Um es mal auf eine Kurzformel zu bringen: Der WDR ist schuld. An allem. Was immer auch auf dieser Welt passiert, der WDR ist schuld. Wäre die Kölner Anstalt nicht erst in den 50er Jahren selbstständig geworden, würde man ihr möglicherweise auch noch die Schuld am Zweiten Weltkrieg, an der Pest und der Kreuzigung Christi anlasten. Was immer passiert – der WDR ist schuld.

Inzwischen können die in Köln machen, was sie wollen, sie entrinnen dem Dilemma nicht. Das verwundert ein bisschen, denn es gibt ja noch acht andere Landesrundfunkanstalten. Die geraten zwar ab und an auch mal in kritisches Fahrwasser, aber die fetten Breitseiten fängt sich immer nur der WDR ein.

Das war schon 2018 so, als es um MeToo ging. Da wirkte es fast so, als seien alle anderen Anstalten voll mit Saubermännern, nur beim WDR häuften sich die Fälle von sexueller Belästigung. Das hat sich nach der Oma-Umweltsau-Affäre nicht groß geändert. Es ist sogar noch ein bisschen schlimmer geworden. Findet etwa eine WDR-Reportage heraus, dass man es bei den deutschen Handballern nicht so mit Migranten hat, dann wird das nicht etwa als journalistische Rechercheleistung gefeiert, nein, es wird der Sender als Miesmacher hingestellt, der uns den schönen Handball kaputt machen will. "WDR tritt giftige Debatte los", heißt es prompt.

Dann kommen noch die Hanseln von der AfD und wollen allen Ernstes WDR-Redakteure vom Verfassungsschutz beobachten lassen. "Die Verfassungsschutzbehörde soll daneben explizit beauftragt werden, sich mit verfassungs-feindlichen Bestrebungen im WDR auseinanderzusetzen", heißt es in einem Gesetzentwurf für den NRW-Landtag. Was man halt so macht, wenn man durchs Zeigen auf andere von sich selbst ablenken will.

Natürlich hat das alles zu tun mit dem allgemeinen Hang zur Skandalisierung in unserer Gesellschaft, in unserer immer breital medial geprägten Welt. Die reine nüchterne Nachricht ist nichts mehr wert, sie hat allenfalls noch die Bedeutung von ein paar Treuepunkten, die man an der Rewe-Kasse nachgeworfen bekommt. Nur melden ist out. Skandalisieren ist das Gebot der Stunde.

Natürlich braucht es für ein ordentliches Medium zur Skandalisierung eines Sachverhaltes ein paar Zeugen. Früher reichten da ein paar parlamentarische Hinterbänkler, die froh waren, wenn ihr Name überhaupt mal irgendwo außer an ihrem Klingelschild zu lesen war. Früher musste man aber als Journalist selbst diesen Hinterbänklern mühsam hinterhertelefonieren. Heute bekommt das alles per Twitter auf dem Silbertablett serviert von Amtsträgern hohen Ranges, notfalls gar von leibhaftigen Ministerpräsidenten, die gerne noch ein paar Treuepunkte einheimsen wollen.

Und wenn die gar nicht zur Hand sind, reichen zum Beweis des Skandals notfalls auch zwei, drei Stimmen aus den sozialen Medien, die man unter der Überschrift "Wirbel um…" bündelt. Zack ist der Skandal da, und der WDR ist schuld. An allem.

Natürlich hat das auch mit der Tatsache zu tun, dass der WDR ein leichtes Opfer ist. Der WDR wird von allen bezahlt, und deshalb haben auch alle Ansprüche an ihn. An den BR oder NDR auch, aber in Köln scheint man sich auf besondere Weise für einen leichten Angriff zu qualifizieren. Nicht nur weil in Köln der Beitragsservice sitzt, der monatlich 17,50 Euro einzieht. Es hat auch zu tun mit dem Verhalten des Senders.

Der WDR wirkt nämlich genau wie der Typ, der früher in die Dorfkneipe schlich und sich die ganze Zeit angstvoll umblickte, weil er keinen kannte und sich fürchtete, so ganz allein. Da wusste der dumme, aber instinktbegabte Platzhirsch schnell, wen er sich für ein paar schnelle Machtbeweise mit der blanken Faust auszusuchen hatte. Ratzfatz, Fresse dick. Die anderen haben dann allzu gerne weggeschaut. Hauptsache, es trifft mich nicht, haben sie sich gedacht.

