Wie berichtet man über das, was ein Land beschäftigt, wenn sich die Themen im Eiltempo wechseln?

Ach, das erleben wir ja auch in Deutschland immer stärker. Nie wurden die Säue schneller durchs Dorf getrieben. Da hat natürlich auch das Internet seinen Anteil dran. Nicht mal als Urheber solcher Geschichten, aber als Beschleuniger. Themen sind einfach schneller durch, weil inzwischen schneller alles dazu gesagt und geschrieben wurde. Zumindest glauben wir das. Mehr Berichte bedeuten aber nicht immer auch mehr Erkenntnisse. Selbst wichtige Themen werden immer öfter nur oberflächlich angeschnitten. Aber Sie haben insofern recht, diese hysterischen Wellen sind hier in Großbritannien noch einmal einen Zacken schärfer als bei uns. Natürlich freut es mich, wenn hier viel passiert. Einer Korrespondentin kann Schlimmeres passieren, als aus einem Land zu berichten, in dem viel los ist. Aber man kommt oft vor lauter aktueller Berichterstattung kaum mehr dazu, Hintergrundstücke zu produzieren. Und diese Nachfrage nach aktueller Berichterstattung ist auch im Fernsehen noch beschleunigt worden, durch Digitalkanäle wie Eins Extra, z.B..

Haben Sie während der Aufregung um Murdoch eigentlich mal persönlich mit der deutschen Presse verglichen? Ist man da dann froh, dass wir nur die „Bild“ haben?

Ja, schon. Wobei ich auch schon lange aus Deutschland weg und mir kein detailliertes Urteil über die Qualität einzelner Medien erlauben will. Aber gegen das was hier in der Tabloid-Presse passiert, dagegen ist die „Bild“ harmlos. Das ist schon sehr viel rücksichtsloser und unzuverlässiger. Selbst in den Sonntagszeitungen wie der „Sunday Times“ liest man Geschichten, die einfach vorne und hinten nicht stimmen. Da hab ich am Anfang auch gedacht „Was soll das denn?“. Das ist man nicht gewöhnt aus unserer Presselandschaft. Aber gut, selbst ehemals renommierte Blaetter wie die "Times" oder die „Sunday Times“ sind eben seit der Übernahme von Murdoch auch zum Boulevardblatt geworden, leider.

Dabei schwärmt mancher von dieser Vielfalt in Großbritannien...

Ja, aber die Zeitungslandschaft hier ist größenteils Boulevard im fortgeschrittenen Stadium. Nicht mehr heilbar. Auch diese Nähe zwischen Presse und Politik gibt es so bei uns nicht. Dass sich Angela Merkel hin und wieder mit Kai Diekmann trifft, das glaub ich schon. Aber schwer vorstellbar wäre z.B. dass die beiden sonntags zusammen reiten gehen, wie David Cameron und Rebekah Brooks das regelmäßig getan haben, oder dass sie sich gegenseitig zu privaten Geburtstagsfeiern einladen würden. Cameron hat ja mit Frau Brooks sogar Weihnachten zusammen gefeiert. Das ist in Deutschland nicht vorstellbar.  Hier wusste jeder, dass die Politik und Presse so eng miteinander sind, aber niemand hat sich wirklich die Frage gestellt, was das für Folgen hat. Das hat natürlich auch etwas mit dem britischen Klassensystem zu tun. Denn aus der Perspektive des ‚britischen Volks‘ sind Journalisten und Politiker keine Gegner sondern gemeinsam in der Upper Class. Eine so offene Form des Regieren und Entscheidens von oben ohne Kontrolle von unten - das gibt es in Deutschland nicht.

Stichwort Klassensystem: Da sind wir auch schon bei den Krawallen im August. Sie sagten, für Sie wäre das keine Überraschung gewesen...

Ich habe seit zwei Jahren jedem erklärt, der es wissen wollte, dass die Situation hier irgendwann eskalieren würde, und dazu auch immer wieder Magazinstücke gemacht für Magazine, wie den „Weltspiegel“ oder auch lange Dokumentationen, z.B. über die Kindergangs in Liverpool. Das war eigentlich allen hier klar, die genauer hingeschaut haben, dass es irgendwann knallen wird. Und mit der aktuellen Regierungspolitik und ihrem unbeirrbaren Sparkurs hat der Unmut nun auch eine Adresse bekommen, an den man ihn richten kann. Gleichzeitig bekommen die Banker in London wieder volle Boni. Nur unten, im Volk, da spürt man die Auswirkungen immer noch. Die Schere zwischen arm und reich ist so weit offen, dass man es sich bildlich kaum noch vorstellen kann. Der Eindruck ‚unten‘ war nun einmal, dass sich oben alle einfach bedienen, wie es Ihnen gefällt und niemand dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Vor diesem Hintergrund wächst dann eben das Gefühl „Warum bedienen wir uns nicht einfach selbst mal?“ Das haben auch ganz viele der Jugendlichen gesagt, die wir befragt haben. Insofern waren die ‚Riots‘ nicht als solche politisch, sie haben aber sehr wohl soziale und damit auch politische Ursachen. Das Schlimme ist nur, dass das hier niemand in der Regierung klar sehen oder gar ansprechen will.