Damit sind wir wieder bei der Übermacht der beiden Sendergruppen, die Helmut Thoma zuvor kritisiert hatte...

Helmut Thoma
: Als wir anfingen, durfte nach geltendem Rundfunkrecht niemand mehr als 49,9 Prozent an einem Sender halten, an einem weiteren Sender nicht mehr als 24,9 Prozent. Das war ein Schutzschild gegen zu große Dominanz eines Konzerns. Kirch hat das schon damals im taktischen Zusammenspiel mit seinem Sohn unterlaufen. Erst 1995 kam auf Drängen von Kirch – und ein bisschen auch von Bertelsmann – die medienpolitische Neuregelung, die statt einer zulässigen Höchstbeteiligung nun einen maximalen Zuschauer-Marktanteil von 30 Prozent zuließ. Das war ein absoluter Unsinn.

Jürgen Doetz
: Das war der berühmte Kompromiss von Bad Neuenahr. Die Bundesländer wollten sich einigen und haben abgezählt: Wie viel kommt bei RTL zusammen und wie viel bei Sat.1? Dann haben sie noch drei, vier Prozentpunkte draufgelegt – und fertig war der Kompromiss mit 30 Prozent.

Helmut Thoma
: Die 30 Prozent hatten zur Folge, dass Senderfamilien dieser Art entstanden sind.

Sind Sie auch deshalb so vehement dagegen, weil Bertelsmann dann die Macht übernommen und Ihnen Ihr RTL weggenommen hat?

Helmut Thoma
: Ich wusste damals, was kommen würde. Egoistisch betrachtet, war es nicht in meinem Interesse. Aber abgesehen davon war die alte Regelung eine gute Garantie gegen zu hohe Konzentration und dagegen, dass irgendwelche Finanzheuschrecken deutsche Senderfamilien auspressen. Heute stehen beide Gruppen mehr oder weniger zum permanenten Verkauf. Bei Bertelsmann wird es zwar eher versteckt, aber wenn jemand den richtigen Preis bietet, hängt in Gütersloh sicher kein Herzblut an der RTL Group, wie ja unlängst schon der 25-Prozent-Verkauf angedeutet hat. Permira und KKR sind dabei, sich mit hohem Gewinn aus ProSiebenSat.1 zurückzuziehen – das ist ihr Wesen und Geschäftszweck.

Helmut Thoma© DWDL.de / Tilman Schenk

Ist es denn ein zwangsläufiger Automatismus, dass starke Sendergruppen zur Verflachung des Programms neigen, wie Sie kritisiert haben?

Helmut Thoma: Bei den Privaten gibt es keine große Zahl von Stellen mehr, die man einsparen könnte. Also macht man das Programm möglichst billig – wenig eigenproduzierte Serien, viel Scripted Reality und Casting-Shows. Dafür hätte meine Vorstellung gar nicht ausgereicht, dass man stundenlang einem Immobilienmakler oder einem Schuldnerberater zuschauen könnte. Warum eigentlich nicht auch mal einer Toilettenfrau? Die Leute gucken es, weil's nicht viel anderes gibt. In der Endstufe des Sparens steht dann vielleicht das animierte Testbild.

Jürgen Doetz: Herr Thoma, ich bitte Sie! Man kann doch nun wirklich nicht nur alles schlechtreden! Sie haben ohne Zweifel viel geleistet, was erfolgreiche Programmideen angeht. Besonders sauer war ich immer auf den Erfolg von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", weil uns das auch angeboten worden war. Aber das Sehverhalten ist heute ein ganz anderes als zu Ihrer Zeit! Programmangebote, die heute auf das Interesse der Zuschauer stoßen, finde ich völlig legitim. Jeder Sender sucht doch nach guten Ideen. Und auch nach Ihnen gab's und gibt's noch verdammt viel Kreativität!

