Herr Wolter, Endemol ist derzeit eine der Produktionsfirmen, die mit YouTube und Original Channels große Hoffnungen auf ein Geschäft im Netz haben....
 
Alles ist relativ, sogar im Digital Business: YouTube wird das Fernsehen nicht ersetzen und Endemol das Internet nicht neu erfinden. Aber es gibt eine Zielgruppe, die wesentlich mehr im Web unterwegs ist, als klassisch fern zu sehen. Und sie hat ihre eigenen Sehgewohnheiten. Deshalb ist mit Endemol beyond nicht nur eine Firma für unser Digital Business gestartet, sondern wieder einmal auch ein Stück neue Arbeit und Denken bei uns eingezogen. Endemol beyond ist auf seine Weise genauso fokussiert wie unsere Kreativ Joint-Ventures, sei es Wiedemann&Berg Television, die Herr P mit Jörg Pilawa, der Florida TV mit Joko und Klaas, META productions oder Julia Leischik. Endemol beyond wird sich sehr eigenständig entwickeln, hat dabei im Gegensatz zu Start-ups den Vorteil, an ein großes TV-Entertainmenthaus angedockt zu sein. Denn wie gesagt, ganz neu erfunden wird das Fernsehen ja nicht.



Ihre Web-Formate sind recht kurz. Glauben Sie, dass junge Zuschauer kein Interesse mehr an längeren Formaten haben? Das wäre perspektivisch doch eher suboptimal für Sie...
 
Junge Zuschauer erleben Fernsehen weniger auf dem Flachbildschirm im Wohnzimmer, dafür immer mehr auf anderen Screens. Insgesamt schauen sie dadurch sogar mehr fern, wenn man den Begriff fernsehen nicht auf seinen klassischen Kern reduziert. Wir sind gerade dabei die richtige Tonalität im Netz zu finden. Ob sich die Sehgewohnheiten der Jüngeren mit zunehmendem Alter ändern oder ob wir einen tiefgreifenden demographischen Wandel in Sachen TV-Nutzung erleben werden, kann niemand verlässlich vorhersagen. Egal was passiert: Ich sehe keinen fundamentalen Kampf der Systeme TV und Internet. Im Netz geht es doch um einen klaren Aufmerksamkeitskampf: Bewegtbild gegen Text. Das ist die große Chance für Produzenten: Im YouTube-Pitch haben wir den Zuschlag für drei Kanäle bekommen, die ja bereits gestartet sind, und wir arbeiten am vierten YouTube-Kanal mit Aaron Troschke, dem wunderbaren Berliner „Wer wird Millionär“-Kandidaten, direkt aus seinem Kiosk heraus. Wir haben auch einen Deal mit dem HSV gemacht und produzieren künftig Entertainment-Clips rund um diesen Traditionsverein, was mich als Hamburger besonders freut. All diese Aktivitäten bündeln wir in der Endemol beyond und wenn Sie mich in sechs Monaten fragen, wo wir inhaltlich stehen, bin ich fest davon überzeugt, einen wesentlichen Schritt weiter zu sein.
 
Dass der Erfolg der drei bestehenden YouTube-Channels im sehr überschaubaren Rahmen ist, irritiert Sie dabei also nicht?
 
Wir sind, mit Verlaub, erst in Woche 8. Haben Sie bei DWDL.de nach acht Wochen mal auf die Zahlen geschaut? Sie haben offensichtlich ja auch nicht die Flinte ins Korn geworfen. Für uns ist Endemol beyond auch die Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, bei denen wir die Zuschauer direkt erreichen.
 
Wenn Fernsehproduzenten sich nicht mehr nur auf gutes Fernsehen konzentrieren, sondern zunehmend selbst Gedanken über Vermarktung und Finanzierung machen: Besteht da die Gefahr, dass die künstlerische Kreativität auf der Strecke bleibt?
 
Nein. 2012 war für Endemol aus kreativer Perspektive eines der besten Jahre seiner Geschichte. Wir haben 31 unterschiedliche Fernsehformate für elf verschiedene Sender produziert. So eine Breite hatten wir noch nie. Elf Sendungen davon waren ganz neu – mit einer erfreulich hohen Hit-Quote. Wenn man sich das anschaut, ist klar, wo unsere Prioritäten liegen: Bei aller Liebe zum Web, Fernsehen ist unsere große Leidenschaft. Wir haben in 2013 schon 6 Formate mit neuen Folgen auf Sendung gebracht – „Vermisst“, Steffen Hensslers Livekochshow, die für den Grimme-Preis nominierte „Wiwaldi Show“, „Stars bei der Arbeit“  " Rette die Million" und "Es kann nur Einen geben“. Für Endemol läuft es gerade extrem gut, weil bei uns ganz natürlich gilt: Fernsehen first.
 
Vier Grimme Preis-Nominierungen gibt es in diesem Jahr für Sie - für die „Wiwaldi Show", die Serie „Add a friend“, die ProSieben-Show "Duell um die Welt" und "Wer wird Millionär". Dazu würde mich interessieren: Was ist für Sie gutes Fernsehen? Wie definiert sich das?
 
Früher war eine Grimme-Preis-Nominierung so eine Art Gewinnwarnung. Das hieß auch „Achtung, die Quote wird grauenhaft werden“. Das hat sich geändert, weil die Jury des Grimme-Preises inzwischen durch die Brille des Publikums schaut. Und dabei ist das Publikum wesentlich anspruchsvoller als mancher denkt. Vor allem muss gutes Fernsehen im Gesamtmix überzeugen. Mit Formaten, die Zuschauer auf unterschiedliche Art lange fesseln, mit Formaten, die überraschen – und manchmal auch mit Formaten, mit denen niemand vorher gerechnet hat. Wir müssen da gar nicht theoretisieren: Eine idealtypische gute Fernsehwoche kann auch Endemol liefern: Montags „Wer wird Millionär“ bei RTL und „Circus Halligalli“ bei ProSieben, dienstags hoffentlich ein spannender Film von Wiedemann&Berg, danach „Akte“ bei Sat.1, mittwochs dann „Add a Friend“ bei TNT Serie, donnerstags „Rette die Million“ im ZDF, freitags „Wer wird Millionär“ und „Es kann nur Einen geben“ bei RTL, samstags entweder „Joko gegen Klaas – Das Duell um die Welt“ bei ProSieben oder „Der Super-Champion“ oder „Deutschlands Superhirn“ im ZDF und sonntags dann „Woozle Goozle“ bei Super RTL, „Vermisst“ bei RTL oder „Bitte melde Dich“ bei Sat.1, danach mit etwas Glück ein W&B -“Tatort“, bevor die Endemol-Woche mit der „Wiwaldi Show“ im WDR ausklingt.
 
Nur fürs Protokoll: Die Endemol-Woche hat Herr Wolter gerade tatsächlich in einem Affentempo aufgezählt.
 
(lacht) So viel Programm, so wenig Zeit. Zum Glück habe ich einen Festplattenrekorder und unser Archiv.
 
Wann beantragen Sie eine eigene Sendelizenz? Produzentenfernsehen war ja auch mal eine Zeit lang eine beliebte Fantasie...
 
Ich lebe nicht im Phantasialand. Es gibt eine etablierte Senderlandschaft. Und das ist gut so. Ich fühle mich mit Endemol in der Rolle des Content-Lieferanten sehr wohl. Der alte Satz „Content is King“ hatte noch nie so viel Bedeutung wie derzeit.