Kürzlich dachte ich kurz, dass ich dringend mal zum Augenarzt müsste. Ich sah nämlich auf meiner Glotze seltsame Farbblitze. Ganz kurz nur. Kleine bunte Punkte tanzten vor meinem Auge und zeigten mir, was passiert, wenn sich Licht in einer Linse bricht. Dazu kamen dann noch wahre Farbfluten, die in meine Augen strömten. Auf einmal glich meine Welt einem niegelnagelneuen Tuschkasten, bestand sie nur noch aus großen Flächen in Kastanienbraun, in Goldgelb und vor allem in Blau. Immer wieder Blau. Dazu schimmerten in den Ecken der Räume oft jene Farben diffus, die auch den Vordergrund beherrschten. Und überall in den Gängen waren Leuchtstoffröhren an die mannshohen Heizkörper gehängt, was die unwirkliche Anmutung noch einmal steigerte.

Ich fragte mich kurz, ob ich möglicherweise irgendein Getränk zu mir genommen haben könnte, in das irgendwer heimlich eine bewusstseinserweiternde Substanz appliziert hatte. Kurz erwog ich auch die These, ich sei in einem Alptraum gefangen, festgehalten in einem dieser Wir-machen-deine-Wohnung-schöner-Formate, wo vermeintliche Innenausstattungsexperten aus heruntergerockten Behausungen eine Mischung aus Vorhöllen-Puff und komprimiertem IKEA-Rundgang zaubern.

Aber dann fiel mir auf, dass ich ganz allein die Schuld an meiner Verwirrung trug, denn ich hatte versehentlich, möglicherweise aber auch in purer Selbstverletzungsabsicht (AT: "Der TV-Ritzer – Immer wenn er Serien sah") den neuen Ableger von "In aller Freundschaft" eingeschaltet: "Die Krankenschwestern". Die sind nicht direkt ein Ableger der erfolgreichen Dienstagsserie, sondern eher ein Spin-Off der Donnerstagsserie "Die jungen Ärzte", die wiederrum ein Ableger der Dienstagsserie ist.

"Die Krankenschwestern" absolvieren donnerstags gerade einen Testlauf. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann haben sie acht Folgen lang Zeit, um ihre Unentbehrlichkeit zu beweisen. Ich kann ihnen diese schon jetzt attestieren, denn ich möchte keinen Donnerstag mehr ohne diesen Farbenrausch erleben.

Handlung und Schauspieler sind dabei komplett egal, sie bewegen sich erwartungsgemäß auf dem Soapniveau der Mutterproduktionen. Mir geht es allein um diese Farbschwemme. Ich glaube, es gibt sonst keine Produktion im deutschen Fernsehen, die so konsequent auf solch knallige Farbflächen setzt. Und vor allem aufs blaue Wunder.

Alles wirkt wie im Drogenrausch durchkomponiert. Da liegt ein Patient im sattblau gestrichenen Zimmer mit sattblauen Bildern an der Wand in einem sattblau bezogenen Bett mit sattblauem Kissen, und natürlich trägt er ein sattblaues T-Shirt. Und wenn es ein anderer Patient ist, der ein Klinikleibchen tragen muss, dann leuchtet hinter seinem Kopf eine Neonröhre blau.

Blau ist vieles in dieser fiktiven Klinik. Sogar im Empfangstresen wird ein Zwischenfach indirekt blau beleuchtet, und natürlich ist auch das Logo des Hospitals in der Farbe eines Reisekatalogmeeres angestrichen. Und auf der Intensivstation sind rund um den Patienten blaue Neonröhren drapiert. Selbst das Wachbecken schimmert blau.

In aller Freundschaft - Die Krankenschwestern© Screenshot Das Erste
Bei "In aller Freundschaft - Die Krankenschwestern" sind alle blau.

Irgendwann hat man es dann kapiert. Hier haben sich der lichtsetzende Kameramann und die fürs Szenenbild zuständige Kraft richtig Gedanken gemacht. Zusätzlich haben sie sogar noch kleine Lichtspielereien in die Außenaufnahmen integriert, kurze Blitze, winzige Irritationen. Ich weiß nicht, welche Drogen sie dabei zu sich genommen haben, aber was immer es gewesen sein mag: Ich will das auch. Ich will auch in diesem Serien-Aquarium leben, in dem alles so sattblau ist, dass die Seele automatisch in den Klischeeurlaubsmodus geht.

Natürlich ist im Aquarium alles so blau, damit die Fische besser zu erkennen sind. Die Fische sind hierbei die handelnden Personen, und damit man die besser auseinanderhalten kann, tragen sie Ganzkörperkondome in ebenfalls sehr satten Farben. Je nach Bedeutung des Trägers changiert die Farbe dann von Kastanienbraun über Karmesinrot bis zum kräftigen Goldgelb. Alles so warme Farben, dass man auf jegliche Heizung glatt verzichten kann. Hat man das Prinzip der bunten Fische im urlaubsblauen Aquarium einmal kapiert, möchte man gleich zum Bildschirm eilen und die Protagonisten füttern.

Beeindruckend ist bei dieser Produktion die Konsequenz, mit der das Farbkonzept durchgezogen wird. Selbst in den Wohnungen der Hauptfiguren ist Farbenrausch angesagt. Da sind die Wände so angemalt, dass sie Farbe und Form förmlich herausbrüllen. Gleichzeitig ist alles so durchgestylt, dass mindestens die Lampe mit der Wandfarbe korrespondiert und diese wiederum mit dem Sofakissen.

Leider gibt es aber immer wieder diesen ernüchternden Moment, wenn die Serie ihr Ende findet. Dann muss ich jedes Mal wieder raus dem Aquarium, zurück in meine triste monochrome Welt, zurück in einen Kosmos, in dem farbentsättigte "Tatort"-Episoden bisher der Standard zu sein schienen.

Bis jetzt. Jetzt sind "Die Krankenschwestern" da, jetzt wird alles gut und alles bunt. Genau diese Serie muss die inzwischen gerne als Medium auftretende Nina Hagen vor 40 Jahren vorausgeahnt haben, als sie in ihrem Song "TV Glotzer" eine vielsagende Zeile sang: "Alles so schön bunt hier."