Herr Esser, Ihr Posten als ARD-Vermarktungschef ist davon abhängig, dass die Öffentlich-Rechtlichen weiter im TV werben dürfen. Glauben Sie, dass ein politisch verordnetes Werbeverbot noch vor Ihrer Pensionierung kommen wird?

Nein, das glaube ich ganz sicher nicht – oder mach' ich den Eindruck, dass es schon bald soweit ist mit mir? (lacht) Solange ich zur arbeitenden Bevölkerung zähle, wird das kein Thema sein. Und zwar aus gutem Grund. Wir leisten unseren Beitrag zur Programmfinanzierung und damit zur Beitragsstabilität. Und das zeitlich begrenzte Werbeangebot bei ARD und ZDF ist, by the way, auch ein ganz wichtiges Regulativ für die Bedürfnisse des Marktes. Unsere Zuschauer empfinden Werbung in diesem ausgewogenen Maß als nicht störend. Daher gibt es auch aus gesellschaftlicher Sicht keinen Grund, die Werbung weiter zu reduzieren oder gar abzuschaffen.

Eine Sorge weniger haben Sie vermutlich, seit der ARD-Vorabend dank Quiz-Offensive wieder höhere Einschaltquoten verzeichnet. Wie stark erleichtert das Ihren Vermarktungsalltag?

Die Diskussionsschwerpunkte haben sich in der Tat verändert. Vor ein paar Jahren habe ich mich schon mal über die Performance am Vorabend erregt. Jetzt haben wir ein Produkt, das deutlich besser funktioniert, und wir sehen, dass es auch deutlich besser kapitalisiert werden kann. Im Umkehrschluss: Wir liefern wieder mehr Geld ab. Wir sind auch wieder breiter aufgestellt, was Kunden und Branchenstrukturen angeht. E-Commerce ist ein gutes Beispiel: Der hatte bei uns vor drei Jahren einen Erlösanteil von zwei Prozent, heute sind wir bei bis zu acht Prozent.

 

Wie haben Sie beim Pricing umgesteuert?

Man muss als Sender im Relevant Set bleiben. Wenn ich wie vor anderthalb Jahren mit der "Verbotenen Liebe" auf einen Marktanteil von unter fünf Prozent sinke, dann rutsche ich nicht nur aus Programm- und Zuschauersicht in eine grundsätzliche Akzeptanz-Diskussion hinein, sondern muss auch aus Vermarktersicht klären, ob ich für die Kunden überhaupt noch die Relevanz eines Senders der ersten Generation habe. Das haben wir damals über die Preise ausgeglichen und unser Pricing phasenweise an die Leistung angepasst. Entsprechend konnten wir die Preise jetzt natürlich in umgekehrter Richtung an die signifikanten Marktanteilsgewinne anpassen. Mit zwei Millionen Zuschauern und mehr haben wir am Vorabend wieder eine kritische Masse erreicht. Wir sind der einzige Sender, bei dem im Verlauf des letzten Jahres die Reichweiten in allen Zielgruppen gestiegen und gleichzeitig die TKPs in allen Zielgruppen gesunken sind. Diese Entwicklung hat sich in den ersten fünf Monaten dieses Jahres fortgesetzt. Allerdings sind wir im Wettbewerbsvergleich nach wie vor auf einem höheren Preis-Level angesiedelt, weil wir fest daran glauben, dass das Umfeld eine besondere Indikation hat, die bei anderen Sendern so nicht angeboten wird.

Wo liegt da der Unterschied?

Wir stellen in der Wirkungsforschung immer wieder fest, dass die Stammseher des Ersten anders auf Werbung reagieren. Im Vergleich zu anderen Sendern in derselben Zeitschiene erzielen unsere Werbeblöcke regelmäßig mit gehörigem Abstand die besseren Wirkungswerte, etwa bei der gestützten und ungestützten Werbeerinnerung.

Das könnte schlicht daran liegen, dass Ihre Blöcke kürzer sind.

Kurze Blöcke sind eine coole Nummer – gar keine Frage. Das ist sicher ein wichtiger Faktor für die Werbewirkung, aber nicht der einzige. Im Durchschnitt hat beispielsweise Sat.1 zwischen 17 und 20 Uhr eine Werbeblocklänge von 5 Minuten und 19 Sekunden, bei uns sind es 2 Minuten und 19 Sekunden. Aber trotzdem müsste man doch selbst von einem längeren Block zumindest ein oder zwei Spots ungestützt erinnern. Wenn selbst das in der Vergleichsforschung nicht feststellbar ist, dann muss es auch an der grundsätzlichen Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Programmumfeld liegen.

Und da spielt es auch keine Rolle, ob im Ersten eine Serie oder ein Quiz läuft?

