsehen einnehmen.

Amerikanische Serien gibt es zwar viele. Sie sind jedoch fast durchweg auf den hinteren Rängen der Fernbedienung zu finden. Die beiden Free-TV-Schwergewichte BBC und ITV zeigen US-Serien nahezu ausschließlich auf ihren kleineren Beibooten. Die Krimiserie „In Plain Sight“ und der Klassiker „Mord ist ihr Hobby“ sind auf dem Hauptsender ITV 1 aktuell die beiden einzigen US-Serien im Programm, welche zudem nur in Randzeiten (am späten Abend bzw. am Nachmittag) zu finden sind. Man kann es fast als Faustregel bezeichnen: Je kleiner der Sender, desto eher setzt er auf Ware made in USA. Mit die meisten amerikanischen Serien gibt es – zumindest im Free-TV – auf Channel 5, dem jüngsten der terrestrischen Fernsehsender, der 2010 von der RTL Group an den Verleger Richard Desmond verkauft worden ist.

Die Rolle, welche US-Serien im britischen Fernsehprogramm spielen, korreliert dabei mit dem Zuspruch der Zuschauer. Das Publikum des Vereinten Königreichs bevorzugt Serien aus eigener Produktion. „Downton Abbey“ und „Sherlock“ kommen beide in der Spitze auf über zehn Millionen Zuschauer. Die jüngste Staffel des britischen „Wallander“ mit Kenneth Branagh in der Hauptrolle erreichte bei seiner Erstausstrahlung mitten im Sommer immerhin noch durchschnittlich 5,9 Millionen Zuschauer. Zum Vergleich: „CSI: Crime Scene Investigation“ und „NCIS“ passieren auf Channel 5 als einzige US-Serien im britischen Fernsehen die Zwei-Millionen-Marke. Aktuelle US-Serienhits wie „New Girl“ oder „Revenge“ müssen sich auf E4, dem Digitalableger von Channel 4, mit Werten von um die 800.000 Zuschauer zufrieden geben. Im Pay-TV hat die Pilotfolge des Fantasy-Epos „Game of Thrones“ im vergangenen Jahr mit 743.000 Zuschauern einen Kanal-Rekord für das britische Sky Atlantic aufgestellt.

Möglicherweise ist es gerade die geringere Folgenzahl britischer Serien und der daraus resultierende Seltenheitswert, durch die das Publikum eine höhere Wertschätzung für einheimische Produktionen gegenüber den zahllosen amerikanischen Serien hegt. Die Relationen im Publikumserfolg sind auf jeden Fall frappierend.

Ein vergleichsweise neues Phänomen im britischen Fernsehen ist die wachsende Popularität von Serien aus dem europäischen Ausland. Noch 2009 war auf der Webseite von The Guardian die Klage zu lesen gewesen, dass im britischen Fernsehen zu wenig nicht-englischsprachige Programme einen Platz finden. Das hat sich in den letzten drei Jahren gründlich geändert, was insbesondere dem Digitalsender BBC Four, einem der Vorbilder für Einsfestival, ZDFneo & Co., zu verdanken ist. BBC Four hat in den letzten Jahren unter anderem das schwedische Original von „Wallander“, die dänischen Serien „Forbrydelsen“ („The Killing“, dt. „Kommissarin Lund“), „Borgen“ (dt. „Gefährliche Seilschaften“) und „Bron/Broen“ („The Bridge“, dt. „Die Brücke – Transit in den Tod“) sowie das französische Polizeidrama „Engrenages“ („Spiral“) auf die britischen Bildschirme geholt.

Und das mit wachsendem Erfolg. Die erste Folge von „Kommissarin Lund“ wollten nur 393.000 Zuschauer sehen. Beim Auftakt der zweiten Staffel waren dagegen schon 815.000 Zuschauer an den Apparaten. Und die Premiere von „The Bridge“ kletterte sogar über eine Million. BBC Four kommt mit den ausländischen Serien auf ein Vielfaches der Einschaltquoten, welche der Sender zuvor im Durchschnitt auf den entsprechenden Programmplätzen zu verzeichnen hatte. Im Zuge der Umstrukturierungsmaßnahmen, welche durch das Einfrieren der Rundfunkgebühren erforderlich geworden sind, hat die BBC inzwischen sogar beschlossen, von fiktionalen Eigenproduktionen auf BBC Four künftig gänzlich abzusehen – und stattdessen ganz auf qualitativ hochwertige Serien-Einkäufe zu setzen.