Genau so geht es heute noch. Die anderen Anstalten denken sich, dass Schläge, die der WDR einstecken muss, Schläge sind, die sie nicht treffen. Unter dem Schild "Beschützer gesucht" steht deshalb viel zu häufig "Fehlanzeige".

Aber der WDR macht es den anstürmenden Horden auch wirklich einfach. Es steht halt am Eingang zur großen Anstalt kein Zerberus, der allen Angreifern erst einmal eine Höllenangst einjagt. Es steht dort Tom Buhrow, der im Zweifel erst mal jenen, die auf die Tore zustürmen, freundlich die Hand reicht, was seiner Mannschaft nicht unbedingt das ganz große Vertrauen einflößt. Buhrow mag ein netter Kerl sein, als Intendant wirkt er zu schwach, als dass sich irgendwer in seinem Schutze sicher fühlen könnte.

Einst galt der WDR als Rotfunk, als verlängerter Arm Moskaus, als richtig linke Anstalt. Diese Zeiten sind definitiv vorbei. Nicht wenigen kommt es inzwischen so vor, als stehe der Chef des Hauses dem CDU-Ministerpräsidenten in Düsseldorf im Zweifel näher als seiner Mannschaft. Wenn Armin Laschet sich über etwas empört, dann entschuldigt sich der Intendant. Das hat nicht zwingend einen kausalen Zusammenhang, aber wenn es zeitlich nun mal aufeinanderfolgt, kann man da schon leicht etwas missverstehen.

In dem Zusammenhang wirkt es natürlich auch wie ein zusätzlicher Beleg für den politischen Richtungsschwenk des WDR, dass mit Hans W. Geißendörfers "Lindenstraße" gerade eine bewährte Keimzelle des linken Bewusstseins geschliffen wird. Natürlich hat das die ARD zu verantworten, die kein Geld mehr ausgeben mag für die in die Jahre gekommene Seifenoper, die Quotengeilheit vor politisches Sendungsbewusstsein stellt. Aber was bleibt letztlich im Gedächtnis? Der WDR ist schuld.

Was für ein Glück, dass Felix Lobrecht nicht fest beim WDR angestellt ist, dass er freiberuflich tourt und für ihn allein die Zahlen an der Vorverkaufskasse zählen. Wäre er beim WDR, hätte die Anstalt gerade wieder einen "Skandal" an der Backe gehabt. Nicht weil Lobrechts Äußerungen über den Brennwert von Affenfell im Krefelder Zoo wirklich als Grundlage für einen Skandal getaugt hätten, sondern weil es halt geht.

Im Falle Lobrechts zeigte sich ziemlich wunderbar, wie Skandalisierung verpufft, wenn das Ziel nicht so ein weiches ist wie im Falle des WDR. Einer wie Lobrecht staunt ein bisschen über die künstlich geschraubte Medienerrektion, schüttelt sich kurz und geht dann zur Tagesordnung über. Und, oh Wunder: Nach ein paar Tagen ist die Sache durch. Da schauen höchstens noch ein paar Dummbratzenpostillen im Programm des Komödianten nach, ob es weitere Bösartigkeiten gibt, die sie sich als publizistisches Viagra in die Schlagzeilen spritzen könnten. Indes, sie finden nichts, und dann kehrt wieder Ruhe ein, und Lobrecht kann weiter auftreten, Witzchen machen und kassieren.

Im WDR dürften sie derweil gezittert haben, ob möglicherweise noch irgendwer herausfindet, dass Lobrecht schon ziemlich viel für den WDR gearbeitet hat, dass er erst im Dezemer mit der 1Live Krone ausgezeichnet, also quasi von der Anstalt belobigt wurde.

Komischerweise hat wohl keiner von den skrupellosen Skandalierern diese Spur verfolgt, weshalb die Suche nach der Schlagzeile "WDR-Komödiant verhöhnt tote Affen" ergebnislos bleibt. Puh, nochmal davongekommen. Atempause. Aber nicht lange kann es dauern, dann steht es garantiert wieder irgendwo: Der WDR ist schuld.