Es gibt ja diese Tage, die sich anfühlen wie eine frisch erblühte Blumenwiese, wie ein Gebirgsbach, der sich als Wasserfall in die Tiefe stürzt, wie ein Rudel freilaufender Bäume, die sich zum Ausreißen anbieten. An solchen Tagen scheint die Sonne, sind alle rundherum gut gelaunt, und niemand klagt über irgendwas. Das lässt sich ändern.

Ich hatte neulich mal einen solchen Tag. Alles schien perfekt. Beinahe zu perfekt. Ich dachte zwischendrin schon, dass die Welt so perfekt eigentlich nicht ist, dass das Leben doch immer, wenn es gerade am schönsten erscheint, einen Stolperdraht einzieht. Dieser Stolperdraht erschien prompt - in Form des öffentlich-rechtlichen Vorabendprogramms.

Ich weiß nicht mehr, warum ich da reingeraten bin, ich weiß aber noch sehr wohl, dass ich mich eine halbe Stunde später todkrank fühlte und den dringenden Wunsch verspürte, mein Testament aufzusetzen. Ich erinnerte mich an die Weisheit, dass Optimismus und gute Laune nur aus einem Mangel an Information entstehen. Ich entdeckte das schwarze Loch im Fernsehprogramm, eine Zusammenballung von negativer Energie, die mit unglaublicher Kraft alles anzieht, was ein Lächeln auslösen könnte. Gute Laune und Gesundheit verschwinden in diesem schwarzen Loch und sind weg. Einfach weg.

Das liegt noch nicht einmal an den Serien, die am Vorabend laufen. Die sind alle so mittelmäßig wie man das annimmt. Es scheint irgendwo eine Stabsstelle Qualitätsverhinderung zu geben, die penibel darauf achtet, dass in der Zeit vor acht nichts von Belang seinen Weg auf den Bildschirm findet.

Nein, das ist alles Werberahmenprogramm. So nannte man das früher, und es hat selten einen ehrlicheren Begriff gegeben. Das Programm ist nur da, um die Werbung einzurahmen. Es hat keinen Sinn an sich, es existiert nur, weil es da etwas gibt, das just jenes Geld bringt, das es braucht, um die eigene Einrahmung zu bezahlen. Ein sich selbst fütterndes System.

Ich hatte davon gehört, dass man das Vorabendprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender auch Todeszone nennt. Vor allem die ARD hat da bekanntlich so ihre Probleme. Ich hatte den Begriff selbst schon verwendet, aber in Wahrheit nie richtig verstanden, was er bedeutet. Ich verband ihn mit miesen Quoten und der physikalischen Unmöglichkeit, diese zu steigern. Wie falsch ich doch lag.

Todeszone ist in Wahrheit der Bereich, in den man als Zuschauer gerät, wenn man das schaut, was dieser Zeit ihren Sinn verleiht: die Werbung.

Nun bin ich kein Werbungsgegner. Ich schaue ab und an gerne hin, wenn mir neue Autos angeboten werden, überflüssige Sonderpreise aus Elektromärkten, wenn Familienglück simuliert wird, das einzig und allein auf dem Konsum dickmachender Süßigkeiten zu beruhen scheint.

Manchmal, wenn ich einfach so zappe und in einen Werbeblock gerate, versuche ich ein kleines Quiz. Ich schaue mir dann alle Spots an und versuche herauszufinden, ob sich das umgebende Programm eher an Frauen oder eher an Männer wendet. Das ist leicht, wenn viele Rasierer, Autos und Verführungs-Deos vorkommen. Das ist dann Männerprogramm. Meist erscheint dann kurze Zeit später Nicki Lauda auf dem Bildschirm. Oder Jason Statham.

Gibt es viel zu essen, sind Kinder zu sehen und werden ab und zu Schminktipps gereicht, weiß ich: Ah, das Damenprogramm. Meist erscheint dann kurze Zeit später Guido Maria Kretschmer auf dem Bildschirm.

Nicht so am Vorabend. Da würde ich anhand der Werbeclips eher auf „The Walking Dead“ tippen. Oder auf römische Gladiatorenspiele, wo die Todgeweihten vorher dem Imperator Respekt zollen: Morituri te salutant. Die Todgeweihten grüßen dich. Ist natürlich alles falsch. Es ist Rentnerwerbung. Reine Rentnerwerbung.

Es wird für Mittel geworben, die Dinge weg machen sollen, die gesunde, gut gelaunte Menschen nicht haben. Es ist eine komplett andere Welt, die nicht ohne Auswirkungen auf mich als Zuschauer bleibt. Auf einmal sehe ich Zäpfchen auf dem Bildschirm. Die helfen gegen Verstopfung. Hatte ich nie, aber auf einmal erwische ich mich, wie ich vor meinem Auge eine kritische Introspektion meiner Physis vornehme. Kurz danach kriege ich es im Knie. Ich hatte nie Probleme mit den Knien. Haben immer tadellos funktioniert. Aber jetzt gibt es eine Salbe, die Knieschmerzen wegmacht. Ich könnte also Knieschmerzen bekommen, und es wäre kein Problem, weil es ja eine Salbe gibt.

Dann kommt das Gegenstück zur Verstopfung. Ein Mittel, das offenbar gegen Durchfall hilft. Brauche ich Durchfall? Nur weil es ein Mittel dagegen gibt? Ich rufe meine Liebste: „Schatz, brauchen wir Durchfall?“

Auf einmal poppt die Frage auf, ob die Hersteller von Durchfall- und Verstopfungsmitteln miteinander verbandelt sind. Treibt der eine dem anderen die Kunden zu?

Von nächtlichem Harndrang hatte ich bisher auch noch nichts gehört. Ich hielt Harndrang immer für den Titel irgendeines langweiligen Peter-Gabriel-Songs. Jetzt aber überlege ich, ob Harndrang nicht ein probates Leiden wäre, um jene nicht zu enttäuschen, die hier viel Geld für die Schaltung von Werbespots ausgeben.

Schließlich sehe ich noch einen Drink, der meine Pfunde im Handumdrehen schwinden lässt. Muss ich nur trinken und ein bisschen nett lächeln, schon verwandelt sich mein gequältes Hüftgoldleiden in den Kannst-du-auch-haben-Blick dieser freundlichen Personen auf dem Bildschirm.

Irgendwann dämmert es mir. Die Werbung im Vorabendprogramm lebt vom Leid der Menschen. Vornehmlich vom Leid älterer Menschen. Das wirft natürlich die Frage auf, ob viele dieser Leiden nur existieren, weil im Vorabendprogramm Mittel angeboten werden, die behaupten, sie beseitigen zu können. Könnte also eine Abschaltung des Vorabendprogramms maßgeblich zur Erhöhung der Volksgesundheit beitragen? Müsste mal jemand eine Studie dazu in Auftrag geben.
Daran hat natürlich niemand Interesse. Alles eine große Verschwörung. In Wahrheit soll alles so bleiben wie es ist. Die Sender bekommen Geld und treiben dafür ihre Zuschauer mit diesem Mit-dir-ist-was-nicht-in-Ordnung-Programm geradewegs in die Arme jener Industrie, die durch die Bereitstellung von Erlösungsmitteln erst die zugehörigen Krankheiten schafft. Perfide eingefädelt. Wo sind eigentlich Ken Jebsen und Udo Ulfkotte, wenn man sie wirklich mal braucht?