Herr Stutzky, welche Gefühle haben Sie mit etwas Abstand, nachdem Sie die Ereignisse als Sportreporter in Paris und Hannover erlebt haben?

Das Gefühl, das sich in den Tagen danach einstellt, lässt sich schwer in Worte fassen. Man merkt, dass etwas in einem vorgeht und dass sich das Bewusstsein verändert hat. Nach den Vorkommnissen habe ich realisiert, dass jeder Mensch komplett anders mit solchen Situationen umgeht und die Eindrücke individuell verarbeitet. Einige Kollegen waren ganz entspannt, weil sie ja nicht direkt betroffen waren. Andere sagten mir, dass es wohl einige Wochen dauern würde, bis sie darüber hinweg sein werden.

Wie verhält es sich mit Ihnen?

Ich habe die letzten Nächte schlecht geschlafen und mir viele Gedanken gemacht. Grundsätzlich bin ich ein Typ, der sehr viel reflektiert und sich ausmalt, was einem selbst alles hätte passieren können. Als die Polizei in Hannover durchsagte, das Stadion müsse evakuiert werden, und wir uns alle möglichst weit entfernen sollten, konnte uns allerdings niemand sagen, was passiert ist – aber man musste davon ausgehen, dass im Stadion Gefahr bestand. Andererseits dachte ich mir, dass die Terroristen, so es sie denn gab, genau das wollten, nämlich die Menschen vor das Stadion zu locken. Aus dem Learning heraus, dass es ihnen in Paris nicht gelang, das Stadion zu betreten. Bei diesem Gedanken fühlte ich mich plötzlich noch unwohler. Dieses mulmige Gefühl im Bauch verstärkte sich dann weiter. Man hält sich für einen vernünftigen, rational denkenden Menschen und weiß in solchen Momenten trotzdem nicht, was richtig oder falsch ist.

Lassen Sie uns auf den Freitag zu sprechen kommen. Da waren Sie mit vielen Kollegen beim Spiel in Paris - und plötzlich kamen erste Meldungen über Tote vor dem Stadion. Lässt sich das schnell realisieren?

Man realisiert das sofort. Ich habe gespürt, wie ein Angstgedanke in mir hochkam und wollte den Kollegen möglichst schnell mitteilen, was zu diesem Zeitpunkt an gesicherten Informationen bekannt war. Im Stadion geisterten plötzlich wilde Gerüchte umher. Ich bekam SMS, in denen von Schüssen im Stadion die Rede war. Das entsprach letztlich gar nicht der Wahrheit. Uns war aber schon beim ersten Knall klar, dass es sich nicht um normale Feuerwerkskörper handeln kann. Erst in der Halbzeitpause haben wir dann nach und nach von den Schießereien in der Innenstadt und von den Explosionen außerhalb des Stadions gehört. Das Spiel geriet damit automatisch zur Nebensache. Ich habe mich in der zweiten Hälfte gar nicht mehr darum gekümmert und bin zu den Stadiontoren gelaufen, die allerdings geschlossen waren. Ein Glück, dass die Menschen so ruhig geblieben sind.

Wie verlief die Nacht?

Der Präsident des französischen Fußballverbands gab uns in der Mixed Zone ein Interview, in dem er uns klar machte, in Sicherheit zu sein. Wir blieben daraufhin bis 2:15 Uhr und sind dann zunächst 300 Meter zu Fuß vom Stadion zum Journalisten-Bus gelaufen, der auf uns wartete. Dabei kam es zu einer mulmigen Begegnung mit einer Person, die mit dunklen Klamotten und Kapuzenpulli auf uns zugejoggt kam. Sie war völlig harmlos, strahlte aber in diesem Moment ein beängstigendes Gefahrenpotenzial aus. Da fällt es schwer zu reflektieren. Der Weg in die Stadt war lang und ruhig, kaum einer hat gesprochen. Als wir im Hotel ankamen, waren für den Moment alle erleichtert – zumindest so weit das möglich ist angesichts von mehr als 100 Toten, von denen plötzlich die Rede war.

Mit der Erleichterung war es am Dienstag nach der Spielabsage plötzlich wieder dahin. Halten Sie es rückblickend eigentlich für falsch, dass das Länderspiel überhaupt angesetzt wurde?

Nein, überhaupt nicht. Am Samstag hatte ich zwar zunächst noch das Gefühl, dass das Spiel nicht stattfinden dürfe, aber da die Franzosen den Takt vorgaben, indem sie sich für das Spiel gegen England entschieden, habe ich meine Meinung geändert. Es ist richtig gewesen, dem Terror die Stirn zu bieten und sich nicht in die Knie zwingen zu lassen. Die Situation in Hannover muss man völlig neu bewerten, weil plötzlich offenbar konkrete Hinweise über einen möglichen Anschlag vorlagen, die man vorher schlicht noch nicht besaß.

Empfohlener externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt. Sie können sich den Inhalt anzeigen lassen. Dabei können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

strong>Wie haben Sie die Berichte rund um die Ereignisse in Paris und Hannover wahrgenommen?

Medien werden leider in unserer Zeit davon getrieben, schneller und aktueller als alle anderen zu berichten. Deshalb ist es leider oft der Fall, dass Informationen weitergegeben werden, die gar nicht der Wahrheit entsprechen. Das ist traurig und schade, denn wir Journalisten sind in meinen Augen dazu da, nur das zu berichten, was sich auch gesichert sagen lässt, und haben da auch eine wichtige Verantwortung. Ich will allerdings kein Urteil über Kollegen und Berichterstatter abgeben. Wichtig ist, dass die entscheidenden Informationen ankamen und die Stadionbesucher in Paris und Hannover heil nach Hause gekommen sind.

Herr Stutzky, vielen Dank für das Gespräch.