Es gibt bislang so ein paar unumstößliche Regeln in Deutschland. Der Bundestag beschließt die Gesetze, Karlsruhe hebt sie wieder auf, und sonntags ist „Tatort“. Von 20.15 Uhr bis 21.45 Uhr. Direkt nach der „Tagesschau“, die immer von 20 Uhr bis 20.15 Uhr läuft. Das hat zu tun mit nationalen Gewohnheiten, die sehr schwer zu durchbrechen sind. Fred Kogel hat das mal versucht und ist krachend gescheitert. Vor Lichtjahren, als er Sat.1-Chef war, wollte er sein Abendprogramm um 20 Uhr beginnen lassen und nicht um 20.15 Uhr. Was wurde da gelacht. In Deutschland hat das Fernsehen halt Format, vor allem aber ein festes.

Doch die Mauer des Festgefügten bröckelt, weshalb sich die Frage stellt, ob das Formatfernsehen, so wie wir es kennen, nicht schon ziemlich bald in sich zusammenbricht. Das klingt gewagt in einer Zeit, da das ZDF gerade eine der letzten formatsprengenden Sendungen abschafft. Für „Wetten, dass..?“ galt immer: Es dauert so lange wie es dauert, und die Schlusszeit aus der Fernsehzeitung ist allenfalls ein Anhaltspunkt. Nun bleibt es allein Stefan Raab vorbehalten, mit seiner Schlag-Show aus dem formalen Rahmen zu fallen.

Dabei liefert das Format in Zeiten zunehmender Individualisierung der Bedürfnisse nur noch einen sehr brüchigen Rahmen. Den Rahmen befürworten vor allem Quoten-Apparatschiks, die das Programm nach Umschaltzeiten und Gleitfähigkeit kategorisieren. Bei denen werden aus Sendungen schnell Zahlen, bei denen vor allem wichtig ist, dass unterm Strich immer ein Plus steht.

Das ist ein feines Modell, und es funktioniert prima bei Menschen, die sich vor die Glotze hocken und dort stundenlang verharren, also bei Senioren oder solchen, die sich der Alterung schon mit 30 hingeben. Es wächst aber gleichzeitig eine Generation von jungen Menschen heran, denen es völlig wurscht ist, wann etwas wo läuft. Sie wollen ihre Sendung genau dann sehen, wenn sie sie sehen wollen. So was lässt sich einrichten. Jan Böhmermann hat das mit seinem „Neo-Magazin“ schon vorgemacht. Man muss nicht warten, bis das irgendwann zu nachtschlafender Zeit bei ZDFneo läuft, man kann das auch schon vorher im Netz abrufen. Und hinterher sowieso.

Wenn es aber nicht mehr so sehr darauf ankommt, wann etwas läuft, dann bin ich auch nicht länger gezwungen, die Form einzuhalten. Ich kann mich dann wieder dem Inhalt widmen. Inhalt! Hallo! Inhalt! Die Älteren werden sich erinnern, dass da mal was war, das Fernsehen wertvoll machte.

Damit fällt das Gesetz, dass ein „Tatort“ 90 Minuten dauern muss. Nun gut, er dauert meist eh nur 89 Minuten, weil ja dahinter noch ein Trailer passen muss. Aber wäre es nicht eine interessante Vorstellung, dass Krimis künftig enden können, wenn die Geschichte auserzählt ist? Mir kam der Gedanke in der vergangenen Woche bei einem „Polizeiruf 110“. Da stand nach etwas über zwei Dritteln der Sendezeit die Mörderin fest. Ich wusste aber, dass sie es nicht sein konnte, weil die 89-Minuten-Grenze noch lange nicht in Sicht war. Ergebnis? Spannung futsch.

Wenn man schon einmal beim Gedanken ist, dass Dinge genau so lange dauern wie es ihr Inhalt erfordert, kommt man leicht ins Phantasieren. Denkbar wäre doch, dass Jens Riewa zehn Minuten nach Beginn der „Tagesschau“ sagt „Auf Wiedersehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, aber mehr von Belang ist heute nicht passiert.“ Wäre das wirklich denkbar?

Ich glaube, dass es viel schneller denkbar wird als sich das viele vorstellen können und wollen. Die Zeiten des bequemen Formatdenkens werden sich schon bald dem Ende zuneigen, und wer sich auf die neuen Zeiten nicht einstellt, den wird die neue Freiheit der flexiblen Sendedauer auffressen. Krimis werden kürzer, wenn es die Spannung erfordert, die Nachrichten je nach Weltlage kürzer oder länger. Verfliegen wird allein die Angst, dass man etwas verpasst, wenn man nicht um 20.15 Uhr vor der Glotze hockt.

Alles wird es immer geben, alles wird immer verfügbar sein, und irgendwann werden auch die letzten Verweigerer merken, dass das sehr nach großer Freiheit riecht.