Es wird ja gerne mal auf den Fernsehleuten herumgehackt. Auch von mir. Das liegt daran, dass es im Gewerbe einige gibt, die ihr eigenes Tun aus tiefster Seele verachten, die nicht mögen, was sie tun, die einfach nur abliefern, weil das ihr Job ist. Auf die Frage, was sie im Fernsehen so anschauen, antworten sie erstaunlich häufig mit einer Mängelanzeige: „Ich habe gar keinen Fernseher.“

Das ist sehr betrüblich, weil Fernsehen doch ein großartiges Medium ist, eines mit unendlich vielen Möglichkeiten, mit unglaublichen Herausforderungen. Selbst wenn man nur Serien streamt, bleibt es doch Fernsehen, das Kino im Haus, die Chance, die Welt in die eigenen vier Wände zu holen.

Nun habe ich in diesem Jahr in der Branche so einige Menschen getroffen, die anders sind. Das hat mir viel Hoffnung gemacht. Es sind Menschen, die noch etwas erwarten von ihrem Medium, die spüren, was es kann, die das Beste aus den USA nicht als depressiv stimmende Unmöglichkeitsanzeige akzeptieren, sondern als Aufforderung, einfach zu machen. Sie haben das, was auch Stefan Raab bei all seinem Wirken stets auszeichnete: Leidenschaft.

Leidenschaft ist der Schlüssel zum Medium. Leidenschaft gehört ganz vorne in das Glaubensbekenntnis eines kreativen Fernsehmachers. Mit Leidenschaft lassen sich die Hürden des Alltags, des Sparzwangs, der Antriebslosigkeit überwinden. Menschen, die brennen für das, was sie tun, sind großartige Menschen, und es macht irren Spaß, ihnen zuzuschauen beim Wirken.

Wie bekommt ein Olli Dittrich seine großartigen Fernsehstücke hin, seine präzisen Nachstellungen, die so nah an der Realität sind, dass sie keine Pointe mehr brauchen, weil allein das Spiegeln des Echten die Pointe in sich trägt. Das Leben an sich ist komisch, man muss nur hinschauen, lautet Dittrichs Botschaft. Der Mann versteht sich als Brennglas. Er lenkt die Strahlen des Interesses auf das, was ihm wichtig erscheint. Und er duldet bei der Ausführung keine halbgaren Kompromisse. Entweder es wird toll, oder er lässt es.

Ein schönes Positivbeispiel sind auch die Macher vom „Club der Roten Bänder“ bei Vox. Sie haben bestimmt öfter mal gedacht, dass eine Krankenhausserie fast ohne Ärzte mit kahl rasierten Hauptdarstellern und amputierten Gliedmaßen so gar nicht funktionieren kann. Und dann haben sie sie trotzdem gemacht. Sie haben diese wunderbaren Geschichten einfach erzählen wollen. Mit Leidenschaft. Sie haben sich auf den worst case eingestellt. Sie haben sich gedacht: Wir überleben auch, wenn das Ding ein Flop wird. Aber selbst wenn es ein Flop wird, dann haben wir es wenigstens versucht.

So etwas ist ein wunderbares Beispiel für Tatkraft. Dass es ausgerechnet aus der Privatwirtschaft kommt, müssen öffentlich-rechtliche Programmmacher eigentlich als Blamage empfinden. Vox hat sich da selbst einen Auftrag gestellt und erfüllt, der eigentlich zu ARD oder ZDF gehört hätte. Aber so ist das nun mal mit der Leidenschaft. Wenn sie auftritt, verschwimmen alle Grenzen, dann geht es nur noch ums Gute.

Natürlich gibt es immer noch die negativen Beispiele. Leider oft aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich. Dort werden Formate kreativer Menschen angekauft und gesendet. Dann wird den Kreativen gesagt, das sei alles sehr toll gewesen und man wolle ihr Format unbedingt weiterführen. Wenn sie dann unvorsichtiger Weise ja gesagt haben, setzt sich eine Bürokratiemaschine in Gang, die dem Projekt allen Mut absaugt, die genau das eliminiert, was den Reiz des Projekts ausmacht. Ich könnte sagen, um welches Projekt es sich handelt, aber die Schöpfer der Idee stehen noch in Verhandlungen mit dem Sender. Sie haben noch Hoffnung. Wie naiv sie sind.

