Herr Schmidt, ich habe die ersten beiden Folge der neuen "Alarm für Cobra 11"-Staffel gesehen und mich gewundert. Es ist kein Tanklaster explodiert und kein Auto hat gebrannt. Ist das noch die Serie, die die Zuschauer kennen?

Wie bitte? Da muss wohl etwas in der Postproduktion schief gelaufen sein! Nein, Spaß beiseite: Selbstverständlich ist es nach wie vor "Cobra 11". Wir wollten den Markenkern aufrechterhalten, dennoch mussten wir uns überlegen, ob es hier und da überholte Strukturen gibt. Schon 2018 haben wir uns mit RTL zusammengesetzt und das Format auf den Prüfstand gestellt. Da haben wir uns gefragt, was die typisch wichtigen Elemente sind und was künftig wichtig werden könnte. Und eben auch, was renovierungsbedürftig ist.

Und was ist dabei herausgekommen? Was sind die "überholten Strukturen"?

Sie haben den Tanklaster angesprochen. Ich will nicht sagen, dass es nie wieder einen explodierenden Tanklaster geben wird. Aber ich glaube, wir haben das den Zuschauern in den vergangenen fast 25 Jahren in allen Facetten gezeigt. Jetzt gilt es, die Zuschauer mit neuen Sachen zu überraschen. Wir haben bei der inhaltlichen Ausrichtung auch über das Thema Emotionen gesprochen, das ist die neue Action. Es gibt die klassische Action auch weiterhin. Aber es ist bei "Alarm für Cobra 11" einfach an der Zeit, darüber hinaus zu gehen. Wir haben in der neuen Staffel bestehende Muster über Bord geworfen und unseren Charakteren mehr Raum gegeben.

Was haben Sie noch verändert? Etliche Schauspieler sind ausgestiegen. Es sieht ein bisschen so aus, als sei Erdoğan Atalay aka Semir Gerkhan die einzige Konstante.

Bis auf Semirs Tochter Dana, gespielt von Gizem Emre, ist das tatsächlich so. Auslöser für die Veränderungen ist der Weggang von Daniel Roesner, der sich 2018 angekündigt hat. Wir haben uns in diesem Zuge gefragt, ob wir Semir nach fast 25 Jahren wirklich einfach nur den nächsten männlichen Partner an die Seite stellen wollen. Also sozusagen das Buddy-Format aus den 90er Jahren fortführen. Wir haben uns aber dagegen entschieden und das Spiel umgedreht. 2019 haben wir erzählt, wie Semir am Ende nach Istanbul geht, um sich um seine Mutter zu kümmern, die dort im Gefängnis sitzt. Als er nun zurückkommt, findet er eine völlig veränderte "Cobra 11" vor. Er ist plötzlich der Neue im Team. Das ist eine erzählerische Komponente, die uns gereizt hat.

"Der Impuls von uns Machern war, der 'Cobra' neues Leben einzuhauchen und sich von überholten Strukturen zu befreien."

Erstmals steht mit Pia Stutzenstein eine weibliche Schauspielerin im Ermittlerteam, wie ist es dazu gekommen? War es nach 25 Jahren auch einfach an der Zeit, dass "Cobra 11" hier zeitgemäßer wird?

Ja, auf jeden Fall. Es ging uns von Anfang an aber nicht darum, die Geschichte der ersten Frau bei "Cobra 11" zu erzählen. In der Vergangenheit hatten wir viele Frauen im Ensemble. Es ging uns um die Dynamik. Auf der einen Seite Semir, der seit 25 Jahren einen Buddy an seiner Seite hat. Jetzt gibt es neben diesem "alten Recken", der sich selbst auch immer wieder hinterfragt, eine 30-jährige junge Frau. Beide haben Vorurteile und beide müssen einen zweiten Blick auf den jeweils anderen riskieren, um mit diesen Vorurteilen aufzuräumen. So haben wir jetzt auch den weiblichen Blick in allererster Reihe. Beide können viel voneinander lernen.

Neben den inhaltlichen Veränderungen sieht "Alarm für Cobra 11" auch anders aus, der Look ist filmischer geworden. Und dann ist auch das jahrelange Intro verändert worden. "Ihr Revier ist die Autobahn" gibt es nicht mehr. Wieso?

Zu einer inneren Veränderung gehört auch eine äußere Veränderung. Der Look von "Cobra 11" war immer sehr modern, auch das wollten wir beibehalten. Ich würde sagen, dass wir in puncto Action nun realistischer sind als früher. Das wollten wir eben auch optisch hervorheben. Beim Look haben wir uns dafür entschieden, die Figuren in den Mittelpunkt zu stellen. Insgesamt sind wir cineastischer geworden. Was man auch nicht vergessen darf: Wir haben heutzutage eine enorme Konkurrenz im Markt. Bei den Streaming-Anbietern und im Pay-TV wird den Zuschauern, mit einem teils viel höheren Budget als bei uns, eine ähnliche Optik geboten. Vom Niveau her müssen wir den Vergleich aber nicht scheuen.

