Es ist durchaus bemerkenswert und macht auch ein bisschen Hoffnung, dass die Journalisten von morgen über Inhalte mindestens ebenso intensiv nachdenken wie über Technik, wenn sie von der Zukunft ihres angestrebten Berufsstandes reden. Das zeigen die internationalen Sieger-Essays des gemeinsam mit Amazon ausgeschriebenen Wettbewerbs für Nachwuchsjournalisten, die DWDL.de diese Woche Tag für Tag veröffentlicht. Und das zeigen die lebhaften Diskussionen beim International Journalism Festival in Perugia, der italienischen Provinzhauptstadt von Umbrien.

Bevor es um den richtigen Hashtag oder die beste Social-Media-Strategie geht, geht es erst einmal um Grundsätzliches. Wie geht die Gesellschaft mit Flüchtlingen, mit Terror oder mit der Umwelt um? Und welche Verantwortung haben dabei die Medien bzw. die Journalisten? Das sind die Fragen, die junge, angehende Journalisten aus ganz Europa offensichtlich bewegen. Da passt es gut, dass zu Beginn des ersten Festivaltags Vertreter von drei Weltreligionen über den Glauben im Journalismus diskutierten.



Nur eine informierte Öffentlichkeit sei in der Lage, sich bewusst für Dialog und Verständigung zu entscheiden, betonten übereinstimmend der Bischof von Mazara del Vallo sowie die Vertreter der islamischen und der jüdischen Gemeinden in Italien. Für den Durchschnittsleser oder -zuschauer sei es heute oftmals zu schwierig, zwischen Propaganda und Journalismus zu unterscheiden. "Wir brauchen neue Worte", so Bischof Domenico Mogarevo. "Journalisten sollten an einer Sprache ohne unterschwellige Schuldzuweisungen arbeiten." Als Beispiel nannte er den "Fundamentalismus"-Begriff, der allzu oft unüberlegt mit der jeweils fremden Religion gleichgesetzt werde. "Dabei gibt es auch einen katholischen Fundamentalismus, der nicht unbedingt weniger gefährlich ist als der islamische oder der jüdische", so Mogarevo.

Das "verbale Abrüsten" und Hinterfragen gängiger Stereotypen bezeichnete Izzedin Elzir von der Vereinigung islamischer Gemeinden in Italien als "langen, schwierigen Weg, aber den einzigen, um auf Dauer in Frieden miteinander zu leben". Er regte zudem an, Moscheen konsequent für alle interessierten Menschen und Medien zu öffnen und in dieser Hinsicht dem Vorbild der meisten christlichen Kirchen zu folgen.

Jede Menge Stereotypen standen auch im Raum, als es in einer anderen Veranstaltung des Festivals um die Afrika-Berichterstattung westlicher Medien ging. Kaum einer im Publikum hatte in den vergangenen Monaten ein Foto vom großen Radrennen in Nigeria wahrgenommen, die Bilder von Kindersoldaten mit Gewehren aus demselben Land waren dafür fast jedem geläufig. "In Europa und den USA assoziiert man Nigeria derzeit mit Boko Haram - und mit nicht viel anderem", sagte Tolu Ogunlesi, nigerianischer Journalist und Kolumnist des Monatsmagazins "The Africa Report". Umgekehrt sei es ähnlich: Ein Bekannter habe ihm kürzlich seine Angst vor einer USA-Reise gestanden, weil man von dort quasi nur Berichte über Schießereien und Waffenmissbrauch kenne.

"Wenn wir im Zusammenhang mit Afrika immer nur arme, hungernde Kinder zeigen, dann ist das eine Form von Neokolonialismus", so Silvia Pochettino vom europäischen DevReporter Network. Das EU-geförderte Projekt zur Kommunikation von internationaler Solidarität hat über tausend Afrika-Berichte in französischen, spanischen und italienischen Medien analysiert. Eines der Ergebnisse: Gerade mal die Hälfte enthielt eine geografische Angabe, die präziser war als "Afrika". Seit einigen Jahren sei wiederum das Selbstbewusstsein einheimischer Journalisten gewachsen, verstärkt auch eigene Geschichten zu erzählen, stellte Ogunlesi fest. Neue TV-Sender in verschiedenen afrikanischen Ländern sorgten mehr und mehr für eine lokale Alternative zum "Hubschrauber-Journalismus von CNN und BBC World News".

Natürlich haben auch - aber eben nicht nur - neue technische Entwicklungen ihren Platz beim International Journalism Festival. So boten zum Auftakt etwa Twitter und Google den jungen Journalisten ausführliche Workshops zur Nutzung ihrer Tools für Recherche und Berichterstattung an. In einer Diskussion über Datenjournalismus und die wachsende Bedeutung der "Journocoder" präsentierten Vertreter von "Wall Street Journal", "The Guardian" und BBC News Labs ihre Alternativen zu klassischen Text-Bild-Angeboten. In Großbritannien hatte unlängst das BBC-Online-Game "Syrian Journey" für Aufregung gesorgt, mit dem man die Odyssee syrischer Flüchtlinge nach Europa nachspielen konnte - inklusive verschiedener tödlich endender Szenarien. "Die Idee, dass Nachrichten in Zukunft nicht nur gelesen, sondern auch gespielt werden, scheint für manche Leute noch schwer akzeptabel zu sein", so John Crowley, Digital Editor des "Wall Street Journal" für Europa. Aufhalten lassen werde sich die Realität davon nicht.