Helmut Thoma: Dann sprechen Sie mal mit all den ambitionierten Produzenten, die in den letzten Jahren Pleite gegangen sind. Sprechen Sie mal mit den aktiven Produktionsfirmen – da jammern sich alle die Hucke voll, weil von Seiten der privaten Sender weitgehend Stillstand herrscht. Sprechen Sie mit den unabhängigen Kleinsendern, die am Rande der Existenz dahinvegetieren, weil die beiden Großen immer neue Sender absondern. Das ist doch das Ergebnis dieses Duopols! Wobei man den beiden Gruppen selbst gar keinen Vorwurf machen kann. Deren Ziel ist halt, möglichst hohe Gewinne und Renditen zu erwirtschaften. Aber da muss doch irgendwann mal die ordnungspolitische Hand eingreifen!

Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Helmut Thoma
: Da muss man klipp und klar sagen: Zerschlagt die Senderfamilien! So wie die Amerikaner schon vor hundert Jahren die viel zu groß und marktverzerrend gewordene Standard Oil entflochten haben. Wenn es eine dritte oder vierte Kraft gäbe, könnte der gesamte TV-Markt wesentlich gesünder leben. Heute machen die großen Media-Agenturen doch quasi nur noch Deals mit den beiden großen Senderfamilien. Das Bundeskartellamt schläft vor sich hin und die Medienpolitik sowieso. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht schon 1994 in seinem Niedersachsen-Urteil gesagt: Wenn ein Ungleichgewicht auftritt, müssen wir zum Zwei-Säulen-Modell greifen. So einfach ist es! Und die Zeit ist jetzt da!

Jürgen Doetz
: Herr Thoma, es fällt mir schwer Ihnen zuzuhören, wenn Sie von Entflechtung und Zerschlagung sprechen. Das ist Ihr persönlicher Wunschtraum, weil Ihr Volks.TV nicht funktioniert hat...

Helmut Thoma
: Das wird noch funktionieren, Sie werden sich wundern!

Jürgen Doetz
: Jedenfalls gibt es aktuell überhaupt keinen Grund, warum das Bundesverfassungsgericht eingreifen sollte. Wenn, dann höchstens, um überkommene Schranken abzubauen – aber doch nicht, um neue aufzubauen. Die Herausforderungen an unseren Markt liegen in Wahrheit ganz woanders. Wir haben heute globale Giganten im Wettbewerb gegen uns. Sie können doch nicht ernsthaft glauben, man könnte Google & Co. mit 50 Volks.TV-Sendern bekämpfen!

Jürgen Doetz© DWDL.de / Tilman Schenk


In dieser Frage werden wir zwischen Ihnen beiden wohl keine Einigkeit mehr erleben. Glauben Sie denn, dass wir das 40-Jährige des Privatfernsehens noch feiern werden?

Helmut Thoma
: Ich glaube schon. Hoffentlich sogar mit einer deutlich größeren Vielfalt als heute, weil das Problem dann gelöst sein wird und die Messies in einen eigenen Kanal verschwunden sind!

"Es ist das letzte Mal, dass wir das Privatfernsehen in dieser Form feiern - jedenfalls mit der Betonung auf Fernsehen"

Jürgen Doetz


Jürgen Doetz
: Ich glaube, es ist das letzte Mal, dass wir das Privatfernsehen in dieser Form feiern – jedenfalls mit der Betonung auf "Fernsehen". Mit uns wurde das duale Rundfunksystem geschaffen – aber künftig noch von "Rundfunk" zu sprechen, wäre zu kurz gegriffen. Angesichts der zahlreichen neuen Programmanbieter und Plattformbetreiber, die in den Markt drängen, wird es das klassische duale Rundfunksystem so in zehn Jahren nicht mehr geben. Die Marken RTL und Sat.1 gibt es dann sicher noch – nur die Unternehmen dahinter werden keine reinen Privat-Fernseh-Unternehmen mehr sein. Das werbefinanzierte lineare Fernsehen wird für sie nur noch ein Geschäftsfeld neben anderen sein. Im Vergleich zu dem, was vor 30 Jahren passiert ist, stehen wir heute vor viel größeren Umbrüchen.

Herr Thoma, Herr Doetz, wir danken Ihnen für das Gespräch.