In dieser Woche ist die Diskussion über DAB+ mal wieder ein bisschen hochgeschwappt. Die CDU-Politikerin und Staatssekretärin im Dobrindt-Verkehrsministerium Dorothee Bär hat sich zu Wort gemeldet und ein Loblied des Digital Audio Broadcasting gesungen. Das hat sie schon mehrfach getan, beispielsweise im April bei Burdas Huffington Post.

Diesmal meldete sie sich in der FAZ, was logisch ist, weil just dort vor einiger Zeit schon NRW-Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann und der scheidende LfM-Chef Jürgen Brautmeier, die in der Vergangenheit nicht als ziemlich beste Freunde aufgefallen sind, in ungewöhnlicher Gemeinsamkeit dafür plädiert hatten, die teuren DAB+-Pläne in der Versenkungen verschwinden zu lassen. DAB+ sei angesichts der rasanten Entwicklungen rund um das Internetradio ein Medium von gestern.

Das mit der Versenkung ist natürlich von mir salopp formuliert. Die Medienspezis haben das selbstredend eleganter in Worte gefasst. Aber der Tenor war trotzdem nicht zu überhören: Ab in die Tonne.

Wie viele Millionen über die Jahre in die Verbreitung des DAB-Gedankens und der zugehörigen Technik geflossen sind, kann wohl kaum noch einer beziffern. Trotzdem will sich DAB+ partout nicht durchsetzen. Es gibt noch zu wenige Geräte, denn die Industrie möchte erst einmal die Garantie für eine angemessene Verbreitung und eine gehörige Vielfalt im Programm sehen. Da aber hakt es, auch weil es noch nicht genügend Geräte gibt. Das eine bedingt das andere, und letztlich stellt sich DAB+ dabei als eine Katze dar, die sich ständig in den Schwanz beißt und dabei trotzdem zu verhungern droht.

Da ist aber nun mal wieder Frau Bär vor. Die singt, schon weil ihr Ministerium dafür zuständig ist und weil Bayern halt gerne die Industrie fördern, ein Loblied auf DAB+. Sie schwärmt von den schier unendlichen Möglichkeiten, die das neue Transportmedium zu bieten hat. Das könne den Verkehr sicherer machen, sagt sie, weil dann der Autofahrer schon früh erfahre, wann wo Stau ist.

Das mag als Hoffnung durchgehen, in der Praxis machen indes immer wieder Autofahrer die Erfahrung, dass am Anfang der digitalen Signalkette immer noch Menschen stehen, die einen Stau erst einmal bemerken und dann melden müssen, was dazu führt, dass ein Stau auch mit bester Technik oft erst gemeldet wird, wenn man bereits drinsteht. Menschen kann man leider oder Gottseidank noch nicht digitalisieren. Man kann sie auch nicht mit dem Wundermittel DAB+ impfen.

Bär lobt DAB als ökologischer und kostengünstiger. Nun gibt es durchaus Menschen, die behaupten, DAB+ sei batteriehungriger als UKW, was ja gegen das Argument spricht, es sei ökologischer. Ob DAB+ wirklich kostengünstiger ist? Auch darüber streiten die Experten, denn angesichts der Vielzahl von UKW-Radios ist es schwer, die Neuanschaffung von Millionen DAB+Geräten in der „kostengünstiger“-Kategorie abzuheften. Außerdem: Wohin mit all den dann überflüssigen UKW-Geräten? Rollt da nicht eine riesige Elektroschrottwelle heran? Kann man die alten Radios dann neben all die DVBT-Empfänger packen, die gerade vor der Ausrangierung stehen?

Das einzige Argument, was zieht, ist die bessere Qualität, die DAB+-Fans anführen. Die ist unbestritten. DAB+ kann mehr als UKW, DAB+ klingt besser, DAB+ ist besser zu empfangen.

Alles richtig, nur was macht man mit so viel Plus, wenn die meisten Menschen mit dem Minus-Medium UKW rundum zufrieden sind? Oder anders gefragt: Wo stünde das iPhone in den Verkaufscharts, wenn es nur bessere Telefonate und leichtere SMS versprochen hätte?

Vielleicht argumentiert Bär deshalb auch zusätzlich andersherum. Sie sagt, UKW schränke Sender und Empfänger ein. Really? Auf Senderseite mag die Einschränkung wahrgenommen werden, aber wie viele Radiohörer haben sich tatsächlich schon beschwert über Einschränkungen auf UKW?

