Herr Rotstein, ihre nächste Eigenproduktion für History - „Wigald & Fritz - Die Geschichtsjäger“ -  feiert Premiere beim Film Festival Cologne. Banal gefragt: Warum?

Wir wollen unseren Produktionen jede Bühne bieten, die sie verdienen. Wir machen Programm nicht für die Quote, deren Messung im PayTV-Bereich ja ohnehin eher Pi mal Daumen ist. Wir schauen uns diese Zahlen schon an, aber nicht am Tag nach der Premiere sondern über längere Zeiträume. Der Buzz der rund um unsere Eigenproduktionen entsteht, ist da wichtiger für uns. Eine Festival-Premiere, das Feedback der Zuschauer und die Presseberichterstattung - das liefert uns kein quantifizierbares Ergebnis, aber ein inhaltliches.



Wie ist „Wigald & Fritz - Die Geschichtsjäger“ denn entstanden? Wer ist da auf wen zugegangen?

Ich bin da im Grunde auf mich selbst zugegangen.

Kurze Wege.

(lacht). Ich war immer schon fasziniert von verlassenen Orten. Blogs, Bücher, Videos. Alles rund um „Lost Places“. Das war immer eine Mischung aus der Faszination für die Schönheit des Verfalls und dem leichten Schaudern, wenn man an die Vergangenheit denkt. Aber die Geschichte hinter diesen Orten kam mir oft zu kurz. Was ist an den Orten passiert bevor sie dem Verfall überlassen wurden? Ich habe mich dann auf die Suche begeben nach TV-Formaten zu dem Thema und schnell festgestellt, dass es nichts Vergleichbares gibt. Weder bei uns noch in den USA. Ich habe die Grundidee also auch gleich den Kollegen von A+E in New York gepitcht und die waren ebenso total begeistert.

Wie kam es dann von Idee zur Umsetzung?

Das haben wir uns dann Schritt für Schritt überlegt. Wie gehen wir ran an das Thema? Ein Moderator, der uns Bilderbuchmäßig durchführt - das ist nicht die Art und Weise wie wir Geschichte erzählen wollen und unsere Zuschauer erreichen können. Stattdessen haben wir zwei unterschiedliche Charaktere, die diese Location in Echtzeit erkunden und wir dabei sind. Die Tiefe kommt dann durch im Nachhinein aufgenommene Kommentare.

Und wie kamen Sie auf Wigald Boning?

In der deutschen Promi-Landschaft gab es wenige, die auf das Profil des nerdigen aber generationen-übergreifend bekannten Geschichts-Fans gepasst haben. Wigald Boning steht durch seine Wissenschafts-Sendungen schon lange für mehr als den lustigen Comedian mit dem wir alle aufgewachsen sind. Uns hat seine Neugier begeistert, sowohl für das was er in dem Moment entdeckt als auch für die Hintergründe. Diese Balance hebt sich ab von der typischen Schwere, die historische Dokumentationen manchmal mit sich bringen. Und im Zusammenspiel mit YouTuber und Urban Explorer Fritz Meinecke ergibt das dann eine Tonalität, die zu uns passt.

Aus was speist sich die Faszination dieses Genres eigentlich: Neugier, Grusel…?

Das ist sicher eine Mischung aus kindlicher Neugier, etwas Grusel und der Faszination für die Utopie - wie sähe die Welt aus, wenn es die Menschen nicht mehr gäbe. Das gilt besonders bei YouTube-Kanälen zu dem Thema, wenn sie verlassene Freizeitparks oder Shopping-Malls erkunden, die sich selbst überlassen werden. Was aber auffällt, wenn man sich YouTube-Clips aus dem Genre anschaut, dann ist das oft etwas rechtslastig. Manche sind explizit auf der Suche nach Nazi-Relikten, nach Stätten wo man einen gewissen Ehrencode betreiben kann. Davor schrecken wahrscheinlich viele Sender zurück.

