Gut möglich, dass es im nächsten Jahr Beileidsbekundungen hagelt. Sylvie van der Vaart wird eine schreiben. Und Jenny Elvers. Sie werden jammern, dass ihnen nun ein großes Stück ihrer kleinen bunten Welt fehlt. Die Chefredaktionen von „Bunte“ und „Bild“ kondolieren gemeinsam, während rund 50 Fotografen sich darauf einrichten, ausgewildert zu werden. Nicht länger müssen sie sich einmal im Jahr am roten Teppich benehmen wie eine brünftige Horde Orang Utans, brauchen nicht mehr stundenlang „Sylvie, Sylvie“ zu brüllen und sich gegenseitig von der besten Position zu schubsen. Ja, ja, es wird einige geben, die dem deutschen Fernsehpreis nachweinen. Aber es werden erst einmal nicht sehr viele sein.

Vielleicht kommt es aber auch ganz anders. Vielleicht wird der deutsche Fernsehpreis im nächsten Jahr gar nicht abgeschafft. Vielleicht ist die 16. Ausgabe, die turnusmäßig von der ARD ausgerichtet wird, gar nicht die letzte. Vielleicht geht es doch weiter. Vielleicht. Vielleicht.

Derzeit spricht indes nicht sehr viel für eine Fortsetzung der 1999 begonnenen Tradition. Zu deutlich hat der 15. Fernsehpreis die Schwächen aufgezeigt. Derart lieblos ließ Sat.1 die Preise verschleudern, dass man rasch auf den Gedanken kam, dass selbst die Leitung eines sibirischen Straflagers solch eine Veranstaltung glamouröser hinbekommen hätte. Es setzte sich fort, was sich in den Vorjahren mehr oder weniger stark angekündigt hatte. Es geht nicht mehr um die Ehrung verdienter Kreativer, es geht nicht mehr um die Auszeichnung großer Leistungen, es geht nur noch darum, die Sache einigermaßen unfallfrei hinter sich zu bringen. Die Frage, warum man dann trotzdem Oliver Pocher und Cindy aus Marzahn moderieren ließ, ist nur eine von vielen offenen.

Selten war so viel Routine wie in diesem Jahr. Die Großen stapften auf die Bühne, sagten irgendetwas von Aufregung und gingen dann wieder. Nur bei den kleineren Preisen wie etwa Reportage, Comedy oder Dokumentation war noch ein bisschen wirkliche Freude zu spüren. Dem Fernsehpreis schlagen nun die Folgen seiner Strukturreform von 2011 ins Gesicht. Damals wurden die angeblich wenig showtauglichen Gewerke wie Musik, Drehbuch oder Regie kurzerhand bei den großen Namen und Titeln eingemeindet. Kriegt ein Film einen Preis, sind alle gemeint, die im Abspann stehen, lautet seither die Devise. Dass der Fernsehpreis damit auch seine Seele verkauft hat, zeigte sich in diesem Jahr besonders deutlich. Insofern muss man Sat.1 fast schon danken. Der Sender hat den Kern des Problems offengelegt.

Allerdings ist der Ausverkauf der Seele noch längst nicht als das ganz große Problem erkannt. Reibung erzeugt vorläufig eher der Umstand, dass ProSiebenSat.1 und RTL den Preis fleißig mitfinanzieren, immer häufiger aber selbst ohne Preise heimgehen. Die Reform von 2011 sollte ein bisschen auch das krasse Ungleichgewicht zwischen den Senderblöcken vermeiden, ein wenig die unterschiedlichen Kräfte austarieren. So wie es allerdings inzwischen aussieht, darf die Reform als gescheitert angesehen werden.

Natürlich ist das Ungleichgewicht auch ein gutes Zeichen, weil es von der tatsächlichen Unabhängigkeit der Jury zeugt, und weil bei den Privaten in der Tat immer weniger Hochkarätiges im Angebot liegt. Allerdings kann man auch jene Senderchefs verstehen, die fragen, warum sie eine sehr teure Veranstaltung mitfinanzieren sollen, bei der ihre Leistungen nicht mehr auf der Bühne, sondern nur noch auf dem roten Teppich gewürdigt werden, siehe van der Vaart und Elvers.

Es liegt also nahe, dass sich etwas tun muss, will man den Fernsehpreis über das Jahr 2014 hinaus erhalten. Es braucht konstruktive Koalitionsverhandlungen, sonst sagen zwei große Player ziemlich bald bye bye. Noch war indes keine zündende Idee zu hören, wurde kein weißer Ritter am Horizont gesichtet. Niemand hat derzeit ein Rezept, wie das drohende Aus zu verhindern wäre. Auch bei RTL muss man sparen, will man weiterhin schwarze Zahlen schreiben.

Steigen aber ProSiebenSat.1 und RTL aus, haben ARD und ZDF ein großes Problem. Sie könnten angesichts der nicht verstummenden Gebührendebatte kaum eine so teure Veranstaltung im Alleingang finanzieren und schon gar nicht rechtfertigen. Die Tatsache, dass die Ausstrahlung kaum noch jemand zur Kenntnis nimmt, kommt da nur noch verschärfend hinzu.

Dabei tut regelmäßige Ehrung durchaus Not. Das deutsche Fernsehen braucht einen großen Preis dringender denn je. Ein Medium, das zwar mit schöner Regelmäßigkeit von sich behauptet, es sei kerngesund, trotzdem aber immer häufiger mit Rückzugsgefechten beschäftigt ist, braucht die Ware Aufmerksamkeit. Das deutsche Fernsehen muss auch mal jenseits des Schirms ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken, muss sich so wichtig machen, wie es ist, muss etwas anderes sein als nur die Glotze, die halt eben läuft. Es geht darum, ein Medium mit Bedeutung zu füllen.

Es würde aber nicht funktionieren, die Jury zu entmachten und per Regeländerung einfach den Privaten ein paar Preise zuzuschustern. Es kann auch auf Dauer nicht die Lösung sein, die kleinen Preise einfach an die deutsche Akademie für Fernsehen auszulagern und diese dann großzügig zu alimentieren. Selbst die Akademie käme in Schwierigkeit ohne den Fernsehpreis, denn immerhin unterstützt dieser die Rebellen von 2011.

Auch wenn nur Sylvie van der Vaart, Jenny Elvers und die restlichen Boulevardwesen direkt nach dem Ableben des deutschen Fernsehpreises kondolieren würden, offenbarte sich doch nach einer gewissen Weile, dass die ganze Branche vom Tod mit 16 erschüttert würde. Es wären die Spätfolgen, die alle irgendwann zu spüren bekämen.

Matthias Brandt hat ein paar kluge Worte gesagt, als er am Mittwoch den Preis als bester Schauspieler bekam. „Dies ist ein Preis für etwas, das es nicht gibt: den besten Schauspieler.“ Er hat damit deutlich gemacht, dass solch einen Preis immer auch der Hauch des Unmöglichen umweht. Wer aber die Unmöglichkeit nicht mehr atmet, wer nicht mehr will, was eigentlich nicht geht, der hat in dieser Branche nichts zu suchen.