Herr Weinek, Herr Rotstein, Sie setzen bei History und A&E verstärkt auf deutsche Eigenproduktionen, darunter auch Flaggschiff-Dokumentationen. Welchen Ansatz verfolgen Sie, den die Öffentlich-Rechtlichen nicht schon erschöpfend dargestellt haben?

Emanuel Rotstein: Genau das ist die Herausforderung, die auch so großen Spaß macht. Wir suchen natürlich nach den Ansätzen, die noch nicht beackert wurden, und wollen bei Ereignissen von internationaler Bedeutung den deutschen Blickwinkel betonen. Dieser Aspekt der Lokalisierung des Themas ist für uns sehr wichtig, denn nur durch diesen Ansatz können wir Programme wie etwa die kürzlich gezeigte Produktion „Die Befreier“ auch wieder international auswerten. Im Falle unserer preisgekrönten 9/11-Dokumentation „Ich überlebte! Deutsche Schicksale am 11. September“, die 2011 für The Biography Channel (Bio) entstand, hatten wir beispielsweise zwei deutsche Protagonisten gefunden, die sich zuvor noch nie vor der Kamera dazu geäußert haben.

Verkaufen Sie die fertigen Produkte oder holen Sie sich gleich zur Co-Finanzierung Partner ins Boot?

Andreas Weinek: Da entwickelt sich gerade etwas sehr Spannendes, das auch den Erfolgen der Produktionen von Emanuel geschuldet ist. Unsere Kollegen im Ausland wurden schon aufmerksam und in den USA ist man bereits auf unsere Produktionen angesprungen. Das war früher undenkbar. Da agierten unsere US-Kollegen sehr autark mit Fokussierung auf ihren Markt und exportierten lediglich. An Import war nicht zu denken. Zusammen mit den Arbeiten unserer spanischen, britischen und italienischen Kollegen entsteht da gerade ein internationaler Programmaustausch mit dem Mutterhaus. Besonders erfolgreich war das bei unserer Holocaust-Dokumentation „Die Befreier“, die etwa auch von den History-Ablegern in Spanien, Israel und anderen Ländern gezeigt wurde bzw. wird.

Wenn wir von Eigenproduktionen sprechen - von welchem Modell sprechen wir dann?

Weinek: Wenn wir von Eigenproduktionen bei History und A&E reden, dann gibt es da zwei verschiedene Arten. Wir haben serielle Formate, die sich mit deutschen Geschichten und Akzenten in der Tonalität des Gesamtprogramms einfügen und den Sender so lokalisieren. Diese Programme lassen wir in der Regel von Produktionsfirmen für uns erstellen. Darüber hinaus, und was uns sehr deutlich von anderen Pay-TV-Sendern unterscheidet, suchen wir beim Thema Eigenproduktionen auch immer wieder Themen und Ansätze für Einzelstücke wie „Die Befreier“, „Der elfte Tag – Die Überlebenden von München 1972" oder „Die Legion – Deutscher Krieg in Vietnam“. Diese Prestige-Dokumentationen entstehen bei uns inhouse - von der Idee über die Umsetzung bis zur Vermarktung bzw. PR. Das sind unsere beiden Erzählschienen. Im Bereich der Eigenproduktionen haben wir mit History sehr früh begonnen: Die ersten reichen zurück ins Jahr 2005. Inzwischen blicken wir auf mehr als 50 Sendungen zurück. Aus den ersten Gehversuchen von damals – 2006 zum Beispiel die Reihe „History Spots“ mit Axel Milberg – sind heute sehr aufwändige Produktionen geworden, die von einer eigenen Abteilung unter der Verantwortung von Emanuel realisiert werden.

Rotstein: Wichtig ist uns bei Eigenproduktionen - egal ob inhouse, als Auftragsproduktionen oder irgendetwas dazwischen -, dass wir Zugriff auf die Protagonisten haben, also Fotoshootings, Zusatz-Content, Pressetermine etc. koordinieren können. Um in der Sparte aufzufallen, müssen wir die Möglichkeit haben, hier flexibel alle Register zu ziehen. Ein fertig geschnürtes Programm ohne Zugriffsmöglichkeiten ist für uns weniger spannend.