Was ist nun der Grund für die vielen Veränderungen? Hat RTL Ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt?

Nein, das war es nicht. Der Impuls von uns Machern war, der "Cobra” neues Leben einzuhauchen und sich von überholten Strukturen zu befreien. Äußerer Anlass war der Weggang von Daniel Roesner.

Alarm für Cobra 11

Semir (Erdogan Atalay), Vicky (Pia Stutzenstein)
Foto: TVNOW / Gudio Engels

Hat man sich zuletzt zu sehr auf dem Erfolg von "Alarm für Cobra 11" ausgeruht, sodass die Veränderungen nun nötig geworden sind?

Nein, das würde ich nicht sagen. Wir haben die Serie immer wieder neu erfunden. Aber es gibt ja eine bestimmte Anzahl an Verbrechen, die man in unterschiedlichen Facetten erzählen kann. Und dann gibt es erzählerische Muster, die die Zuschauer über die Jahre hinweg gewohnt waren. Beim Action-Element hatten wir in der Serie lange den Action-Stunt am Anfang auf der Autobahn. Die Ermittler sind oft in den Fall reingerutscht. Danach haben sie die Ermittlungen aufgenommen und nach einem Stunt in der Mitte der jeweiligen Folge gab es auch noch Action zum Ende. So war "Cobra 11" lange konzipiert und das war auch gut so. Aber wir wollten jetzt überraschender und unvorhersehbarer werden. Solche Veränderungen sind bei einem so langlebigen Format einfach notwendig. Das heißt aber nicht, dass wir uns auf unserem Erfolg ausgeruht haben.

Wie sehen die Dreharbeiten derzeit unter Corona-Bedingungen aus?

Ursprünglich wollten wir ab dem 16. März neue Folgen drehen. In den Tagen davor überschlugen sich die Ereignisse und wir wurden mit dem Drehverbot der Stadt Köln konfrontiert, also haben wir zwei Tage vorher alles gestoppt. Das hat zweieinhalb Monate gedauert. Ende Mai haben wir die Dreharbeiten wieder aufgenommen. Und dazwischen haben alle Gewerke daran gearbeitet, eine "Cobra 11" unter Corona produzieren zu können. Wir haben einen Hygienebeauftragten am Set und ein entsprechendes Konzept. Unter den neuen Bedingungen ist es nicht immer einfach die emotionalen Szenen wie gewohnt zu erzählen.

Damit meinen Sie vermutlich die Nähe zwischen den Protagonisten?

Ja, wir müssen selbstverständlich überlegen, wie wir weiterhin Emotionen erzählen können. Wir versuchen weniger körperliche Szenen umzusetzen. Jetzt gibt es bei uns nicht wahnsinnig viele Kuss-Szenen, aber durchaus immer mal wieder Kämpfe. Wir testen natürlich alle Schauspieler, die sich nahe kommen und beachten alle vorgegebenen Schutzmaßnahmen. Da halten wir das Risiko so gering wie möglich. Insgesamt erschwert es aber die Dreharbeiten. Alleine schon die Sequenz, wenn die zwei Ermittler im Auto sitzen. Das können wir so derzeit nicht machen.

Die Schauspieler sitzen nicht einmal mehr zusammen im Auto?

Richtig. Das machen wir jetzt digital und mithilfe von Green Screens. Das kostet Zeit und Geld. Sämtliche Abstimmungen mit RTL diesbezüglich laufen da aber sehr gut. Ich habe gerade die ersten zwei Folgen gesehen, die unter Corona-Bedingungen gedreht wurden, und ich muss sagen: Man merkt es ihnen nicht an. Ich hoffe, dass das so bleibt. Das hängt auch davon ab, wie sich die Richtlinien entwickeln. Grundsätzlich wird es schwer bleiben, nicht nur in den nächsten Wochen.

"Wir wissen, dass wir uns mit einem so teuren Format wie 'Cobra 11' immer wieder aufs Neue beweisen müssen."

Wie sicher sind Sie sich eigentlich, dass es "Alarm für Cobra 11" in fünf Jahren noch geben wird?In der Vergangenheit schien die Serie ja unantastbar, das hat sich mittlerweile geändert. Durch Corona ist nicht nur die Produktion aufwendiger geworden, RTL verzeichnet wie alle einen Werbe-Rückgang. Und dann kommen ja noch die gesunkenen Quoten hinzu.

