Seit Dienstag kennen die Nachrichtensendungen fast nur eine Thema. Der Absturz einer Germanwings-Maschine hat auf der ganzen Welt Bestürzung und Anteilnahme ausgelöst - erst recht, nachdem am Donnerstag Details zur mutmaßlichen Ursache bekannt wurden. Die Medien stehen dabei vor der Herausforderung, möglichst verantwortungsvoll mit der Situation umzugehen. Das gelang in den vergangenen Tagen gerade mit Blick auf die mitunter sehr boulevardeske und effekhascherische Berichterstattung nicht immer, wie das Zeigen unverpixelter Fotos des Co-Piloten deutlich machte. Doch nicht nur die tägliche Berichterstattung verlangt Fingerspitzengefühl: Viele Fernseh- und Radiomacher richten ihre Blicke derzeit auch auf ihr reguläres Programm, um zu verhindern, mit einer unbedachten Ausstrahlung die Gefühle einiger Zuschauer zu verletzen.

So entschied sich etwa Stefan Raab am Tag des Unglücks dafür, mit seiner Late-Night-Show bei ProSieben zu verzichten, und auch Formate wie "Die Anstalt", "Extra 3" oder das "Neo Magazin Royale" erachteten die Verantwortlichen von ARD und ZDF derzeit als unpassend. Gleiches gilt für die Sat.1-Comedyshow "Luke! Die Woche und ich" und die "heute-show", die in dieser Woche aus nachvollziehbaren Gründen eine Pause einlegen werden. "Die 'heute-show' ist ein Wochenrückblick. Und auf diese Woche satirisch zurückzublicken, ist unserer Meinung nach nicht angebracht", rechtfertigte Moderator Oliver Welke die Entscheidung, die den meisten, aber längst nicht allen Fans der Show gefiel, wie etwa die Kommentare auf Facebook zeigen. Es sind allerdings längst nicht nur Comedy- und Satireshows, die im Fokus stehen. Auch abseits davon wird vielerorts das eigene Programm kritisch geprüft, wie RTL mit der kurzfristige Verschiebung seines Event-Films "Starfighter" zeigt - trotz millionenschwerer Werbekampagne.

Oftmals mag hinter der Entscheidung auch eine gute Portion Aktionismus stehen. Letztlich gibt es aber häufig gute Gründe für Programmänderungen. Dass man bei Super RTL derzeit besonders akribisch vorgeht, überrascht jedenfalls nicht, schließlich richtet sich der Sender mit seinem Programm vorwiegend an die ganz kleinen Zuschauer. "Nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 haben wir damit begonnen, unser gesamtes Kinder-Programm systematisch auf solche Szenen hin zu überprüfen, deren Ausstrahlung im Falle einer realen Naturkatastrophe, eines Anschlags oder Unfalls als unpassend empfunden werden könnte", sagt Sendersprecher Thomas Babiel gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de. "In unserem Redaktionssystem sind sämtliche potentiell unangemessenen Szenen dokumentiert, so dass wir auf aktuelle Ereignisse unmittelbar reagieren und Episoden austauschen können, wenn wir das für geboten halten."

"Eine ganz neue Bedeutung im realen Kontext"

Vor allem mit Blick auf die jungen Zuschauer, die häufig mit Bildern von Katastrophen konfrontiert werden, ohne diese für sich einordnen zu können, ist das berühmte Fingerspitzengefühl gefragt. "Die Herausforderung bei der Sichtung von Serien besteht darin, solche Ereignisse zu identifizieren, die an sich harmlos sind, im Kontext realer Geschehnisse jedoch eine ganz neue Bedeutung bekommen", betont Babiel. "Bricht in einer Zeichentrickserie ein Damm und jemand surft auf der dadurch entstandenen Welle ist das lustig. Unmittelbar nach einer realen Überschwemmung sieht das natürlich ganz anders aus." Nach dem jüngsten Flugzeugabsturz verzichtete Super RTL etwa auf eine Folge von "Cosmo & Wanda". Babiel: "Bei einem Zeppelin-Absturz kam zwar niemand zu Schaden, dennoch wollten wir diese Folge nicht zeigen."

