Sehen Sie in dem Zusammenhang Fortschritte im Kampf der Produzenten um die Rechte an ihren Produktionen?

Nein, da haben wir noch keinen Kampf gewonnen. Es ist aber meine Hoffnung, dass auf allen Seiten eine Bereitschaft entsteht, sich neuen Modellen nicht gleich zu verwehren. Produzenten kämpfen ja seit Jahren für ihre Rechte; der Streit ist so alt wie das Fernsehen. Mit all den neuen Plattformen und Partnern ergibt sich ja jetzt erstmals ein spürbarer Grund, warum es nicht länger sein darf, dass tolle Produktionen, egal ob Filme, Serien oder Dokumentationen, nach einer TV-Ausstrahlung einfach im Keller des Senders liegen bleiben. Produzenten befinden sich im Grunde doch gerade in einer guten Situation: Wir sind es, die die Inhalte erstellen. Das sind nicht die FreeTV-Sender, nicht die PayTV-Sender, nicht die SVoD-Betreiber. Da liegt die Chance für uns Produzenten.



Sind internationale Koproduktion auch eine neue Spielform für die Constantin?

Die Constantin Film beschäftigt sich in jüngster Zeit sehr intensiv mit dem internationalen Fernsehgeschäft. National gesehen waren wir ja schon immer sehr präsent, aber wir öffnen uns gerade für internationale Koproduktionen im TV, so wie wir das seit Jahren schon im Kino machen. Das ist ein sehr wichtiges Umfeld. Egal ob es dabei um lokal von uns allein produzierte, aber auf englisch gedrehte Produktionen geht, die damit gleich von vorn herein für den Weltmarkt konzipiert sind - oder die internationale Koproduktion mit anderen Partnern, die gezielt für andere Märkte oder den internationalen Verkauf gedacht sind und gar nicht primär für Deutschland. Wir spüren auch einen irrsinnigen Zulauf von internationalen Interessenten bei unserer Stoffentwicklung. Und das ist fantastisch.

Wie entwickelt sich Ihrer Ansicht nach eigentlich das Verhältnis von Fernsehen zu Kino Das war mal ein Glaubenskrieg zwischen der ehrwürdigen Leinwand und dem schnell konsumierten Fernsehen - das allerdings meist weit mehr Zuschauer erreicht…

Meistens, aber es gibt ja auch Ausnahmen, wenn wir an „Fack Ju Göhte“ denken. Ich glaube, dass die Kreativen der jüngeren Generationen der Nutzer, wie der Kreativen immer weniger Probleme haben, zwischen den Welten zu wandeln. Wir produzieren ja gerade die Serie „Schuld“, basierend auf Schierachs zweitem Buch und in der Hauptrolle ist Moritz Bleibtreu, der eigentlich nie Fernsehen machen wollte. Plötzlich kommt das richtige Projekt und es passt. Ich glaube, dass das Kino sich sehr stark entwickelt und entwickeln muss, weil es ja immer schwerer wird, ein Publikum tatsächlich dazu zu bewegen, aus dem Haus zu gehen, wenn wir zuhause immer mehr HD-Fernseher haben und sehr viel Inhalte inzwischen frei Haus bekommen. Welche Filme bringen die Menschen dazu, das zu tun? Das wird eine ganz wichtige Frage für das Kino werden. Und auf der anderen Seite die Frage, welche Möglichkeiten uns das - ich nenne es jetzt mal nicht mehr Fernsehen, wenn Sie einverstanden sind - Homeviewing, ermöglicht. Beide Bereiche werden sich verändern aber ich glaube nicht, dass es eine Frage des Wettbewerbs zwischen Kino und Homeviewing ist. Das Kino muss für sich noch einzigartiger, extremer werden, um seinem Status als Gemeinschaftserlebnis gerecht zu werden.

Muss Kino also dieses Gemeinschaftserlebnis als Vorteil ausspielen, weil ich technisch beim Homeviewing oft bessere Bild- und Tonqualität habe als in manchen Kinos?

