Das US-Fernsehen demonstriert am Sonntag wieder das, was sich das deutsche Fernsehen nicht traut: Der wichtigste Abend der TV-Branche geht live über den Sender - und das Coast-to-Coast. Während man also in New York zur besten Sendezeit um 20 Uhr die Verleihung der 64th Primetime Emmy Awards verfolgen kann, muss die Westküste schon um 17 Uhr einschalten. Dabei sein ist alles - dieses Motto haben die Academy of Television Arts & Sciences und der in diesem Jahr ausrichtende Sender ABC ausgegeben. Nie gab es online so viel Backstage-Berichterstattung, Live-Blogs und von Usern steuerbare Videocams. Eine so intensive Einbindung von Web und Social Media geht nur, wenn man live über den Sender geht. Und das will geprobt werden.



Die größte Herausforderung ist dabei nicht die Show im Nokia Theatre - sondern die davor. Natürlich geht es - nach deutscher Zeit in der Nacht zu Montag ab 2 Uhr (live bei TNT Serie) in erster Linie um die Leistungen und Preisträger. Also um das was, im Theater passiert. Aber wenn die Show drinnen beginnt, dann ist bei US-Preisverleihungen die erste Show schon vorbei: Die auf dem roten Teppich. Und während die Bühne des Theaters in Downtown Los Angeles schon länger für Proben zur Verfügung steht, so ist der Platz vor dem Theater erst in den vergangenen Tagen in den nach den Oscars zweitgrößten roten Teppich der US-Awards verwandelt worden. Keine 24 Stunden bevor die Stars eintreffen, konnten hier am Samstagmittag die Proben beginnen - auch wenn immer noch parallel aufgebaut und eingerichtet wird.

"Die Show drinnen ist weitgehend kontrollierbar, die hier draußen - sie kennen das ja", erzählt am Samstag einer der zahlreichen Kameramänner für die offizielle ABC-Pre-Show, der mit uns über den roten Teppich läuft. Was er meint: Nie läuft etwas so, wie man es plant. Erst recht nicht mit hunderten Stars, geladenen Gästen und Pressesprechern auf dem roten Teppich. Im vergangenen Jahr, damals war FOX Ausrichter des von den vier großen US-Networks im Wechsel übertragenen Fernsehpreises, gab es Stau und Chaos auf dem roten Teppich. Das soll, das muss diesmal anders sein. Und deswegen laufen die Stars am Samstag schon mal Probe: Eine schwarze Heidi Klum, ein weiblicher Bryan Cranston.

Es mutet kurios an und amüsiert. Vier Stunden lang liefen am Samstag gut ein dutzend Männer und Frauen mit wechselnden Namensschildern zur Kamera- und Ablaufprobe immer wieder von vorn über den roten Teppich. Noch einmal soll nicht passieren, was im vergangenen Jahr schief lief. Alles wird einmal durchgespielt. Die wichtigste Frage: Wie lange ist ein Star im Durchschnitt auf dem roten Teppich unterwegs? Das interessiert nicht nur ABC mit seiner offiziellen Pre-Show sondern auch den Sparten-Kabelsender E!, spezialisiert auf Red Carpet Coverage. Mit knapp 100 Mitarbeitern ist man vor Ort - und will im Gegenzug zur durch-choreografierten kompakten ABC-Pre-Show mit XXL-Berichterstattung punkten.

Live ist live. Deswegen bangt auch ABC, dass diesmal das Nokia Theatre zu Beginn der Live-Übertragung der 64th Primetime Emmy Awards mit Gastgeber Jimmy Kimmel nicht wie im vergangenen Jahr mit über 100 Seat Fillern, also Platzhaltern, gefüllt werden muss, weil sogar Nominierte es trotz rechtzeitiger Ankunft nicht pünktlich über den roten Teppich schaffen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es auch diesmal nicht nach Plan laufen. Aber dieses Risiko nimmt man ganz bewusst in Kauf. Die Creative Arts Emmys - die schon vergangenes Wochenende vergeben wurden - werden zwar aufgezeichnet und eine Woche später auf dem Spartensender ReelzChannel ausgestrahlt. Aber die Emmys - das muss live sein.

Keiner mit dem wir an diesem Samstag sprachen, würde sich eine Aufzeichnung und spätere Ausstrahlung wünschen. Dann würde auch ohnehin dieses Eco-System der Primetime Emmys auch nicht funktionieren. Mehr als hundert Medien berichten vom roten Teppich - weit mehr noch aus dem Media Center. Und die meist frei arbeitenden Fotografen bzw. Foto-Agenturen kommen noch hinzu. Dabei sind nicht nur die Emmy-Gewinner Schlagzeilen - die Emmy-Verleihung und der rote Teppich selbst sind es auch. Der US-Fernsehmarkt ist eben größer als der deutsche. Aber der wichtigste Fernsehpreis der Branche ist hier in den USA - auch durch das Fundament der Academy of Television Arts & Sciences - noch einmal ungleich viel größer als der Deutsche Fernsehpreis bei uns. Dazu kommt eine gehörige Portion Inszenierung - Hollywood ist eben nur ein paar Meilen entfernt.