Ich glaube ja, das die Krux ganz woanders liegt, nämlich in der Tatsache, dass Radiomacher landauf, landab auf dem besten Wege sind, das Radio abzuschaffen, also zumindest das öffentlich-rechtliche mit Restbeständen von Anspruch? Sie sagen natürlich nicht, dass sie es abschaffen wollen. Sie richten es vielmehr still und leise zugrunde.

Wenn "live" nicht live ist

Die besten Beispiele dafür liefert mir als Rheinländer tagtäglich der WDR, dessen Programme die von Antenne Bayern Hörfunkdirektorin Valerie Weber gerade fleißig mit Privatsenderviren durchsetzt. Das auffälligste Symptom dort war jüngst die Gleichschaltung der Nachrichten auf verschiedenen Sendern, bei der sich der WDR mit kritischen Hörern allen Ernstes um die Frage stritt, ob die Sekunden zuvor aufgezeichneten und dann auf verschiedene Wellen verteilten Nachrichten nun live oder eben nicht live sind.

Natürlich sind sie nicht live, aber der WDR bestand eine kleine Ewigkeit darauf, dass seine Definition von live die einzig richtige sei. Ein wenig wirkte der Sender dabei wie Donald Trump, der unbequeme Wahrheiten auch mal dreist wegleugnet, ganz nach dem Motto: Realität und Fakten sind was für Loser. Die gefühlte Wahrheit ist die einzige, die zählt.

Aber die Scharmützel um live oder nicht live und das damit verbundene PR-Debakel sind im WDR gar nicht mal das große Problem. Das steckt vielmehr in der Art und Weise, wie die Nachrichten formatiert wurden. Sie sollten seit der Reform mit einem O-Ton anfangen, was nicht immer Sinn ergibt, aber trotzdem gemacht wird. Was tut man nicht alles, wenn man ein Format zu füllen hat? Werden halt O-Töne herangeschafft und sinnlos in die Gegend gestellt. Klingt halt liviger. Machen die im Privatradio ja auch gerne so.

Irgendwann mittendrin sagt dann jemand, nachdem es vorher ein paar Meldungen gegeben hat: „Und jetzt weitere Meldungen im Überblick.“ Danach kommen dann weitere Meldungen im Überblick. Mit einer zweiten Sprecherstimme, weil der durchschnittliche Hörer ja keine fünf Minuten Aufmerksamkeit übrig hat, wenn er nicht mindestens vier verschiedene Stimmen hört.

Gut übrigens, dass man das mit den „weiteren Meldungen“ dem Hörer gesagt hat, der hätte sonst gar nicht erkannt, dass nun weitere Meldungen im Überblick kommen, zumal es hier und da vorgekommen sein soll, dass einzelne Meldungen im Überblick länger ausgefallen sind als die Meldungen vorher.

Dazu müssen Korrespondenten dann immer mit der Ansage eingebunden werden, dass sie Heinz Ödendödel heißen und für „WDR aktuell“ aus Kleinkleckersdorf berichten. Das wirkt besonders dämlich, wenn ihr Beitrag gerade mal eine halbe Minute dauert. Aber Hauptsache, man hat gesagt, dass Heinz Ödendödel für WDR aktuell aus Kleinkleckersdorf berichtet hat – vorher und nachher. Machen die beim Privatradio schließlich auch so.

Auf die Spitze geführt wird der Schlumpfsinn dann gegen Ende, wenn der Sprecher sagen muss, dass „jetzt noch eine weitere Meldung aus Nordrhein-Westfalen“ kommt, obwohl es auch vorher schon NRW-Meldungen gab.

Vermehrt hört man, dass Valerie Weber von ihrem alten Sender Antenne Bayern zurückgeworben werden soll. Eine halbe Million Jahressalär steht da vielfach im Gerüchtewald herum. Ob das stimmt weiß man nicht, aber ich vernehme es als gequälter Hörer gar zu gerne und überlege, Antenne Bayern finanzielle Unterstützung beim Abwerben anzubieten.

Programmverblödung als Boykottmaßnahme?

