Trend Nr. 3: Mehr Relevanz!
Mit diesem Trend begeben wir uns auf dünnes Eis, denn neben "authentisch" zählt "relevant" zu den wohl am meisten missbrauchten Attributen in der Fernsehwelt. Das liegt schon allein daran, dass Relevanz etwas höchst Subjektives in sich trägt. Oftmals behilft sich die Branche mit quantitativen Kriterien, um vermeintliche Relevanz zu umschreiben. 

Das scheitert jedoch immer häufiger, weil immer seltener "ganz Deutschland" bei irgendeiner Superstar-Suche oder einem anderen vom TV geschaffenen Ereignis mitfiebert. Seit dem Ende von "Wetten dass..?" fühlt sich der Familien-Fernseh-Samstagabend noch ein bisschen abgehakter an als zuvor. In den letzten Tagen des ZDF-Dinosauriers wurde greifbar, dass eine Fehlbesetzung wie Markus Lanz selbst ein einstiges Must-See-Event in die beschleunigte Irrelevanz treiben kann. 



Wir trauen uns dennoch an die Frage heran, wo eine neue Art von Relevanz im TV herkommen könnte. Eine, die moderne gesellschaftliche Entwicklungen reflektiert und gerade darum nicht allein auf nackte Zahlen angewiesen ist, um ihren Namen in den Augen vieler zu verdienen. Wollte man dieser "neuen" Relevanz ein Gesicht geben, dann könnte es Brille tragen und das von Günter Wallraff sein. Der Kölner Journalist und Aufdecker hat sich Jahrzehnte lang nicht darum geschert, was Quote oder Auflage bringt. Vielmehr fühlte er sich getrieben und tat das, was er tun musste, auch wenn es einer breiten gesellschaftlichen Wahrnehmung widersprach. 

Wallraff war oft viel früher dran als das kollektive Gewissen der Deutschen, das dem eifrigen Mahner erst mit Verspätung in der Ablehnung ausbeuterischer Arbeitsformen oder im Verständnis größerer Konsumzusammenhänge folgen mochte. So ist es bis heute, und eigentlich hat sich an Wallraffs Arbeitsweise kaum etwas verändert. Außer einem entscheidenden Punkt: Heute macht er es bei RTL. Er selbst ist der erste, der zugibt, wie sehr das die Resonanz auf sein Wirken verstärkt hat. "Heute erreiche ich all die Menschen, die ich im Grunde schon immer erreichen wollte", sagt er. 

Abgesehen von den Einschaltquoten - die bei "Team Wallraff" überdurchschnittlich gut ausfallen - lässt sich die Wirkung etwa im weitgehenden Umsturz des Franchisesystems von Burger King Deutschland oder in konkreten Verbesserungen der Zustände mancher deutscher Pflegeheime bemessen. RTL und Wallraff, so scheint es, geben sich gegenseitig mehr Relevanz, als sie ohne den jeweils anderen hätten. 

Dass engagierte "Team Wallraff"-Reporter wie Pia Osterhaus oder Alexander Römer sich für einen simplen "Markencheck" in der Kölner City hergeben könnten, erscheint ungefähr so wahrscheinlich wie die Vorstellung, dass Wallraff dort höchstpersönlich Passanten zum Burger-Blindtest bittet. Ausgerechnet die Öffentlich-Rechtlichen, die vor RTL auf die Idee von "Team Wallraff" hätten zugreifen können, sehen den Trend gegenwärtig eher in formatierten Schema-F-Rastern und ghettoisieren bedeutsame Reportage-Arbeit gern in der Talkshow-Sommerpause.

Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass Wallraff'sche Relevanz nicht einfach durch die Anwendung von Undercover-Mechanismen herzustellen ist, so wäre dieser Beweis 2014 durch die einschlägigen Schnellschuss-Kopien erbracht worden. Dennoch dürfen wir zuversichtlich sein, dass in diesem Jahr eher mehr statt weniger Relevanz Einzug ins TV-Programm hält. Und das nicht nur, weil RTL zwei oder drei neue Folgen von "Team Wallraff" ausstrahlen wird - übrigens dann, wenn sie fertig sind, und mit einer Sendelänge, die sie benötigen. Relevanz lässt sich nicht immer ins Programmschema pressen. 

Dass Vox mit seiner "Höhle der Löwen" - neun Jahre nach Start des BBC-Originals "Dragons' Den" - unternehmerischen Spirit zum Kern einer erfolgreichen Primetime-Show gemacht hat und diese in einigen Monaten fortsetzen wird, ist auch so ein untrügliches Zeichen dafür, dass Relevanz bei nicht unwesentlichen Teilen des Publikums gefragt ist.

Und dass wir einen Trend zur Relevanz sehen, hat auch mit unserem Trend Nr. 1 zu tun. Wenn deutsche Serien sich mit der psychologischen Architektur des Kalten Krieges beschäftigen und nicht nur mit Tierärzten oder Autobahn-Cops, dann streben sie plötzlich näher an gesellschaftliche Wahrheiten heran, als man es lange Zeit für möglich gehalten hätte. 

Aus ganz unterschiedlichen Ecken weht so ein Wind, dem sich Sender und Produzenten nicht entziehen können. Unter den Menschen, die das Fernsehen noch nicht abgeschrieben haben, gibt es wieder mehr, die von ihm Antworten und Anstöße erwarten, die mehr sein dürfen als nur bequem.

Team Wallraff© RTL/Stefan Gregorowius
Die DWDL.de-Prognose
: "Team Wallraff" wird weiteren Wirtschaftszweigen ans Bein pinkeln, die es verdient haben (100% Wahrscheinlichkeit). ARD und ZDF werden unbequeme journalistische Formate wie "Könnes kämpft" oder "Hunger!" häufiger auf prominenten Sendeplätzen in ihren Hauptprogrammen zeigen (30% Wahrscheinlichkeit). In Fiction und Unterhaltung werden bewusste Bezüge zur gesellschaftlichen Realität ihren Platz neben patenten Nonnen und liebesbedürftigen Landwirten erobern, ohne dass es deshalb weniger unterhaltsam wird (75% Wahrscheinlichkeit).