Vor der Frage, welche Programme an Tagen wie diesen womöglich fehl am Platze sein könnten, steht man auch in Unterföhring. "Es gibt natürlich feste Prozesse, die an so tragischen Tagen wie Dienstag automatisch greifen", betont Diana Schardt, Sprecherin von ProSiebenSat.1 TV Deutschland. So würden sämtliche Folgen serieller Programme inhaltlich geprüft. Folgen, die als kritisch eingestuft werden, werden umgehend aus dem Programm genommen und ersetzt. Die Prüfung geht allerdings über das Programm hinaus. So stehen auch Werbeformen und Spots im Netz sowie sämtliche Social-Media-Aktivitäten im Zentrum der Prüfung. Nicht zuletzt geplante Posts und Tweets werden von den Verantwortlichen noch einmal betrachtet - schließlich kann schon ein einziger falscher Satz in den sozialen Netzwerken binnen kürzester Zeit hohe Wellen schlagen, wie der Mini-Shitstorm zeigt, den sich der Radiosender hr info wenige Stunden nach Bekanntwerden des Germanwings-Absturzes einhandelte, weil er kurzzeitig den Blick auf den Aktienkurs der Lufthansa lenkte. Das erschien vielen unpassend und zog prompt eine Entschuldigung nach sich.

Vor der Herausforderung, den richtigen Ton zu treffen, stehen letztlich also auch die Radio-Kollegen - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. "Die Hörfunkwellen des WDR passen für aktuelle Ereignisse, in denen es angemessen ist, das musikalische Programm der Berichterstattung an. Dafür gibt es einen Pool an Titeln mit getragenem Charakter, auf die sofort zurückgegriffen werden kann", sagt WDR-Sprecherin Annette Metzinger auf DWDL.de-Anfrage. "Diese Pools sind in ihrer Musikfarbe dem jeweiligen Profil der einzelnen Welle angepasst." Tatsächlich konnte man am Dienstag unmittelbar nach den ersten Unglücks-Meldungen vom Dienstag eine veränderte Ausrichtung erkennen. Metzinger: "In Katastrophenfällen, wie dem aktuellen Absturz der Germanwings-Maschine, überprüfen die Musikredaktionen direkt nach Bekanntwerden die kommenden Musiklaufpläne auf Titel, bei denen ein Kontext zum Unglück interpretiert werden könnte und tauschen solche Titel aus. Auch wird die Intensität/Stimmung der Musikplanung der aktuellen Stimmungslage angepasst."

"Wir bewegen uns auf einem schmalen Grad."

n-tv-Sprecherin Bettina Klauser

Während viele Sender im Fernsehen und Hörfunk in den Tagen nach der Germanwings-Katastrophe also sorgsam das eigene Programm scannen, entschied sich Phoenix noch am Dienstag dazu, Dokus über Flugzeugabstürze ins Programm zu nehmen. n-tv widmete früheren Abstürzen sogar eine ganze Themennacht, was vor allem in den sozialen Netzwerken kritisch diskutiert wurde. "Als Nachrichtensender sind wir uns sehr bewusst, dass wir uns mit so einer Programmierung auf einem schmalen Grat bewegen. Wir wissen, dass wir den Zeitpunkt dafür sensibel auswählen müssen. Gerade deshalb haben wir am Dienstag, dem Tag des Unglücks, bewusst auf solche Dokus verzichtet", sagt n-tv-Sprecherin Bettina Klauser. "Neben der Rücksicht auf die Gefühlslage der betroffenen Menschen haben wir aber auch eine journalistische Verantwortung gegenüber den Menschen, die sich informieren wollen, die Hintergründe haben wollen, wie es zu so einem tragischen Vorfall kommen kann."

Länger als einen Tag wollte man sich allerdings dann doch nicht zurückhalten. Ab Mittwoch habe man Dokus, die vor allem technische Aspekte von vergangenen Katastrophen beleuchten, ins Programm genommen - "nach sorgfältiger interner Prüfung", wie Klauser gegenüber DWDL.de betont. "Nach den aktuellen Entwicklungen am Donnerstag hat n-tv dann wieder aktuell entschieden, keine weiteren Dokus zu dem Thema auszustrahlen. Von einem Nachrichtensender erwartet man, dass er Hintergründe liefert, ohne dabei allein auf Effekte aus zu sein. Der Rahmen des Spekulativen muss dabei immer wieder aufs Neue geprüft werden. Gerade deshalb können vergangene Fälle, bei denen eine völlig andere Konstellation vorlag, unterstützend wirken, ohne dabei eine direkte Nähe zum konkreten Fall zu suchen."

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