Frau Hempel, eine Brustkrebs-Diagnose in den Mittelpunkt einer Primetime-Serie zu stellen, wie Sie es jetzt mit "Fritzie – Der Himmel muss warten" tun, klingt nicht gerade nach leichter Kost. Warum glauben Sie trotzdem, dass das Thema massentauglich ist?

Krebs ist heute längst kein Tabu mehr und auch kein Todesurteil. So eine Diagnose ist ein Schock, sie verändert die Sicht auf das eigene Leben und das kann der Beginn von etwas Neuem sein. Fritzie lebt von nun an in zwei Welten, einer bedrohten, die vom Tod überschattet wird und ihrem Berufsalltag als Lehrerein. Sie bricht aus Zwängen aus und wir als Zuschauer*innen verfolgen Tanja Wedhorn dabei, wie sie die wesentlichen Dinge eines lebendigen Lebens aufspürt, zu einer neuen Lebendigkeit kommt, ohne dass die Krankheit in der Erzählung verharmlost wird. Unser Ziel war es, dies durchaus auch mit Humor zu erzählen. Eine Geschichte, die in ihrer Ambivalenz letztendlich doch auch lebensbejahend ist. Diese Mischung hat aus unserer Sicht das Potential, ein großes Publikum anzusprechen. 

Produzentin Beatrice Kramm sagte, sie habe viele Jahre für die Realisierung des Programms gekämpft. Warum hat es so lange bis zur Umsetzung gedauert? 

Es stimmt, sowohl Beatrice Kramm als auch meine Kollegin Katharina Görtz hatten die Idee schon vor einigen Jahren, aber Entwicklung und Umsetzung benötigen ihre Zeit. Wir verfolgen das Ziel, in der Primetime Schritt für Schritt moderne Dramaserien zu etablieren und neue Sehgewohnheiten zu schaffen. Das gelingt nicht, wenn man nur ein einziges Serienprojekt in der Hinterhand hat. 

Es kommt also mehr?

Ja - wir werden im nächsten Frühjahr "Ballouz" (AT) ausstrahlen, produziert von X-Filme. Darin geht es um einen Chefarzt, der in einem kleinen Krankenhaus in der Uckermark arbeitet. Diese Figur kommt zur rechten Zeit: Ballouz hat libanesische Wurzeln und kämpft für seine Heimat, die Uckermark. Er ist ein Arzt, den man sich gerade jetzt wünscht: mit Herzenswärme und Aufrichtigkeit. Außerdem starten im November die Dreharbeiten zu "Mein Freund, das Ekel" mit Dieter Hallervorden und Alwara Höfels. Nach dem erfolgreichen Einzelstück, machen wir in der Konstellation jetzt eine Serie 

Sie sprachen gerade von modernen Dramaserien. Was verstehen Sie darunter?

Modernität gelingt immer dann, wenn wir es schaffen die Themen der Zeit, das sind für mich vor allem – Diversität, die Gender-Frage und Lebensnähe - in unseren Serien umzusetzen. Das bedeutet beispielsweise in der Produktion Parität von Frauen und Männern hinter der Kamera und in der Erzählweise immer wieder eine dezidiert weibliche Perspektive einzunehmen, wie bei "Fritzie". Figuren zu erzählen mit einem anderen kulturellen Hintergrund, dies aber mit einem Selbstverständnis und auch mit einer Milieugenauigkeit, sodass sie nicht nur die fünfte Nebenrolle als Gauner oder Leiche spielen. Dann wären wir einen großen Schritt weitergekommen. Und natürlich: Ich muss als Zuschauer*in berührt sein, Resonanz zu den Figuren aufnehmen - ich musste bei "Fritzie" und auch bei "Ballouz" weinen - ich halte das für ein gutes Zeichen!

Fritzie - Der Himmel muss warten © ZDF/Gordon Mühle Tanja Wedhorn spielt die Hauptrolle in der ZDF-Serie "Fritzie - Der Himmel muss warten"

Ausgestrahlt werden diese Serien am Donnerstagabend. Wie wichtig ist es Ihnen, zwischen erfolgreichen Reihen wie den "Bergrettern" oder dem "Bergdoktor" solche Nadelstiche zu setzen?

Reihen wie "Die Bergretter" oder "Der Bergdoktor" sind ebenfalls seriell erzählt und behandeln die Themen der Zeit – gleichzeitig ist es uns wichtig, am Donnerstag auch Serie in 45 Minuten zu erzählen. Dabei haben wir natürlich auch die non-lineare Nutzung mit im Blick, ein sich veränderndes Nutzungsverhalten und natürlich auch Zuschauerinnen und Zuschauer unter 50. Als öffentlich-rechtlicher Sender wollen und müssen wir die Mitte der Gesellschaft erreichen. Unsere Position als Marktführer erlaubt es uns an dieser Stelle, auch Risiken einzugehen. 

"Die Kooperation von Produzentinnen und Produzenten und uns als Sender hat dazu beigetragen, dass wir die Programmqualität halten konnten."

