Am 25. Juni 2017 lief die vorerst letzte Episode von "Veep" bei HBO über den Schirm. Selina Meyer, einst höchste Amtsträgerin in den USA, forcierte in der Politcomedy nicht nur den Bau einer Bibliothek in Form eines weiblichen Geschlechtsteils, sondern auch die Wiederaufnahme der Präsidentschaftskandidatur. Doch dann machte die Realität der Fiktion einen Strich durch die Rechnung. Julia Louis Dreyfus, die in ihrer Rolle den aktuellen amerikanischen Präsidenten hinsichtlich Absurdität und Irrsinns der Vorschläge manchmal über- und manchmal unterbietet, machte im September letzten Jahres ihre Brustkrebserkrankung öffentlich. Sie unterzog sich einer Operation mit anschließender Chemotherapie und konnte nach positiven Ergebnissen diesen Sommer wieder ans Set für die Produktion der siebten Staffel zurückkehren.

Das persönliche Schicksal der Schauspielerin und in der Konsequenz die Produktionspause des HBO-Erfolgs führt jedoch dazu, dass in diesem Jahr die Karten in den Comedy-Kategorien neu gemischt werden müssen. Man erinnert sich: "Veep" dominierte drei Jahre in Folge, nachdem zuvor fünf Jahre - ebenfalls in Folge - „Modern Family“ ausgezeichnet wurde, das wiederum den dreimaligen Serien-Sieger „30 Rock“ ablöste. Noch mehr Konstanz bewiesen die mehr als 22.000 Fernsehprofis und zur Abstimmung berechtigten Mitglieder der Television Academy bei der Auszeichnung der humorvollsten Frau des Jahres. Dort war das ehemalige "Seinfeld"-Sternchen Louis-Dreyfus seit 2012 durchgehend auf der Siegerstraße unterwegs. Sie wurde damit für ihre Rolle der politischen Würdenträgerin und F-Wort-Liebhaberin Selina Meyer insgesamt sechs Mal hintereinander ausgezeichnet, überholte Candice Bergen - die demnächst nach mehr als 20 Jahren bei CBS wieder als ikonische Fernsehjournalistin zu sehen ist - und ist seit letztem Jahr alleinige Rekordhalterin. Das bedeutet aber auch: Viel Bewegung gab’s in den letzten Jahre nicht.

 

Und in diesem Jahr, bei der 70. Verleihung der Primetime Emmys im Microsoft Theatre in Downtown Los Angeles? Fest steht schon jetzt: In diesem Jahr kommt es durch die Pause von "Veep" zum jungfräulichen Sieg einer der nominierten Serien. Und die sind 2018 zahlreich. Insgesamt acht Comedy-Serien kämpfen um die Pole-Position - und damit so viele wie noch nie zuvor. Im Vergleich zum Line-Up vom letzten Jahr gibt es vier Änderungen: zu den bereits 2017 nominierten Comedys "black-ish" (ABC), "Silicon Valley" (HBO), "Unbreakable Kimmy Schmidt" (Netflix) und "Atlanta" (FX) stoßen die Amazon-Serie "The Marvelous Mrs. Maisel", die von Netflix stammende Wrestling-Comedy "GLOW" (Staffel 2), die neue HBO-Produktion "Barry" von und mit Bill Hader und das alt bekannte, aus langem Schlaf wieder erwachte "Curb Your Enthusiasm" von und mit Larry David.

Zusätzlich zum Fakt, dass bei der diesjährigen Gala ein Neuling auf dem Treppchen stehen wird, könnte auch eine weitere Premiere gefeiert werden. Im Bereich der Comedy-Serien war bislang im Gegensatz zur besten Drama-Serie noch keine Produktion eines Streamingdienstes erfolgreich. In dieser Hinsicht könnte vor allem der Neueinsteiger "The Marvelous Mrs. Maisel" der "Gilmore Girls"-Macher Amy Sherman-Palladino und Daniel Palladino für einen neuen Eintrag in die Geschichtsbücher sorgen.

Im Gegensatz zum Sieger der Vorjahre mit einer eher durch unfreiwillige Komik glänzenden, von Fettnapf zu Fettnapf hüpfenden und selten einen Skandal auslassenden Protagonistin, porträtiert die auch für ihre Darstellung für einen Emmy nominierte Rachel Brosnahan die ihren Humor sehr bewusst und ab einem gewissen Zeitpunkt professionalisiert einsetzende Miriam "Midge" Maisel. Auch wenn sich dies durch die Trennung von ihrem Ehemann eher zufällig aus einer Zwangslage heraus ergibt, nimmt sie als Stand-Up-Naturtalent mit Sinn für Mikrobeobachtungen, ihr eigenes Scheitern und die passenden Pointe die von Männern dominierten Kleinkunstbühnen in New York ein.

