Irgendwann wird es passieren. Es kann nicht mehr allzu lange dauern. Wenn man dieses Jahr öfter mal beim ZDF und seinen angeschlossenen Digital-Tentakeln reingeraten ist, dann weiß man, dass sich dort etwas explosionsartig ausgebreitet hat und dass just dieses Phänomen kurz vor der Übernahme des Gesamtprogramms steht.

Irgendwann wird es also passieren, dann steht neben Claus Kleber ein Männchen mit Zwirbelbart und wird den aktuell lässigsten Anchorman des deutschen Fernsehens in seiner betont kumpeligen Art ansprechen. "Isch bin der Horst", wird das Männchen sagen, und dann wird es die Äugelein gaaaanz weit aufreißen und dem Kleber-Claus in die Aufzeichnungen schauen. "Schöne Kärtchen hasse da", wird das Männchen sagen und dann auch noch einen Nachsatz anfügen: "Wat willse denn dafür haben?"

Doch, es wird soweit kommen. Ich bin mir da ganz sicher. Der Siegeszug von "Bares für Rares" im ZDF wird weitergehen, denn nichts ist erfolgreicher als der Erfolg, und erfolgreich ist die Show mit dem Zwirbelschnauzermännchen ohne Frage. Mit ihr hat die Horstlichterisierung des deutschen Fernsehens große Fortschritte gemacht. Wann immer man die Glotze anschaltet und versehentlich beim Zweiten landet, ist es schon da, das putzige Männchen, das sich freiwillig und mit Inbrunst zum Horst macht. Was Yvonne Willicks für den WDR darstellt, ist Horst Lichter für das ZDF.

Nun ist "Bares für Rares" aber nur auf den ersten Blick ein Horst-Lichter-Format. Natürlich steht der professionelle Großeaugenmacher als Galionsfigur und sympathischer Clown dem Trödel-Zirkus vor. Aber betrachtet man die Struktur der Show einmal genauer, dann schwindet seine Bedeutung rasch, denn "Bares für Rares" lebt nicht allein von den launigen Bemerkungen des gelegentlich zur Kauzigkeit tendierenden Rheinländers, sondern vor allem von der Struktur.

"Bares für Rares" ist Ritual in Reinform. Was früher die Liturgie in der Kirche war, ist heute diese kleine Gerümpel-Verkaufsveranstaltung. Man weiß als Zuschauer sehr schnell, dass es im jeweiligen Ablauf vielleicht ein paar Besonderheiten geben kann, dass aber niemals etwas Unvorhergesehenes passieren kann. Niemals! "Bares für Rares" ist gesendete Gleichförmigkeit. Nicht wenige Zuschauer schätzen so etwas, weil sie das Gleichförmige aus ihrem Leben gewohnt sind und dieses als Zuverlässigkeit interpretieren. Wenn alles da draußen so unordentlich ist, dann bleibt ihnen immer noch "Bares für Rares".

Den ewig gleichen Ablauf, dass also Menschen daheim Krempel entdecken, diesen von Experten begutachten und schätzen lassen und nachher unter Gebrauchtwarenhändlern quasi versteigern, hat diese Show clever in eine Art Quiz gegossen. Beim guten Quiz ist die Frage der Haken, der sich im Hirn des Zuschauers festsetzen muss. Wer einmal am Haken baumelt, kommt nicht mehr los, der will auch die Befreiung, die Erlösung in Form der richtigen Antwort erfahren. Deshalb bleibt er dran. Will man sich aus einem guten Quiz ausklinken, muss man das stets vor der nächsten Fragestellung erledigen, sonst sitzt schon der nächste Haken im Hirn. Bei "Bares für Rares" lautet die Frage immer gleich: Was ist das wert und bringt es diesen Wert beim Verkauf ein?

Nun ist aber "Bares für Rares" nicht nur ein Quiz mit anderen Mitteln, es setzt zusätzlich auch noch bei der Traditionsliebe der Zuschauer an. Mit der arbeiten die Macher der Show sehr clever, weil sie auf den Mix achten, in dem Besonderheiten, Pretiosen und purer Trödel präsentiert werden. Stets ist etwas dabei, das man auf dem eigenen Dachboden vermuten könnte, wenn man denn einen Dachboden hätte. Wer keinen hat, wird von der Präsentation animiert, sich einfach vorzustellen, er hätte einen Dachboden und würde dort den angebotenen Krempel finden.

Zum Quiz und der Traditionsverhaftung kommt dann noch Detektivarbeit, ein bisschen Krimi. Die Experten bringen einen Schuss Sherlock Holmes in die Show. Sie sehen Dinge, die andere nicht sehen, sie verblüffen mit Fachwissen, das kein Mensch so spontan bei Inaugenscheinnahme eines eben erst erblickten Gegenstandes parat haben kann.

Da liegt der Verdacht nahe, dass die Experten schon vorher Zeit hatten, zu recherchieren und nun so tun, als wüssten sie all das, was sie da von sich geben, schon ewig. Natürlich ist vieles Inszenierung bei diesem Prozess. Man schaue nur mal, auf die Experten, die stets im Hintergrund einem Kunden etwas erklären, aber niemals zu hören sind. Pure Staffage.

Zu den schon genannten Elementen, die ein gutes Format ausmachen, kommt bei "Bares für Rares" der Verzicht auf jede Form von Überforderung. Niemand muss bei "Bares für Rares" befürchten, dass er irgendetwas nicht versteht oder verpasst. Ist eben im Expertengespräch etwas gesagt worden, wiederholt es der Einlieferer sicherlich noch einmal im Nachsatz. War eben zu hören, dass er sich 500 Euro für eine Brosche wünscht, so bekräftigt er das danach in beinahe loriothaft ungelenker Art, indem er "Ich wünsche mir 500 Euro für die Brosche", sagt. Das versteht sogar der Horst in uns allen.

Das Finale jeder Frage bildet schließlich die Versteigerung bei der die Händler, die sich freundlich und erwerbswillig geben, durch die Zusammensetzung von verschiedenen mehr oder weniger skurrilen Typen eine ganz eigene Note einbringen. Letztlich geht es aber natürlich um eine Art Casting. Schafft der Gegenstand, was vorher versprochen wurde? Sind die Juroren begeistert?

Es ist also der Mix aus den verschiedenen Showformen, die "Bares für Rares" zu solch einem Erfolg macht, diese clevere Mischung aus Quiz, Casting, Krimi und Traditionspflege. Und Horst Lichter ist quasi der Clown in der Manege, einer, den alle mögen, bei dem man nur aufpassen muss, dass er demnächst nicht auch noch das "heute-journal" übernimmt.