Können wir mal über Eisbären reden? Ja, genau, über jene nur aus der Ferne kuschelig anmutenden Wesen, an deren Schicksal man so prima den Klimawandel demonstrieren kann? Kürzlich war es wieder soweit. In „Leschs Kosmos“ bekam ich Eisbären vor den Latz geknallt, wieder die Bilder von der Eisbärenmami, die im ewigen Eis der Arktis dringend Futter sucht, um ihr hinterher tippelndes Junges ausreichend säugen zu können. Eine besorgte Stimme sagte dann, dass es dem Tier dank des Klimawandels immer schwerer fällt, zu überleben, weil sich diese hundsgemeinen Robben dank des schwindenden Eispanzers immer leichter verflüchtigen können und der Bär dann nix zwischen die Tatzen bekommt. Für den 22. Dezember kündigt 3sat „Eisige Welten“ an und illustriert die Vorschau mit einer Eisbärin und ihrem Jungen. Es dürfte nur die Spitze des Eisbären sein.

Ich sage es mal laut: Ich habe das jetzt kapiert. Ich kann das gerne öffentlich demonstrieren und dreimal laut schlimm rufen. Schlimm! Schlimm! Schlimm! Jeweils mit einem Til-Schweiger-Ausrufezeichen hintendran. Auf Anfrage kann ich auch noch ein paar mehr liefern.

So, erledigt, und jetzt hätte ich gerne mal so etwas wie ein Eisbären-Moratorium auf dem Bildschirm. Ich habe nämlich inzwischen gefühlte 375 Eisbärenmamis samt Kindern übers Packeis schliddern gesehen, und 375 Mal habe ich die Geschichte gehört von der bedrohten Art.

Lustiger Weise sind nicht wenige der gezeigten Bilder ganz offensichtlich aus dem Hubschrauber heraus entstanden, was bei dem einen oder anderen Zuschauer durchaus ein Fragezeichen zwischen die Augen tätowieren könnte. Ich persönlich halte die Frage, ob es sinnvoll ist, einen knatternden Heli zu benutzen, um von dem aus Eisbären „abzuschießen“ und so auf den drohenden Klimawandel hinzuweisen, auch nicht für gänzlich absurd. Was könnte der Grund für solches Tun sein?

Ach ja, hatte ich vergessen: Wissenschaft. Rein wissenschaftliches Interesse treibt die Eisbärenfilmer. Natürlich. Hätte ich auch selbst drauf kommen können. Wissenschaftliches Interesse treibt ja auch die Japaner beim Walfang.

Komme da keiner mit dem Verdacht, dass das Elend der Bären von skrupellosen Naturfilmbilderhändlern ausgenutzt wird, weil doch Fernsehzuschauer so gerne sehen, wenn die Mama mit dem Kinde...

Böse Zungen wie meine wenden jetzt ein, dass jede verfügbare Eisbärendame inzwischen so oft abgefilmt wurde, dass die Tiere mittlerweile eine höhere Medienkompetenz mitbringen als ein Darsteller bei „Berlin - Tag & Nacht“.

Ehrlich gesagt interessieren mich die Eisbären nur am Rande. Mich nervt vor allem die Gleichförmigkeit der Tierdoku-Dramaturgie. Wann immer ich eine von denen sehe, kann ich mir schon zu Beginn ein Bullshit-Bingo-Kärtchen fertigen und dann ankreuzen, welche der erwarteten Klischeebilder auch gezeigt werden.

Das erste Kreuz kriegen meist die Eisbärenmütter. Die sind immer ein schöner Hit und halt auch prima abzufilmen. Wo sollen sie sich in all dem Eis auch verstecken? Leichte Opfer.

Ein zweites Kreuz bringen, vorausgesetzt, die Tier-Doku ist global unterwegs, die Orcas, also jene Schwertwale, die man aus „Free Willy“ kennt. Wie die sich zu Rudeln zusammenschließen und dann nach aufregender Treibjagd mittels Robbenbiss das Wasser blutig färben, das gehört zum Standardrepertoire jedes ambitionierten Naturfilms. Noch spannender wird es, wenn sich die schwarz-weißen Räuber an ein wehrloses Walbaby heranmachen, die Mutter austricksen und dann – Wasser rot.

Die nächsten Kreuze folgen meistens im afrikanischen Okavango-Delta. Dort gibt es ein Kreuz für vom Verhungern und Verdursten bedrohte, ganz süße (wegen der Ohren) Elefantenbabys, die, Gottseidank, in 90 Prozent aller Fälle in letzter Minute vor dem Verenden gerettet werden.

Noch ein Kreuz kommt auf die Karte für die Löwen/Leopardenfamilien, die auf Oryxjagd gehen und sich spannende Wettrennen mit den gazellenartigen Sprintern liefern, die stets dreimal gut für die Sprinter ausgehen, bevor dann das vierte Tier dran glauben muss und die Kamera wegschwenkt, während die Off-Stimme sagt, dass die süßen Löwenbabys jetzt erst einmal wieder genug zu essen haben.

Wenn schließlich die Gnus auftauchen, kann man schon mal die Lippen schürzen, um laut „Bingo“ zu rufen. Meist folgt dann nämlich jene Szene, wo die Gnus einen Steilhang herunter und durch tiefes Wasser müssen. In dem Wasser lauern natürlich Krokodile, und die machen gerne schnapp-schüttel-fress – uuuuuund Bingo!!!!

Weil ich das alles schon tausendfach gesehen habe, fände ich es schön, wenn ich mal eine global angelegte Tierdoku anschauen könnte, die ohne Eisbären, Orcas, Elefanten, Gnus und Krokodile auskäme. Ich würde danach auch zehn Stunden lang meinen Fernseher abschalten, um Strom zu sparen und so den Eisbären das Überleben zu sichern. Also, damit wir uns richtig verstehen, den echten Eisbären, nicht diesen Medienstars aus dem ewigen Eis.