Das WDR-Beispiel, das ich als leider als traurig repräsentativ fürs deutsche Radio erachte, ist nun, aufatmen bitte, endlich zu Ende und entspringt letztlich allein meiner gequälten Seele und meinem Restverstand, der sich von Programmen intellektuell unterfordert, ja nachgerade beleidigt fühlt, die ihm kurz vor der vollen Stunde einen Hit anspielen und dann sagen, dass der gleich nach den Nachrichten komplett komme. Wie blöd muss man sein, um anzunehmen, dass irgendwer just deswegen beim Sender bleibt?

Vielleicht sehe ich das mit der galoppierenden Qualitätsabsenkung, die in anderen Bundesländern ähnlich rasant vor sich geht, aber ganz falsch. Vielleicht ist ja genau diese Programmverblödung nur eine raffinierte Boykottmaßnahme, um DAB+ den Todesstoß zu versetzen. Vielleicht ist Valerie Weber so etwas wie James Bond, eine geheime Agentin mit geheimem Auftrag, die das Radio in einen Zustand versetzen soll, der es unbrauchbar macht für jeden Menschen mit einem IQ über Kartoffelsalat. Und für DAB+. Wenn nämlich das Programm am Ende des Auftrags gänzlich nur noch aus Mitteilungen an Deppen besteht, dann braucht dieses Programm nicht die in DAB+ möglichen Untertitel, dann braucht auch niemand einen störungsfreien Empfang. Warum die Mühe von Verbesserung machen, wenn man die Hörer eh für dumm wie Brot hält?

Das pendelt sich ein bei dem Argument, mit dem Kritiker sehr lange den Siegeszug von Großbildfernsehern verhindert haben. Die fragten kaufwillige Kunden einfach „Wollen Sie Johannes B. Kerner einen halben Quadratmeter groß im Wohnzimmer haben?“, und fertig war die Laube. Hat auf die lange Sicht natürlich nur mittelgut funktioniert, aber man könnte die Legionen von Hörern, die Fernsehen nur noch auf Laptops schauen, durchaus noch als späte Kerner-in-groß-Verweigerer werten.

Aber zurück zu DAB+. Ich mag nicht entscheiden, wer in der Debatte nun recht hat. Ich glaube aber, dass die Debatte falsch geführt wird. Die meisten Diskutanten gehen still und leise davon aus, dass sich das Radio in der Breite nur unwesentlich entwickeln wird, dass Internetradios oder Streamingdienste eine Angelegenheit für Nerds bleiben werden, dass der ganze Rest des Publikums mit dem typischen Wir-möchten-nicht-weiter-stören-Medium abgespeist werden kann, dass aus Angst vor dem Wegschaltimpuls nur ja keiner der angeblich strunzdummen Hörer vergrault werden darf.

Radio wird sich aber entwickeln, es wird über kurz oder lang neue Wege gehen, gehen müssen. Warum soll beim Radio die Aufspaltung in linear verbreitete und on demand abrufbare Inhalte nicht über kurz oder lang auch einsetzen?

Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten, auch wenn sie noch keiner auf den Schirm nehmen will und zum Beispiel in Sachen Podcast seitens der Anstalten noch sehr viel dafür getan wird, das Medium unpopulär zu halten, damit bereitgestellte Beiträge kaum abgerufen werden. Man sagt zwar, dass man sie abrufen kann, aber dann versteckt man sie oder lässt die wirklich belangvollen Sachen außen vor. Hinterher kann man dann argumentieren, dass mangels Nachfrage die zusätzlich für die Podcasts zu entrichteten Honorarsätze eingespart werden können, indem man verschiedene Podcasts einfach nicht anbietet.

Die Bilanz ist bitter: Das öffentlich-rechtliche Radio steckt tief in einer Krise. Darüber täuschen auch nicht die wenigen ordentlichen Wortprogramme, die es hier und da noch gibt, nicht hinweg. Auch nicht das ordentliche Deutschlandradio. Es geht um das Radio in der Breite. Genau dieses Radio steckt tief im Loch, und es wird da noch weiter hineinschliddern, wenn es sich nur Privatsenderrezepte an die Mikrofone hängt und nicht Strukturen neu denkt.

Die Schwäche des deutschen Radios ist damit letztendlich auch die Schwäche von DAB+. Was nichts taugt, wird auch durch eine hochauflösende Übertragung nicht besser. Es ist dann allenfalls besser zu hören. Insofern bin ich am Ende fast geneigt, mir DAB+ herbeizuwünschen, auf dass keiner mehr sagen kann, er habe die Defizite des Mediums überhört.