Es muss das nicht ausspielen, es wird es ausspielen. Weil die Menschen gerne kommunizieren und Kino ein Gemeinschaftserlebnis ist. Für „Tatorte“ oder die Fußball-WM erleben wir doch auch unzählige Public Viewings. Dieses Lagerfeuer-Gefühl erleben wir doch heute sogar intensiver als früher, nur eben nicht mehr so oft. Aber wenn, dann umso intensiver. Es gibt doch ein regelrechtes Revival dieses Gemeinschaftsgefühls, aber man muss eben das Programm dafür schaffen. Die Komödie ist als Genre geradezu dafür geschaffen, weil es doch nichts Tolleres gibt als gemeinsam zu lachen. Aber nicht jeder Film bzw. jedes Genre hat das Potential dafür. Für das Homeviewing übrigens, da gilt wiederum die neue kreative Freiheit. Da sprachen wir ja schon drüber. Da kann es heute nischiger werden als jemals zuvor. Und allein deshalb konkurrieren Kino und Homeviewing in Zukunft vielleicht sogar noch weniger miteinander als bisher.

In den USA hat sich u.a. Dreamworks-Gründer Jeffrey Katzenberg dafür ausgesprochen, das Kinofenster zu verkürzen, um Filme zeitnah auch via VoD verfügbar zu machen. Solche Szenarien müssen doch für Kino-Betreiber beunruhigend sein…

Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich ihnen sagen, bin ich da anderer Meinung. Ich glaube, dass irgendwann in der nahen Zukunft der Moment kommen wird, an dem wir dem Konsumenten die völlige Freiheit geben, zu entscheiden auf welchem Wege er Inhalte konsumieren will. Und das ist auch okay. Wenn Leute einen Film wie „Fack Ju Göhte“ fünf Mal im Kino sehen, dann hat das einen anderen Grund. Ich glaube, wir müssen dem Publikum da ruhig mal so viel Mündigkeit zutrauen. Aber es wird eine gehörige Portion Innovation, auch im Bereich Marketing und Pressearbeit, dazu gehören. Wenn wir mal in die imaginäre Glaskugel gucken, glaube ich, dass die Tendenz dahin geht, dass Programm auf verschiedenen Plattformen zur gleichen Zeit verfügbar sein wird und man damit unterschiedliche Möglichkeiten hat, die Programme zu konsumieren. Ein anderer großer US-Studiochef hat ja neulich schon kurzerhand etwas salopp vorgeschlagen: Man zahlt künftig nach der Größe des Screens auf dem man die Programme guckt. Warum nicht? Wir leben in einer Zeit, in der wir gut daran tun, nicht jeden Gedanken gleich arrogant wegzuwischen, sondern offen sind für einen Austausch - insbesondere mit den Konsumenten. Das beste Geschäftsmodell ist das, was den Konsumenten das ermöglicht, was sie gerne möchten. Allerdings auch nur, wenn dieses Modell uns weiterhin ermöglicht, die Programme und Filme aus den generierten Erlösen zu finanzieren.

"Wir führen gerade Gespräche wegen einer Adaption von 'Verbrechen'"

Damit wird die Windowing-Politik vermutlich zur wichtigsten Frage der Branche in den kommenden Jahren?

Absolut. Das Problem an der Thematik ist natürlich nicht die Nutzer-Sicht. Die würden sich über mehr Wahlmöglichkeiten freuen. Die Industrie aber muss - im Namen der Nutzer - dafür sorgen, dass alle Beteiligten dabei fair wegkommen, damit auch in dieser neuen Medienwelt weiter Geld für kreative Ideen und dessen Verwirklichung verfügbar ist. Neue Verwertungsfenster dürfen natürlich nicht dazu führen, dass die Wertigkeit von Filmen und Serien soweit sinkt, dass die zu erzielenden Erlöse keine Produktionen mehr refinanzieren.

Warum werden eigentlich gerade dänische, französische, britische oder spanische Serien in den USA adaptiert, aber keine deutsche Produktion?

Da haben sie Recht, da müssen wir aufholen. Zumindest ist noch keine Adaption einer deutschen Serien-Idee auch in Produktion gegangen. Wir führen gerade Gespräche wegen einer Adaption von „Verbrechen“, aber manchmal dauert das länger. Man muss aber auch sagen, dass viele deutsche Produktionen eben von der Anlage der Charaktere bis zu den Geschichten einzig und allein auf Deutschland zugeschnitten. Und das muss sich verändern.

