Martin Eigler© SWR
Herr Eigler, fangen wir vorne an: Wie kam es zu Ihrer Serie „Morgen hör’ ich auf“?

Martin Eigler (Foto): Wir, also Sönke Lars Neuwöhner, Sven S. Poser  und ich, haben uns im Jahre 2009 vor dem Hintergrund der Finanzkrise mit dem Thema beschäftigt: Was bedeutet wirtschaftlicher Niedergang für den Einzelnen? Was bedeutet das in Deutschland, wo es vielen Menschen gut geht und wo es doch ganz schnell passieren kann, dass man seinen Wohlstand verliert. Darüber haben wir nachgedacht, und die Figur des Jochen Lehmann entstand. Er ist ein typischer Vertreter der Erben-Generation, was der Geschichte noch eine zusätzliche Fallhöhe gibt: Denn wenn sich dieser nicht selbst verdiente Wohlstand plötzlich auflöst, ist die Panik umso größer. Das fanden wir als Ausgangssituation für unsere Geschichte spannend.

Es macht, glaube ich, den großen Reiz der Serie aus, dass es nicht der grundunsympathische Banker ist, der von seinem Chefposten stürzt, sondern eine Durchschnittsfamilie.

Martin Eigler: Genau – es sollte ein durchschnittlicher Bürger sein. Und genau deswegen wollten wir auch nach Bad Nauheim.

Das war gesetzt?

Martin Eigler: Das war ganz früh gesetzt. (lacht) Wir wollten unbedingt in die Nähe von Frankfurt, um die große Finanz-Metropole in der Nachbarschaft zu haben. Und Bad Nauheim war für uns eben ein deutscher Durchschnittsort.

Ein zweifelhaftes Kompliment. Sie machen sich über den Ort ja durchaus ein bisschen lustig mit der immer wiederkehrenden Elvis-Statue…

Bastian Pastewka: Wir zeigen das Leben im Schatten der Frankfurter Bankentürme, die man aus Bad Nauheim von gewissen Höhen aus auch noch sehen kann. Das war ein perfektes Set. Und diese Elvis-Statue da gibt es ja wirklich - auf diesem charmanten Kreisverkehr zwischen Tankstelle, Baumarkt und Kaserne.

Martin Eigler: In der Elvis eineinhalb Jahre stationiert war, in der er aber nur einmal übernachtet hat.

Wer den Ort nicht kennt, hält diese absurd platzierte Statue für einen Gag der Produktion.

Bastian Pastewka: Wozu erfinden, wenn man die Realität abfilmen kann? (lacht)

Wie kamen Sie zu dem Projekt, Herr Pastewka?

Bastian Pastewka: Ich bekam freundlicherweise die Anfrage vom ZDF von der Redakteurin Elke Müller, die auch schon meinen 2011er Film „Mutter muss weg“ betreut hatte. Ich las das fertige Drehbuch der ersten Folge und war erstmal sehr begeistert. Dann gab es schnell ein Treffen mit allen Beteiligten, wo wir uns erst einmal über das tolle Buch ausgetauscht haben. Ich mochte die Figur, das tolle Ensemble der Charaktere, die sich aufbauende Dramatik und hatte wirklich zwei Stunden großes Vergnügen mit dem Lesen des Drehbuchs. Ja, ich weiß, ich bin langsam beim Lesen. Die Aussicht darauf, dass einer der Autoren auch Regisseur sein würde, war sehr verlockend.

Wieso?

Bastian Pastewka: Das ist ja sonst immer eine organisatorische Hürde, wenn sich Regisseur und Autor oder Autoren einig werden müssen. Das entfiel hier, weil sich der Regisseur zu 250 Prozent mit dem Stoff identifizieren konnte.

Sie sagten eben, Sie brauchen länger für das Drehbuch-Lesen. Warum?

Bastian Pastewka: Ich mache mir vor allen Dingen immer ganz viele Notizen, weil ich ganz schlecht mit Namen bin. „Wer ist jetzt nochmal wer?“ und sowas. Aber bei dem Buch war es dann nach 30 Seiten so, dass ich meinen Notizblock weggelegt habe, weil ich einfach erstmal wissen wollte wie es weitergeht.

Herausgekommen sind jetzt am Ende fünf mal 60 Minuten. Eine ungewöhnliche Folgenzahl und Folgenlänge. Wie kam es ausgerechnet dazu?

Martin Eigler: In der frühen Phase gab es unterschiedliche Überlegungen dazu, wie wir die Geschichte erzählen. 6 mal 45 min wurde genau so diskutiert wie 4 mal 60 min. Am Ende haben wir uns dann für die Aufteilung 5x60 min entschieden, weil das den dramatischen Bögen der Geschichte am ehesten entsprach und genügend Raum und Ruhe für alle Familienmitglieder und die wichtigen Nebenfiguren bot.

