Es gibt Dinge, die sollte man auf keinen Fall tun. Zum Beispiel sonntags abends zwischen viertel nach acht und viertel vor zehn bei Freunden und Verwandten anrufen. Außer an den Abenden, an denen „Polizeiruf 110“ läuft. Der wird zwar auch geschaut, aber nicht mit dem heiligen Ernst, der den „Tatort“ begleitet. Während der „Tatort“ so ziemlich das einzige Fiction-Live-Event in Deutschland ist, drückt man bei anderen Filmen schon mal auf die Pausentaste, die sich seit einigen Jahren auf der Fernbedienung etabliert – sogar bei meiner Verwandtschaft jenseits der fünfzig.

Doch abseits von „Tatort“, Sommer-„Wetten dass…?“ und einigen anderen wenigen Großveranstaltungen, kehren sich die Machtverhältnisse in den deutschen Wohnstuben um. Ganz allmählich, Schritt für Schritt. Während der Programmablauf noch vor rund zwanzig Jahren den Alltag bestimmte – Abendessen nach „SOKO“, dann ist man zur „Tagesschau“ fertig –, emanzipieren sich die Zuschauer mehr und mehr von den festen Programmzeiten. Stellt man heute eigentlich noch seine Armbanduhr nach dem Gong der „Tagesschau“?

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Doch völlig außer Frage steht, dass die verschiedensten Abrufdienste diesen Trend um so mehr beschleunigen, je komfortabler sie sich bedienen lassen. Abgesehen von den Catch-up-Portalen der TV-Sender – in Deutschland technokratisch Mediatheken genannt – ist vor allem auf dem Markt der Onlinevideotheken mit hochkarätigem Film- und Seriensortiment Gründerstimmung im großen Stil angesagt.

Größen aus unterschiedlichsten Bereichen versuchen das Feld für sich zu besetzen. Mit der Komplettübernahme von Maxdome baute die ProSiebenSat.1 Media AG bereits im vergangenen Jahr ihr Engagement in diesem Bereich aus. Auch die Abrufangebote der Bezahlplattform Sky tragen dieser Entwicklung Rechnung. Die Anzahl der Player im VoD-Markt ist groß.

Einer der Spieler: Technologieunternehmen Apple, auf dessen Plattform iTunes nach eigenen Angaben pro Tag von mehr als 225 Millionen Kunden weltweit mehr als 400.000 Serienfolgen und 150.000 Filme als Leih- oder Kaufvideos abgerufen werden. Es wird davon ausgegangen, dass der Onlineabruf den physischen Speicher – DVD und Blu-ray – auf lange Sicht in weiten Teilen ersetzen kann. Da wundert es nicht, dass auch Handelsunternehmen wie Media Markt mit eigenen Abrufangeboten präsent sein wollen.

Versandhändler Amazon geht derzeit mit Lovefilm – einer Mischung aus postalischer Leihvideothek und Abrufportal – in die Offensive. Man bringt sich in Stellung, denn weitere internationale Player werden erwartet. So will der US-Riese Netflix – auf den Fernbedienungen einiger Gerätehersteller in den USA bereits mit einer eigenen Taste bedacht – nach und nach auch Europa erobern. In Großbritannien ist man bereits angekommen. Auch von Hulu ist zu hören, dass man den deutschen Markt sondiert.

In spätestens fünf Jahren – so schätzen Experten – wird die Onlinevideothek im Wohnzimmer auf dem großen Bildschirm der Standard sein. Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Es geht für die Anbieter auch darum, im vielstimmigen Chor der Endgeräte den richtigen Verbreitungsmix zu finden: Fernseher, Spielekonsole, PC, Tablet, Telefon und was da noch kommen mag – viele verschiedene Standards, viele verschiedene Apps, viele verschiedene Verhandlungen mit Herstellern und Verbreitern.

Eine weitere Herausforderung ist die Zusammenstellung des richtigen Programmportfolios. Denn was nützt die technisch beste Onlinevideothek, wenn darin die gewünschten Filme fehlen? Man braucht ein großes Archiv und um die Kunden aufmerksam zu machen die großen Hits. Exklusivität bei den begehrlichen Inhalten ist derzeit noch kein Thema. Zu gering sind noch die Umsätze, als dass es sich jemand leisten könnte, den großen Hollywood-Hit für sich allein zu beanspruchen.

Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.