„Verbrechen“ wurde in Doppelfolgen ausgestrahlt. Waren Sie zufrieden damit? Oder ärgert es, weil die Produktion so gar nicht richtig als Serie wahrgenommen wurde.

Damals war es gut, da war ich unglaublich froh, weil ich unbedingt auf den Sonntags-Sendeplatz wollte. Die neue Staffel „Schuld“ wird allerdings in Einzelfolgen ausgestrahlt. Im Nachhinein denkt man sich natürlich auch, wie toll es gewesen wäre, „Verbrechen“ über sechs Wochen zu zeigen und nicht schnell zu versenden. Aber nachher weiß man ja immer mehr. „Das Adlon“ oder „Unsere Mütter, unsere Väter“ - das waren alles Miniserien. Uns ist die Begrifflichkeit nur so fremd. Da mögen die Öffentlich-Rechtlichen lieber den altbekannten Mehrteiler, weil der beim Publikum schon eingeführt ist.

Sie waren im Mai ebenfalls bei den LA Screenings. Welche Erkenntnisse haben Sie von der Sichtung der neuen US-Serienpiloten mitgenommen?

Ich fand dieses Jahr im Vergleich zum Vorjahr sehr viel spannender. Man muss jetzt unterscheiden, ob man die Serien unter der Maßgabe betrachtet und bewertet, dass man sie kauft oder gekauft hat und jetzt programmieren muss. Oder ob es Serien gibt, die persönlich gefallen und die zu Denkprozessen im Gehirn führen, weil sie anregen. Das ist die viel schönere Betrachtung, weil sie nicht so eng gesteckt ist und man sich einfach mal von Inhalten bewegen lässt. Und das lustige ist - nicht dass sie das jetzt erschreckt - dass man aus den schlechten Piloten viel mehr lernt als aus den guten Serien.

Also lohnt sich für Sie die Reise nach Los Angeles als Inspiration?

Diese räumliche und zeitliche Konzentration der LA Screenings, bei der man in wenigen Tagen so viele Serien-Piloten zu sehen bekommt, bringt einen wertvollen Blick auf das, was US-Produzenten gerade für gutes Fernsehen halten. Das inspiriert auch. Es geht um das Entdecken von Variationen des Bekannten, denn das Fernsehen erfindet sich ja schließlich nicht neu. Das Geschichten erzählen wird auch meist nicht neu erfunden. Aber es ist spannend zu sehen, wie z.B. die grundlegenden Elemente einer Crime-Serie neu interpretiert und arrangiert werden. Und um das Fühlen der Temperatur, also wie kommen die Serien bei den Besuchern der Screenings an. Das merkt man ja sofort. Wann wird gelacht, wann wird gebangt, wann stehen die Menschen auf und gehen raus, weil es einfach furchtbar ist.

"Wenn uns der Erfolg von Kabelsendern in den USA etwas lehren sollte, dann doch, dass gute Serien gefunden werden"

Es gab ja wirklich bemerkenswerte Serien zu entdecken. Einer meiner Favoriten war „Red Band Society“ bei ABC Studios. Eine unerwartet berührende, völlig andere Krankenhaus-Serie als alle Produktionen, die wir kennen. Aber da machen sich Sender schon wieder Sorgen, ob sich so etwas programmieren lässt…

Und da fängt doch schon der Fehler an. Wenn ich einen Serien-Piloten gesehen habe, der wirklich gut war und mich berührt; über den ich danach noch rede, dann darf es da keine zweite Ebene der Beurteilung geben. Wenn die Serie die Einkäufer bei den Screenings berührt, dann wird sie das auch bei den Zuschauern tun. Ich persönlich fand „Secret & Lies“ von ABC Studios fantastisch. Das ist jetzt auch keine Neuerfindung des Seriengenres, aber eine spannende, dramatische Geschichte die einen sofort reinzieht. Und dann gab es noch etwas: „The Affair“ von CBS, die mit das beste Screening in diesem Jahr hatten.