Bastian Pastewka: Die Serie war von Anfang an und blieb bis zum Schluss eben auch eine in jeder Hinsicht überraschende Serie, was Vorbereitung, Durchführung und auch die Endfertigung anging. Als der Anruf kam „Du, aus viermal 60 Minuten sind jetzt fünfmal 60 Minuten geworden.“ dachte ich mir: Was ist denn jetzt schon wieder los? (lacht).

Ich glaube es tut gut, dass man das Tempo nicht weiter angezogen hat, weil es der Nachvollziehbarkeit der Geschichte und ihrer schleichenden Eskalation hilft. Etwa das Zögern, das frische Falschgeld dann auch tatsächlich einmal einzusetzen.

Bastian Pastewka: Da dürfen wir Frau Fleischhauer nicht unerwähnt lassen!

Wer ist denn jetzt Frau Fleischhauer?

Bastian Pastewka: Das ist die Dame aus dem Schreibwarengeschäft im Frankfurter Bahnhofsviertel, bei dem Herr Lehmann versucht sein Falschgeld einzusetzen, aber es aus Sympathie zu der Frau nicht tut. Sie arbeitet übrigens original dort in diesem Laden.

Martin Eigler: Wir hatten auch für diese kleinen Rollen gecastet, aber da sagte mir auf Anhieb niemand zu. Als wir dann die Motivbesichtigung im Schreibwarenladen im Frankfurter Bahnhofsviertel hatten, fiel uns Frau Fleischhauer auf und sie passte ganz wunderbar für die Rolle.

Bastian Pastewka: Sollte es weitergehen, wäre sie in jedem Fall wieder verfügbar, hat sie uns schon wissen lassen (lacht). Aber nochmal zu Ihrer Frage mit dem gesunden Erzähltempo: Es war mir auch sehr wichtig, dass wir den Figuren ein felsenfestes Fundament geben und nicht zu schnell eskalieren, um die Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Was zusammen mit Susanne Wolf, die meine Frau spielt, übrigens ein großes Vergnügen war. Jochen lebt ja wie in einem Tunnel und glaubt, alles im Griff zu haben. Als Martin mir dann ganz am Anfang mal in Ruhe erklärte, dass der von ihm erdachte Herr Lehmann dem Reiz des Kriminellen ja nie ganz verfällt sondern immer glaubt, dies nur so lange zu machen bis er wieder bei einer schwarzen Null auf dem Konto ist und im Herzen ein anständiger Mensch - da hatte ich die Rolle. Da hat es Klick gemacht.

"Ich wundere mich immer wieder über die Kommunikation in dieser Branche, besonders dann, wenn keine stattfindet."

Bastian Pastewka

Bis vor wenigen Jahren wurden Produktionen im deutschen Fernsehen über den Regisseur definiert. Über die Autoren wusste man wenig. Herr Eigler, sie kennen beide Aufgaben. Freut sie die Entwicklung hin zu mehr Aufmerksamkeit für Autoren?

Martin Eigler: Ja, das freut mich. Natürlich ist die Regiearbeit bei jedem Film von großer Bedeutung, aber tatsächlich finde ich es überfälllig, dass die Autoren sichtbarer werden. Gerade bei solchen Projekten wie „Morgen hör’ ich auf“, bei denen ein großer Bogen geschlagen werden muss, ist ein gut konstruiertes Drehbuch von entscheidender Bedeutung. Wackelt die Grundlage, kann so ein Dreh zu einer Katastrophe werden, und dann leiden nicht nur die Schauspieler sondern auch der Regisseur. Bei dieser Produktion war das Vertrauen von Produktion und Redaktion in die Autoren sehr groß, was unsere Arbeit wirklich erleichtert hat.

Bastian Pastewka: Diese Vertrauenswelle schwappte dann ja auch auf uns Darsteller über. Wir haben gemerkt, dass das ein sehr personalisiertes Projekt ist. Man liest und hört ja oft genug, dass bei manchen Filmen Beteiligte irgendwann gar nicht mehr wissen, warum sie mal zugesagt haben. Weil am Ende etwas ganz anderes herauskam als eigentlich geplant. Weil das Ganze mehrfach umgeschnitten und unter anderem Titel ausgestrahlt wurde. Ich wundere mich immer wieder über die Kommunikation in dieser Branche, besonders dann, wenn keine stattfindet. Und das war hier anders. Ich muss die Gedankengänge der Macher verstehen können… und wenn nötig natürlich auch meine eigenen Vorschläge einbringen (lacht).