Das Besondere dabei: die Zeit. In den 1950er Jahren, als Frau mit einer perfekten Fassade zu glänzen hatte und für die korrekte Garzeit des Bratens sowie die Kindererziehung sorgen musste. Ähnlich wie eine Peggy Olsen (Elisabeth Moss) in "Mad Men" profitiert die Protagonistin Maisel jedoch von Durchsetzungsvermögen gepaart mit Cleverness und Charme und emanzipiert sich dadurch ein Stück weit von Rollenbildern - während ihr Verflossener stereotyp seine eindimensionale Sekretärin befriedigt. In Sachen Explizität sind sich die Frauen Meyer und Maisel schon etwas näher: "Es ist als würde man versuchen ein Croissant als Dildo zu nutzen" - "Es ist in Downtown. Wenn du Unterwäsche trägst, bist du overdressed." Wer hat's gesagt? Doch nicht nur Worte fallen entsprechend, sondern auch Oberteile. Und so steht die fabelhafte Mrs. Maisel einmal selbstbewusst ohne Oberteil auf der Bühne und gibt dem Witz den Vorrang vor der perfekten Fassade.

Gut möglich, dass die Period Comedy am 17. September das Rennen machen wird. Auch Brosnahan selbst dürfte ebenfalls beste Chancen haben, als beste Schauspielerin in einer Comedy-Serie ausgezeichnet zu werden - gingen doch bereits beide Preise bei den Golden Globes in diese Richtung. Bei den Nebendarstellerinnen ist zudem noch Zazie Beetz für ihre Rolle als burschikose Managerin Susie Myerson der angehenden Komikerin nominiert. Die stärkste Konkurrenz in der Personen-Kategorie könnte von Issa Rae kommen, die mit ihrer Serie "Insecure" (2. Staffel) neben Schöpfung, Autorenschaft, Produktion auch für die Darstellung verantwortlich ist. Neben den beiden kämpfen noch die zum dritten Mal nominierte Diana-Ross-Tochter Tracee Ellis Ross ("black-ish"), sowie Lily Tomlin ("Grace And Frankie"), Allison Janney ("Mom") und Pamela Adlon ("Better Things").

Während die Amazon-Serie relativ leichtfüßig daher kommt, ist im Feld der Nominierten auch zum zweiten Mal das inhaltlich deutlich schwerer wiegende "Atlanta" mit von der Partie. Im letzten Jahr erntete die Dramedy einen Golden Globe in der Kategorie "Beste Serie - Komödie/Musical" - Donald Glover, wie Issa Rae, Bill Hader und Larry David Multitalente bei ihren eigenen Serien, gewann zudem im letzten Jahr die Kategorie des besten Hauptdarstellers in einer Comedy-Serie. Da es sich auch bei der zweiten Staffel um jeweils Halbstünder handelt, tritt die FX-Serie den Regeln gemäß wieder bei den Comedy-Serien und nicht in der Drama-Kategorie an. Bei den Creative Arts Emmys gab es bereits drei Trophäen - möglich sind bei der noch ausstehenden TV-Gala weitere acht. Und auch der Ausgangswert vor Beginn war eindrucksvoll: mit insgesamt 16 Nominierungen markiert die Serie den stärksten Wert unter den Comedy-Serien - direkt dahinter übrigens "The Marvelous Mrs. Maisel", welches ebenfalls bereits drei Emmys verliehen bekam und noch sechs weitere Chancen hat.