"Jahrestage spielen in unserer Planung eine große Rolle. Da bietet es sich an, das mediale Umfeld und das erhöhte Interesse für ein Thema zu nutzen."

Andreas Weinek

Suchen Sie gezielt Programme oder sind Sie offen für Vorschläge von Produktionsfirmen?

Rotstein: Wir sind offen für Vorschläge, aber haben schon zu oft feststellen müssen, dass sich Produktionsfirmen nicht im Ansatz mit unseren Sendern befasst haben, bevor sie zu uns gekommen sind. Wenn man berücksichtigt, in welche Richtung sich History in den USA entwickelt, wie sich unser Programm in Deutschland entwickelt hat und in welchen Genres wir aktiv sind, dann würde das schon helfen. Dokumentationen über Essen aus aller Welt oder den chinesischen Kaiser - das passt entweder nicht zu uns, sprengt unser Budget oder entspricht eher dem History-Programm von vor zehn Jahren.

Weinek: Da sehen wir oft in enttäuschte Gesichter. Da muss man dann hin und wieder sagen: Sorry, aber sowas zeigen wir seit zehn Jahren nicht mehr. Wir brauchen einen Bezug zum Thema und eine Geschichte, die sich erzählen lässt. Wenn man Protagonisten findet, die eine faszinierende neue Facette ermöglichen, gerne. Aber beim chinesischen Kaiser ist das eher unwahrscheinlich.

Rotstein: Aber es gibt auch Produktionsfirmen, die uns wunderbare Charaktere vorgestellt haben wie Tobias „Kasi“ Kasimirowicz. In diesem Fall hatten wir bei der Berliner Produktionsfirma Propeller Film angefragt, ob sie eine Idee zum Thema Antiquitäten und Oldtimer hätten; ob sie einen Typen kennen, bei dem es sich lohnen würde, mal mit der Kamera vorbeizuschauen. Und dann haben sie uns Kasi vorgestellt. Der kehrt nach zwei Staffeln von „Rost’n’Roll - Kasis Werkstattgeschichten“ im November mit dem neuen Format „Käpt’n Kasi – Auf hoher Spree“ zurück ins History-Programm. Kasi ist da auf einem Hausboot unterwegs. Zurzeit drehen wir auf den verwinkelten Wasserwegen in und um Berlin, unter anderem mit Gedeon Burkhard, Mariella Ahrens und Gunter Gabriel, die Kasi bei seinen Abenteuern auf hoher Spree unterstützen.

Wenn wir nochmal zu den Flaggschiff-Dokumentationen kommen. Welche Themen reizen Sie derzeit?

Rotstein: Es geht mir um spannende Lebensgeschichten und menschliche Gefühle, sei es bei Vietnam, Dachau oder 9/11. Es geht darum, diese Ereignisse anhand von echten Geschichten nahbar zu machen.

Weinek: Jahrestage spielen in unserer Planung eine große Rolle. Da bietet es sich an, das mediale Umfeld und das erhöhte Interesse für ein Thema zu nutzen. Diese Gelegenheiten müssen wir nutzen, denn dann gelingt es uns aus der Erfahrung heraus am besten, als Spartensender Aufmerksamkeit für Eigenproduktionen zu generieren. Wenn wir nicht von seriellen Produktionen sprechen, sondern Einzelstücken, dann müssen Sie sich im Pay-TV schon genau überlegen, wie ich eine Ausstrahlung so terminiere, dass sich aufwändige Eigenproduktionen nicht einfach versenden.

Welche Rolle spielen denn die tatsächlichen Premieren-Ausstrahlungen für Sie? Mit Verlaub: Sie erreichen ja selten die Aufmerksamkeit großer frei empfangbarer Kanäle.

Weinek: Pay-TV funktioniert da sicherlich anders als das frei empfangbare Fernsehen. Bei uns kann auch die - übertrieben formuliert - 25. Wiederholung einer Produktion so erfolgreich sein wie die Erstausstrahlung. Wir kriegen ja nun nicht für jede Sendung die maximale Aufmerksamkeit. Die Premiere müsste man mit einem gänzlich unrentablen Mediendruck bewerben, so dass wir im Pay-TV stattdessen lieber auf die mehrfache Verwertbarkeit setzen.