Aber selbst in den USA gibt es bislang überraschend wenig TV-Formate aus dem naheliegenden Genre. Und da würde man eher selten auf Nazi-Relikte stoßen.

Als wir es den US-Kollegen gepitcht haben, wurde das von den Kollegen auch gleich als „No-Brainer“ bezeichnet. Es ist so naheliegend, sich mit einem Fernsehformat mal den Lost Places zu nähern. Das ist so offensichtlich ein passendes History-Thema. Deswegen sind wir bereits im Austausch mit internationalen Kollegen aus unserer A+E-Familie. Welche Plätze gibt es weltweit, die interessant sein könnten? Und wie produziert man dann diese Folgen: Jeweils mit lokalen Hosts oder einem etablierten Duo? Da sind wir schon in Gesprächen. Jetzt warten natürlich alle, wie unsere ersten Folgen funktionieren.

Das Format ist für das Genre der Geschichtsdokumentation ja auch deshalb spannend, weil das was wir unter Geschichte verstehen, oftmals mit dem 2. Weltkrieg endete. Längst sind aber auch die letzten 70 Jahre Geschichte.

Für uns ist schon der 11. September 2001 Geschichte. Das ist rückblickend ein historisches Datum für die Weltpolitik. Geschichte hört sicherlich nicht 1945 auf, auch wenn Lehrpläne und -meinung vielleicht Generationen-bedingt länger brauchen um das,was wir unter Geschichte verstehen, neu zu definieren. Als Fritz Meinecke, Baujahr 1989, aus dem ehemaligen Stasi-Knast in Hohenschönhausen kam, meinte er: Das war ihm so alles nicht bewusst. Man darf nicht den Fehler machen, das abzutun. Eine längst erwachsene Generation kennt aus eigener Erfahrung nur das wiedervereinte Deutschland.

Aber Sie gehen nur zu Locations bei denen Sie filmen dürfen?

Ja, wir haben natürlich mit dem Gedanken gespielt und uns dazu auch mit den Amerikanern unterhalten und rechtliche Beratung eingeholt. Aber wir wollen und können nicht riskieren, dass wir am Ende einige Folgen nicht ausstrahlen dürfen. Das können unsere US-Kollegen vielleicht aussitzen, aber bei der zunächst kleinen Folgenzahl müssen wir auch ausstrahlen können. Und wir wollten ja auch nicht vom Wachhund gebissen oder gleich erschossen werden (lacht). Das schränkt natürlich die Location-Suche ein wenig ein, weil wir Drehgenehmigungen brauchen und man dementsprechend Locations braucht, bei denen man weiß mit wem das zu klären wäre. Wir haben festgestellt: Das sind teilweise mehrere Eigentümer und die Abstimmung dauert. Sie müssen ja bereit sein, dass die Geschichte des jeweiligen Anwesens erzählt wird. Und das möchte nicht jeder. Da gab es nicht nur positive Resonanz.

Interessant.

Es gab auch den Fall, dass uns eine Drehgenehmigung erteilt worden wäre - wenn die Eigentümer Einfluss darüber bekommen hätten, was wir filmen und erzählen. Da haben wir abgelehnt. Wir wollen schon die redaktionelle Hoheit behalten.

Gab es Locations, die Sie gerne dabei gehabt hätten; die aber Bedenken hatten?

Die Hochschule für Musik in München sitzt im früheren Führerbau, der NSDAP-Zentrale. Da wurde das Münchener Abkommen unterzeichnet, es gibt noch Hitlers altes Büro. Kein klassischer Lost Place, weil in neuer Benutzung aber man hätte es erkunden und erzählen können. Die wollten aber nicht, dass wir die Geschichte ihres Gebäudes noch einmal groß aufbereiten. Aber sie waren nicht die einzigen. Gerade bei Gebäuden mit Nazi-Geschichte haben Privateigentümer die Sorge, dass es den Wert schmälert wenn groß thematisiert wird, dass die Nazis dort einmal dies und das gemacht haben.