Nicht ganz so rosig sieht auch die Welt von "Barry" bei HBO aus. Dort muss der Protagonist Barry Berkman / Barry Block direkt zu Beginn der Premierenstaffel einem Mann einen Kopfschuss verpassen. Und auch das Ende der ersten Folge sieht blutig aus. Dazwischen versucht der Auftragskiller und depressive Ex-Soldat eine neue Bestimmung in einer Theatergruppe zu finden, um die obligatorische Gefühlskälte seines "Berufs" durch die Imitation von Emotionen auf der Bühne auszugleichen. Die schwarzhumorige Serie von und mit Bill Hader ging ebenfalls eindrucksvoll mit 13 Nominierungen vorweg. Gewinnen konnte "Barry" bislang lediglich eine Trophäe bei den Creative Arts Emmys letzte Woche. Möglich sind auch hier noch weitere sechs Preise. So kämpft der mit dem Künstlernamen "Childish Gambino" agierende und in dieser Arbeit medial immer wieder für Aufmerksamkeit sorgende Sänger Donald Glover zusammen mit Bill Hader gegen Anthony Anderson ("black-ish"), Ted Danson ("The Good Place") und Larry David ("Curb Your Enthusiasm") in der Kategorie des besten Hauptdarstellers in einer Comedy-Serie. Komplettiert wird das Feld vom zuletzt glücklos erscheinenden William H. Macy. Bereits durchgehend seit 2014 für seine Rolle des Frank Gallagher in "Shameless" nominiert - und bislang immer mit leeren Händen aus dem Abend gegangen. Schwer vorstellbar, dass aller guten Dinge nun fünf sind.

Apropos sieglos. Das ist auch Larry David im Falle von "Curb Your Enthusiasm" - neben Bill Hader und Donald Glover ein weiterer Auteur im Rennen um die Krone. Noch nie wurde er für die fiktionalisierte Version seiner Person ausgezeichnet. Ob die "Pastewka"-Vorlage nach Jahren der Pause dieses Mal überzeugen kann, bleibt eine spannende Frage. Nach wie vor bleibt David in seiner Rolle in der verzwicktesten und aussichtslosesten Lage von sich überzeugt, auch wenn ihm der oberste Führer des Irans, Ayatollah Ali Khamenei, den Krieg erklärt. "I left, I did nothing, I returned", so las sich die Ankündigung Davids über seine Rückkehr nach sechs Jahren und das dürfte so unterschrieben werden. Es gilt auch in Staffel 9: Larry David bleibt Larry David: von Diskussionen über den Komfort des Stuhls seiner Therapeutin im Vergleich zu seinem, über die korrekten Hilfsmittel bei der Portionierung von Cookies in einer Hotellobby hin zur Störung und Auflösung einer Beerdigung aufgrund eigener Paranoia. Die politische Incorrectness ist geblieben - so auch der Großteil des Casts seit 2011. Die Frage ist nur, ob die Mitglieder der Academy nach Jahren der Pause der HBO-Serie mehr abgewinnen können als zuletzt.

Auf den weiteren Bahnen machen sich außerdem die anderen Wettstreiter zum Startschuss bereit. Neu mit dabei - bei Netflix allerdings bereits in der zweiten Staffel - ist die "GLOW". Erzählerisch noch ein paar Staffeln weiter sind im Vergleich dazu "black-ish" mit einer vierten Staffel und "Silicon Valley" mit einer fünften Staffel. Beide bislang mehrfach nominiert, aber bis zum Sieg hat es nie gereicht. Und dann wäre da noch "Unbreakable Kimmy Schmidt" mit dem ersten Teil der vierten Staffel. Die fish-out-of-water-Geschichte endet zwar nach der aktuellen Staffel - die Zweiteilung führt aber dazu, dass die Geschichte im nächsten Jahr nochmals zur Nominierung bereit stehen könnte. Schwer vorstellbar, dass angesichts der anderen starken Kandidaten eine Geschichte ausgezeichnet wird, die auf einem sich tot gelaufenen Witz basiert. Wo die Serie zunächst durch die süße Naivität von Ellie Kemper als Kimmy Schmidt punkten konnte, hat sich die Lust des Beobachtens der Weltfremdheit der Protagonistin abgenutzt. In der Struktur dürfte das Hauptproblem bestehen: eine Weiterentwicklung eines eher simplen Charakters mit zu viel Tiefe droht der Serie die Grundlage zu entreissen.

Wie die Entscheidung auch ausfällt: die oft unterstellte Trägheit der Masse der Television Academy wird in diesem Jahr nicht greifen. Ob eine neue Ära für eine der nominierten Comedy-Serien anbrechen wird, oder ob im nächsten Jahr durch die etwaige Rückkehr von "Veep" ein siegreiches Ende für eine neue Comedy in diesem Jahr eher eine Fußnote bleibt, zeigt sich am Abend des 17. Septembers - in Deutschland in der Nacht von Montag auf Dienstag bei TNT Serie zu sehen. Ganz so jungfräulich wäre es für "The Marvelous Mrs. Maisel" auch wieder nicht. Denn Bühnenerfahrung hat die Dame ja bereits.