Er selbst sagte während seiner Zeit bei ProSiebenSat.1 gerne, er sei aus dem "Maschinenraum" gekommen. Tatsächlich legte Andreas Bartl eine beeindruckende Karriere bei ProSiebenSat.1 hin, vom freien Mitarbeiter in der Text- und Spielfilmredaktion bis hin zum TV-Vorstand. Vor zweieinhalb Jahren musste Bartl jedoch gehen - doch nun ist er quasi wieder im Maschinenraum angekommen. Und zwar gleich in einem riesigen: Als Geschäftsführer von RTL II ist nämlich viel Kreativität gefragt. Mit wenig Geld bringt der Sender seit Jahren eine gewaltige Zahl an Eigenproduktionen auf den Schirm. Gute Voraussetzungen also für den Fernsehmacher Bartl, der zum Amtsantritt aber erst mal nicht allzu viel Druck hat.

Jochen Starke hat programmlich ein bestelltes Haus hinterlassen. Auch wenn die Marke von sieben Prozent Marktanteil, wie sie zu Beginn der vorigen Saison geknackt wurde, zuletzt wieder etwas weiter entfernt zu sein schien, so läuft es unterm Strich doch überwiegend gut für RTL II. "Köln 50667" und "Berlin - Tag & Nacht" erweisen sich dabei auch weiterhin als feste Anker am Vorabend. Nach wie vor sind die beiden Soaps für zweistellige Marktanteile gut. Hinzu kommt, dass sie dem Sender auch im Netz hohe Abrufzahlen bescheren. Diesen Erfolg in den Nachmittag zu übertragen, gelang bisher aber nur zum Teil. Die "X-Diaries" haben ihre besten Zeiten hinter sich und "Schmiede 21" lief ebenso durchwachsen wie "WohnSchnellSchön" oder "Next, please!".

Demnächst kehrt mit "Hilf mir! Jung, pleite, verzweifelt" aber zumindest ein Format zurück, das mit im Schnitt mehr als sechs Prozent Marktanteil während der ersten Staffel durchaus zu überzeugen wusste. Man kann RTL II also nicht vorwerfen, keine neuen Ideen am Nachmittag ausprobiert zu haben. Luft nach oben besteht aber ganz sicher noch. Zu den Problemzonen, an denen sich Andreas Bartl beweisen kann, zählt aber vor allem der Sonntagvorabend. Nach dem Ende des Wissensmagazins "Welt der Wunder", das in den vergangenen Jahren kaum noch hohe Quoten einbrachte, versuchte sich RTL II mit "Columbus" zunächst an einem deutlich jüngeren Nachfolger. Der wurde aber nicht nur mit schlechten Kritiken, sondern auch magere Zuschauerzahlen abgekanzelt. Auch "Westside Wash" interessierte das Publikum nicht. "Die Autoeintreiber" und "Mein neuer Alter" machten ihre Sache aber immerhin besser.

Mit Blick auf die Primetime von RTL II ist es erstaunlich, dass man mit den "Kochprofis", "Frauentausch" und "Zuhause im Glück" gleich mehrere seit Jahren erfolgreiche Eckpfeiler im Programm hat. Und mit den Geissens kann der Sender  - aller öffentlich gewordenen Querelen mit der Produktionsfirma zum Trotz - die nach wie vor erfolgreichste Personality-Dokusoap sein Eigen nennen. Hinzu kommt, dass "Die Wollnys" auch mit veränderter Besetzung erfolgreich sind. Ins Unendliche scheint sich dieses Genre aber offenbar trotzdem nicht ausweiten zu lassen, wie der "Schickeria Deluxe"-Flop zeigte oder auch das schwache Abschneiden der Hohlbeins. Selbst die Auswanderer-Familie Reimann - bislang vor allem bei Vox beheimatet - erwies sich bislang noch nicht als der erhoffte Überflieger für RTL II.

Zu einem echten Überraschungserfolg entwickelte sich dagegen der "Babyabend" am Mittwoch, bei dem man eher aus der Not eine Tugend machte und unter anderem die "Teenie-Mütter" reaktivierte. Die Wiederholungen kamen so gut an, dass für die Zukunft nun noch viel mehr Baby-Geschichten zu erwarten sind. Zudem hielten mit "Extrem schwer - Mein Weg in ein neues Leben" oder dem Promimagazin "Hautnah" auch neue Formate Einzug ins Programm. Nachschub ist aber gefragter denn je, seit sich der Sender dazu entschied, gleich vier Abende pro Woche mit Eigenproduktionen bestücken zu wollen. Das ist zwar aufwändig, bringt RTL II aber zumindest Identität. Nur von Shows will man künftig die Finger lassen, was angesichts der schwachen "Guinness-Show"-Quoten nur konsequent ist.

Für zusätzliche Identität könnten eigentlich auch US-Serien sorgen, doch die fristeten in der jüngeren Vergangenheit eher ein Schattendasein. Dabei wären viele Fernsehmacher im Ausland vermutlich neidisch auf RTL II - mit "Game of Thrones", "The Walking Dead", "Dexter" und "Californication" hat man nämlich echte Perlen im Portfolio. Doch weil die meisten davon inzwischen gerne mal zu nächtlicher Stunde als Marathon versendet werden, ist meist schon ganz schnell wieder Schluss. Und so kommt es, dass all diese Hochkaräter mittlerweile eher wie ein Fremdkörper wirken. Das ist schade, aus Sendersicht aber durchaus verständlich. Aber vielleicht findet Andreas Bartl im Maschinenraum von RTL II ja doch noch einen Hebel, der den Serien wieder mehr Aufmerksamkeit einbringt.