Gerade um 18 Uhr muss man extrem von den Gewohnheiten der Zuschauer ausgehen: Wo holen wir sie ab? In welchem Zustand befinden sie sich? Mit den Quiz-Formaten hat Das Erste anscheinend einen Nerv getroffen, weil die Zuschauer entspannen können und trotzdem etwas mitbekommen und interagieren können. Der Unterhaltungs- und Informationsbedarf wird damit wunderbar gedeckt.

"Wer sich permanent dem Konditionendruck großer Konzerne beugt, begibt sich in eine betriebswirtschaftliche Einbahnstraße"

Uwe Esser, Geschäftsleiter TV der ARD-Werbung Sales & Services


Folgen Kunden und Media-Agenturen denn bereitwillig Ihrer Logik und zahlen Premium-Preise ohne den extremen Rabattdruck, unter dem die großen Privat-TV-Vermarkter leiden?

Wo Premium drin ist, kann auch Premium verlangt werden. Wer sich permanent dem Konditionendruck großer Konzerne beugt, begibt sich in eine betriebswirtschaftliche Einbahnstraße. Deshalb lasse ich bestimmte Diskussionen einfach nicht mehr zu. Früher hatten auch wir mal solche Auseinandersetzungen – von diesen Kunden haben wir uns sukzessive getrennt. In der Folge sind wir mit knapp 70 Prozent heute der Sender mit dem höchsten Payfaktor im Markt und sehr gut gebucht.

Ihre Dienste als Vermarkter stellen Sie seit Jahresbeginn auch Mandanten zur Verfügung, bislang vor allem den Pay-TV-Sendern der Mainstream Media AG. Wie läuft dort das Geschäft?

Die Kollegen von Mainstream Media haben sich im Pitch bewusst für uns entschieden, weil sie mit ihren Qualitätsargumenten direkt die Kunden erreichen wollen. Unsere Vertriebs-Strategie heißt ganz klar: erst der Kunde, dann die Agentur. Vor allem bei Romance TV reden wir über ein qualitativ hochwertiges Programm mit weitgehend öffentlich-rechtlicher Herkunft – das passt also gut in unser Portfolio. In manchen Fällen können wir bestehende Kampagnen, die auch im Ersten laufen, nach 20 Uhr auf den Sendern von Mainstream Media fortführen. Klein, aber fein ist hingegen das nationale Vertriebsgeschäft für den Mandanten TV Wartezimmer, der mit Monitoren in rund 6.000 Arztpraxen Deutschlands größtes Health-TV-Network betreibt. Da TV Wartezimmer eine Kooperation mit der ARD über die Verwendung der "Tagesschau in 100 Sekunden" geschlossen hatte, passte das auch vermarktungsseitig inhaltlich sehr gut.

Wie geht es mit dem Mandantengeschäft der AS&S weiter?

Wir haben ab sofort die Deutsche Welle mit in unserem Vertriebsportfolio. DW-Intendant Peter Limbourg verfügt ja über langjährige Erfahrung mit werbefinanziertem Fernsehen und mit der Erschließung verschiedener Finanzierungsmodelle. Wir haben uns getroffen und schnell gemerkt, dass wir im strategischen Denken sehr nah beieinander sind. Die Deutsche Welle bietet eine ideale Plattform für weltweite Imagekampagnen oder Add-ons zu bestehenden Kampagnen. Da setzen wir bei den großen Blue Chips aus Deutschland an, mit denen wir ohnehin im Gespräch sind. Beispielsweise könnte ein Automobilhersteller gezieltes Interesse an einem Imagespot oder Infomercial zu weltweiten Leitmessen wie der IAA oder der Detroit Auto Show haben. Entsprechendes ist natürlich auch für andere Branchen denkbar.

Wäre denn über Mainstream Media hinaus noch der eine oder andere Pay-TV-Sender als Mandant für Sie vorstellbar?

Durchaus. Es ist auch nicht so, dass unsere Gespräche mit potenziellen Mandanten aktuell enden.

Das letzte Wort darüber, ob ein Mandant wirklich genehm ist, behalten sich aber vermutlich die ARD-Anstalten bzw. deren Werbegesellschaften vor, oder?

Ja, klar. Dafür haben wir vier Gesellschafterversammlungen im Jahr. Das läuft ganz transparent ab. Ich signalisiere frühzeitig, mit wem ich im Gespräch bin, und frage, ob wir die Verhandlungen führen sollen. Bisher hieß die Antwort immer: Wenn es kostendeckend funktioniert und eure Vermarktung synergetisch unterstützt, könnt ihr es machen.

Herr Esser, herzlichen Dank für das Gespräch.