"Fritzie" sollte ursprünglich schon im April laufen. Durch Corona haben Sie damals kurzfristig entschieden, mit der Ausstrahlung zu warten. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen?

Der Corona-Lockdown hat uns im Frühjahr natürlich, wie alle anderen auch, unvorbereitet getroffen. Zum damaligen Zeitpunkt war überhaupt nicht klar, inwieweit die von uns beauftragten Projekte umgesetzt werden können, sodass wir uns die Serie gewissermaßen aufgehoben und am Donnerstag auf eine leicht erweiterte Wiederholungsstrecke gesetzt haben. Dadurch sind wir nun in der Lage, über den Winter hinweg bis weit ins nächste Frühjahr hinein mit einer Reihe von Erstsendungen zu kommen. Aktuell laufen die Produktionen wieder und wir hoffen sehr, dass das so bleiben wird.

Nach allem, was Sie bislang gesehen haben: Inwiefern merkt man den Produktionen als Zuschauer an, dass sie unter besonderen Bedingungen entstanden sind?

Man merkt vor allem die hohe Flexibilität und Kreativität aller Beteiligten. Da wurden Drehbücher umgeschrieben und neue Konstellationen und Lösungen entwickelt. Ein Stück weit mussten alle Beteiligten jeden Tag die Arbeit neu erfinden und die Produktion musste sich zusammen mit der Redaktion immer weiter vorantasten. Deshalb gilt mein großer Dank den Produzentinnen und Produzenten und allen Kreativen, die die Produktionen so gut umgesetzt haben, dass wir an vielen Stellen kaum Unterschiede spüren. Wir haben uns an unsere Zusagen und Verabredungen gehalten und uns hoffentlich in der Krise als verlässlicher Partner für die Produzentenlandschaft bewiesen, auch indem wir neben dem Schutzschirm 100 Prozent der Kosten für die Umsetzung der Coronamaßnahmen tragen. Das sind ja nicht nur Hygienemaßnahmen, sondern auch beispielsweise verlängerte Drehzeiten. Die Kooperation von Produzentinnen und Produzenten und uns als Sender hat dazu beigetragen, dass wir die Programmqualität halten konnten.

Lassen Sie uns zum Schluss den Blick vorauswerfen: Welche Projekte liegt Ihnen in den nächsten Wochen, abseits der erwähnten Serien, besonders am Herzen?

Am 29. Oktober und 5. November werden wir mit "Matze, Kebab und Sauerkraut" sowie "Kinder und andere Baustellen" zwei sehr unterschiedliche Komödien ausstrahlen – einerseits eine Culture-Clash-Komödie um zwei junge Männer - gespielt von Franz Dinda und Omar El-Saeidi -, der eine jüdischen, der andere muslimischen Glaubens, die sich in Charlotte, gespielt von Christine Eixenberger, eine bayrische Christin verlieben. Und "Kinder und andere Baustellen" über eine Mutter, die keinen Betreuungsplatz für ihr kleines Kind findet und daher kurzerhand beschließt, eine eigene Kita zu gründen. Außerdem haben wir zusammen mit der NeueSuper für ZDFneo "Breaking Even" gemacht – eine sechsteilige Serie, die am 14. Oktober startet. Es geht um eine junge und ambitionierte schwarze Anwältin, die in die Welt eines familiendynastischen Automobilunternehmens eindringt und hinter einen Skandal kommt. Das ist eine moderne Familiensaga, die extrem spannend geworden ist – auch dank der absolut überzeugenden Hauptdarstellerin Lorna Ishema. Dazu kommt eine sehr hochkarätige Besetzung der weiteren Rollen, unter anderem mit Nicole Heesters und Justus von Dohnány. 

Was macht diese Produktion eigentlich zur ZDFneo-Serie und "Fritzie" zu einer Serie fürs ZDF-Hauptprogramm? In der Mediathek wird die Unterscheidung ohnehin noch schwieriger.

Die Serien, die wir für den Donnerstag im Hauptprogramm machen, sind in ihrer Erzählweise auf eine Weekly-Bespielung ausgerichtet, das heißt sie erzählen episodische Fälle in einem Working-Place-Umfeld, gepaart mit einer horizontalen Figurenentwicklung. Bei "Breaking Even" handelt es sich um eine Miniserie mit einem klaren Bogen über sechs mal 45 Minuten. Eine in sich geschlossene Handlung, die weniger auf die episodischen Geschichten setzt, als auf den Gesamt-Spannungsbogen, hoffentlich ein Binge-Programm für die Mediathek. Von der Anlage der Hauptfigur zielt die Serie eher auf ein jüngeres Publikum ab. Während wir bei den ZDF-Hauptabendserien von der Tonalität her auf eine emotionale Grundausrichtung gehen mit Humor als entlastendem Element, ist "Breaking Even" ist im Vergleich dazu etwas dunkler und abgründiger.

Frau Hempel, vielen Dank für das Gespräch.

"Fritzie - Der Himmel muss warten" läuft donnerstags um 20:15 Uhr im ZDF