Aber letztlich ist genau das auch eine Form von Leidenschaft. Sich die Naivität bewahren, offen zu sein für Neues. Nicht immer zu schielen auf die Konvention, auf das Althergebrachte. Auch mal was anders machen.

Wie das funktioniert, sieht man am Beispiel von Jan Böhmermanns kleiner Produktionsfirma btf. Dort arbeiten Menschen, die woanders sicherlich mehr Geld verdienen würden, die aber lieber im ehemaligen Teppichlager in Köln-Ehrenfeld wirken, weil sie hier Dinge tun können, die neu sind, die keiner erwartet. Expect the unexpected.

Bei der btf sind die einzelnen Gewerke noch was wert, da ist ein jeder wichtig für das Gelingen. Nur gemeinsam lässt sich das schaffen, was die Firma hervorbringt. Dass das Ergebnis nicht durchweg brillant ist, dass sich auch mal Flops einschmuggeln, liegt in der Natur der Sache. Wer scheitert, kann lernen. Aufstehen, Krönchen richten, weitermachen.

Ich habe aber auch öffentlich-rechtliche Produktionen beobachtet, die sich großartig anfühlten. Ich muss hier gar nicht den wunderbaren „Tatortreiniger“ anführen. Ich war bei den Dreharbeiten zu „Der rheinische Cowboy“, einer sechsteiligen WDR-Serie um einen glücklosen Staubsaugervertreter, der, wie der Tatortreiniger, immer wieder unangemeldet in die Schicksale anderer Menschen schliddert. Wie die Serie am Ende wird, weiß ich nicht. Wenn aber die Stimmung, die am Set herrschte, Maßstab sein kann für das, was kommt, dann könnte dieses Ding trotz eines sehr überschaubaren Etats ein großes werden. Es ist die Leidenschaft, die dort zu spüren war, der Wille, auch mit bescheidenen Mitteln etwas zu kreieren, für das man töten würde, um es zu bekommen.

In der Logik ist auch die Entscheidung vom ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber, einen wie Xavier Naidoo zum Eurovision Song Contest zu schicken, erst einmal eine gute. Natürlich war die Entscheidung in ihrer Konsequenz grundfalsch. Sie war noch falscher als falsch, und der Entschluss, alles zurückzuziehen, war dann noch ein bisschen falscher. Aber ich respektiere in hohem Maße die Leidenschaft, mit der sich da einer für etwas eingesetzt hat. Schreiber war überzeugt von seiner Entscheidung, er wollte was, er dachte allen Ernstes, dass er etwas Gutes anstoße.

Auch das grandiose Scheitern gehört zur Leidenschaft. Nur wer etwas versucht, kann lernen. Manchmal ist es betrüblich, dass die Beitragszahler dieses Lernen finanzieren müssen, aber anders funktioniert dieses System offenbar nicht.

Es wäre fatal, würden aus Schreibers Fehlern die falschen Schlüsse gezogen, zögen noch mehr Menschen als gewohnt die Köpfe ein, wenn es doch darum geht, klar Stellung zu beziehen, zu sagen, was man will. Leidenschaft lebt nicht ohne Mut.

Ich bin, und ich finde, das ist ein schöner Schluss zum Jahresende, voller Hoffnung, dass sich noch etwas bewegen lässt in diesem Medium.

Ich möchte all jene ermutigen, die noch etwas vorhaben. Vergesst eure Träume nicht, lasst sie nicht auf den Schreibtischen der halbbeamteten Sesselpupser verschimmeln. Grabt nach eurer Leidenschaft. Dann haben wir am Ende das Fernsehen, für das sich sogar wieder die Anschaffung eines entsprechenden Geräts lohnt.