Faktisch wurde "Cobra 11" derzeit nicht verlängert, daher kann ich mir da nicht sicher sein. Aber wir waren uns auch in den Jahren davor nie sicher. Wir wissen, dass wir uns mit einem so teuren Format wie "Cobra 11" immer wieder aufs Neue beweisen müssen. Wir sind seit 24 Jahren eine Konstante bei RTL und sorgen auch mit Wiederholungen für gute Quoten. Gleichzeitig ist die gesamte Medienlandschaft im Umbruch und man darf nie so arrogant sein und sagen, man sei sich sicher. Wir geben unser Bestes und hoffen, dass wir mit RTL durch diese vielen Veränderungen gehen. Und wir sind umso glücklicher, dass wir auch in diesem Jahr, in dem die Werbeerlöse überall deutlich zurückgehen, die TV-Saison bei RTL eröffnen.

Welche Veränderungen wird es durch die neue Haltung von RTL bei action concept geben?

Es ist unumgänglich, dass wir uns weiterentwickeln. Ich bin seit Anfang des Jahres auch Geschäftsführer und leite das Unternehmen neben Hermann Joha. In den letzten Monaten hatten wir durch Corona schwere Zeiten und mussten schauen, wie wir durch diese schwierige Phase kommen. Grundsätzlich werden wir uns inhaltlich breiter aufstellen.

Was heißt das konkret?

action concept steht für große Unterhaltung und das wollen wir weiterführen, auch über den "Cobra 11"-Kosmos hinaus. Daran arbeiten wir seit Monaten. Wir sind in Gesprächen mit Sendern und Streaming Anbietern und haben diverse Entwicklungen angestoßen. Ich hoffe, dass das in Zukunft zum Tragen kommt. In einer idealen Welt parallel zu "Alarm für Cobra 11", weil die Geschichte dort einfach noch nicht auserzählt ist.

Bleibt das "action" in action concept auch künftig so wichtig wie heute? Oder ist es auch vorstellbar, dass Sie sich in andere Richtungen entwickeln?

Das ist natürlich schon seit längerer Zeit ein Thema in unserer Firma: Bei action concept ist die Action Programm, aber in den vergangenen 25 Jahren haben wir immer wieder bewiesen, dass wir inhaltlich stark sind. Das müssen und wollen wir weiter herausarbeiten. So wie wir das jetzt auch mit "Cobra 11" gemacht haben. Und natürlich wird es künftig Projekte mit viel Action geben, aber auch andere Richtungen sind vorstellbar. Unser kreatives Herz darf wieder stärker schlagen.

Ist die neue Ausrichtung eine Reaktion auf die veränderte Haltung von RTL?

Nein, das ist ein Prozess, den wir schon vorher angeschoben haben. Gemeinsam mit Hermann Joha habe ich das schon im letzten Jahr, also weit vor Corona, beschlossen. Natürlich wird es Geschichten geben, mit denen wir uns nicht identifizieren können und die wir deshalb nicht machen. Erst einmal sind bei uns aber alle Geschichten und speziell die Kreativen dahinter gern gesehen.

Wie erleben Sie die Diskussion rund um den staatlichen Ausfallfonds? Ein solcher Topf dürfte gerade auch für die Produktion von “Alarm für Cobra 11” wichtig sein, weil er Sicherheit gibt.

Dass sich die Politik überhaupt damit beschäftigt, ist bemerkenswert. Aber wir brauchen endlich klare Bekenntnisse und Entscheidungen. Der Ausfallfonds ist dringend notwendig. Die Sender zeigen sich sehr kooperativ und übernehmen derzeit einen Teil der Kosten. Aber wir Produzenten gehen ja nicht an den Start, um von Anfang an das Risiko zu haben, 50 Prozent Verlust zu machen. Wir müssen die Möglichkeit haben, zumindest etwas Geld zu verdienen. Ich denke, wir Produzenten sind bereit, einen Beitrag dazu zu leisten. Aber ein Konglomerat aus Auftraggebern, Filmförderung und anderen staatlichen Institutionen, Versicherern und Produzenten könnte das Ausfallrisiko minimieren und allen in der Branche mehr Mut geben, um in diesen Zeiten zu produzieren. Grundsätzlich wollen ja alle, dass die Branche nachhaltig funktioniert.

Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch.

Die neue Staffel von "Alarm für Cobra 11" startet ab sofort bei TVNow. Bei RTL meldet sich die Serie am kommenden Donnerstag um 20:15 Uhr zurück. RTL zeigt zunächst sechs neue Folgen, acht weitere folgen 2021.