Logo: Der TagesspiegelEs heißt, man setzt zu Weilen Print-Leute an die Online-Spitze, weil die wissen, wie ihre Kollegen die Zusammenarbeit mit dem neuen Medium verhindern. Wird bei Ihnen verhindert?

Bei uns wird nicht aktiv verhindert. Manche Kollegen ziehen sich vielleicht in die Passivität zurück. Aber die Online-Redaktion kann auch nicht mit mehr als 70 Tagesspiegel-Print-Kollegen gleichzeitig zusammenarbeiten. Für uns ist es wichtig, engen Kontakt zu den einzelnen Ressorts zu haben - und das funktioniert gut.

Und was ist mit denen, die sich zurückziehen?

Die muss man mitnehmen, das ist meine Aufgabe. Als Chefredaktion ist man immer so eine Art Mutter oder Vater für alle und muss Mitarbeiter immer wieder motivieren. Oder ermahnen. Konferenzen muten zu Weilen schon mal an wie Erziehungsmaßnahmen für eine Großfamilie. Aber führen heißt heute ja nicht mehr, autoritär herumzuschreien. Weitaus wichtiger sind klare Entscheidungen und zügige Organisation. Kommunikation ist dabei elementar. Und wenn man sein Gegenüber ernst nimmt, gelingt die Kunst, ein gutes Team zu bilden.
 


Wie viele Kollegen schickt denn der „Tagesspiegel“ zu einer Pressekonferenz? Einen, der beide Produkte bedient oder sind es noch zwei?

Manchmal schicken wir schon noch zwei Kollegen. Zu sagen, es gäbe hier komplett Friede, Freude, Eierkuchen, wäre gelogen. Es gibt aber viele Ereignisse, bei denen wir uns gegenseitig informieren. Zum Beispiel stehen wir in ständigem Kontakt zur Polizeireporterin Tanja Buntrock aus der Print-Redaktion, die uns immer vorab mit wichtigen Erkenntnissen ihrer Recherchen informiert. Tagsüber geht es schließlich beim Internet als News-Medium darum, zu berichten, was in der Stadt los ist. Abends, wenn das Internet zum Lese-Medium wird, gibt es dann die ausführlicheren Geschichten über die einzelnen Ereignisse.

Sie sprachen von der eigenen Logik des Mediums. Was muss man als Chefredakteurin eines Zeitungs-Portals mitbringen, was ein Printler nicht unbedingt braucht?

Es gibt einen großen Unterschied zum Printler: Die Technologie. Beim Print- Journalismus gab es über einen langen Zeitraum wenig große technische Neuerungen. Jetzt stößt dem Journalismus diese massive technische Revolution „Internet“ zu. Das verändert ihn nicht nur, das Medium erfindet sich noch dazu alle drei bis vier Jahre selbst wieder völlig neu. Erst hatten wird Portale, jetzt gibt es Blogs und Video und bald kommt Local-Search dazu. Daneben erleben wir eine massive Content-Syndication, die Mehrfachverwertung von Inhalten. Man muss sich als Chefredakteur für die Konzeption seines Angebots immer wieder überlegen, wie weit man auf technische Veränderungen eingeht und was purer Hype ist – und dazu muss man natürlich auch verstehen, was da los ist.

Gibt es denn schon eine journalistische Vision für die Zeit nach Web 2.0?

Alle reden derzeit ja von Geo-Tagging, ich gehe dagegen von einem Boom im Foto-Journalismus aus. Aus dem werden sich neue Darstellungsformen entwickeln, die nicht mehr nur auf die Kombination von Text und Bild abzielen. Zum Beispiel Foto-Slideshows mit Audiokommentaren. Anfangs hat man über die Bilderstrecken als Klick-Bringer ja eher gelächelt. Man wird bald aber entdecken, dass man mit einer Bilderstrecken auch sehr interessante Fotoreportagen machen kann. Online-Magazine sehen im Augenblick alle ähnlich aus. Mal ist das Bild größer, mal kleiner – es ist aber immer die gleiche Kombination aus Text und Bild. Das wird sich ändern.

Und was wird aus dem Bügerjournalismus, den man einst als Heilsversprechen angesehen hat?

Der wird bleiben, hat seinen Höhepunkt aber deutlich überschritten. Mitmachen ist ja schön und gut, aber kein Mensch will irgendwo hinposten, wenn es keiner liest. Formate in diesem Bereich funktionieren nur dann gut, wenn sie noch eine kleine Redaktion haben. Für die "FAZ" ist Bürgerjournalismus auch eine schwierigere Angelegenheit als für die kleineren Regionalzeitungen, die per se schon näher am Bürgerjournalismus stehen. Dort funktioniert das Konzept sicher hervorragend.

Welche Rolle soll „tagesspiegel.de“ künftig im Internet spielen?

Durch den Relaunch haben wir an Reichweite nichts verloren, sondern konnten unsere Position auf Platz neun der Nachrichtenportale halten. Für eine Berliner Qualitätszeitung stehen wir im bundesweiten Vergleich ganz gut da. Langfristig wollen wir vorrücken - klar.

Das ist bescheiden, in einer Zeit, in der alle sich anschicken, "Spiegel Online“ überholen zu wollen.

(lacht) Alle wollen "Spiegel Online" überholen und sehen dann doch nur genau so aus, anstatt eine Alternative zu bieten. Das ist schon seltsam. Ich verstehe beispielsweise nicht, warum der "Stern" sich im Internet an den "Spiegel" anlehnt, anstatt mit starken Bildern seine eigene Kernkompetenz in den Vordergrund zu stellen. So wie sich das Portal derzeit präsentiert, gibt es für die Nutzer keinen Grund, das Angebot aufzusuchen. An „Spiegel Online“ ist der Leser gewöhnt. Bei „stern.de“ bekommt er das Gleiche – nur in ungewohnter Aufmachung.

Ihr Verlag schickt sich an, mit „Humboldt“ demnächst ein neues Internetportal an den Start zu bringen, das von Ihrer Redaktion mit gestaltet wird. Was genau soll dort passieren?

„Humboldt“ wird ein Nachrichtenportal, das sich explizit an ein jüngeres Publikum richtet und ganz anders an die Jüngeren herangeht, als einfach mit einer Blogroll. Mehr sage ich dazu aber noch nicht.

Aber Sie wissen schon mehr?

Selbstverständlich! Das wird sehr spannend.

Dann bleiben wir gespannt und bedanken uns für das Gespräch.