"Wenn mein Computer hochfährt, fahre ich auch hoch", sagt die Nonne und beginnt zu beten. Während sie gerade in sich geht, ist Dieter Haupt längst auf den Beinen. Um viertel nach 4 zündet sich der LKW-Fahrer eine Zigarette an. "Jetzt könn' 'mer losfahren", murmelt er und braust davon. Elefantenpflegerin Vanessa Hagedorn betritt etwas später das Gehege und weckt die verschlafenen Vierbeiner im Wuppertaler Zoo. Ein neuer Tag ist angebrochen in Nordrhein-Westfalen - und der WDR ist mit dabei.

Vor knapp einem Jahr rief der Sender seine Zuschauer dazu auf, ihren Arbeitsalltag zu filmen, ohne dabei allzu viele Vorgaben zu machen. Videos im Querformat und möglichst wenige Schnitte waren neben einer Einverständniserklärung zur Ausstrahlung so ziemlich die einzigen Voraussetzungen. Danach ging es an die Arbeit. Über mehrere Monate hinweg sichteten Regisseurin Luzia Schmid und Cutter Rudi Heinen all die eingegangenen Clips und fügten sie schließlich zu einem wirklich sehenswerten Gesamtwerk zusammen, das nun am 1. Mai - dem Tag der Arbeit - zur besten Sendezeit im WDR Fernsehen unter dem Titel "Deine Arbeit, Dein Leben!" ausgestrahlt wird.

Sehr stimmig sorgten Schmid und Heinen für die Übergänge zwischen den einzelnen Protagonisten, die in Wirklichkeit gar nichts miteinander zu tun haben. Geradezu liebevoll achteten sie darauf, die vielen kleinen Geschichten auf einer Art Metaebene miteinander zu verknüpfen und somit ganz groß werden zu lassen. Wie bei einem Puzzle sei die Arbeit an der Dokumentation gewesen, sagte Schmid bei der Premiere im Kölner Filmforum. "Man hat die Teile, aber jemand hat das Bild weggeschmissen." Die besondere Stärke des Films liegt einerseits in den Protagonisten, die tatsächlich so vielfältig sind wie das Leben selbst, andererseits aber auch in der Erzählweise, die ganz ohne Worte auskommt.

Dankenswerterweise gibt es nämlich keinen Off-Sprecher, der noch einmal sagt, was die Zuschauer ohnehin sehen. "Ich wüsste auch gar nicht, wie ich das kommentieren sollte. Alles, was man dazu sagen würde, wäre draufgestülpt", betonte die Grimme-Preisträgerin, die zusammen mit Rudi Heinen bereits vor drei Jahren das Projekt "Ein Tag Leben" realisierte. Tatsächlich braucht es keinerlei Worte, um die Zuschauer zum Lachen zu bringen, wenn ein kleiner Dickhäute den Frühstücksraum seiner Tierpflegerin betritt. Und wenn ein alter, verarmter Künstler über Schmerzen im Arm klagt und davon erzählt, sich den Besuch bei der Heilpraktikerin nicht leisten zu können, dann spricht das ebenfalls für sich. "Leben", sagt er und macht eine kurze Pause, "Leben ist anders."

Auch der eingangs erwähnte Truckerfahrer ist keineswegs zufrieden. Er ist inzwischen 70 Jahre alt und würde lieber jetzt als gleich aufhören, wenn es der Kontostand denn zuließe. So aber sitzt er jeden Morgen aufs Neue in seinem LKW, um für verschiedene Unternehmen von A nach B zu fahren. Nein, längst nicht jeder, der in diesem Film zu sehen ist, hat den Traumjob, den er sich womöglich einmal erhofft hat. Dass trotzdem immer wieder kleine Glücksmomente aufblitzen, macht "Deine Arbeit, Dein Leben!" so wunderbar.

Weil das Projekt crossmedial angelegt ist, finden sind online zudem rund 1.000 Stunden an weiterem Material, für das sich im Film kein Platz fand. Ganz zu schweigen vom Hörspiel, das am selben Abend ab 23:05 Uhr bei 1Live und WDR3 zu hören sein wird und als Ergänzung zur Dokumentation gedacht ist. Weil ihnen die prägende Bildsprache des Films fehlte, standen Autor Ulrich Biermann und Regisseur Thomas Leutzbach vor der Herausforderung, die einzelnen Geschichten in einen Dialog zu bringen. Geholfen haben ihnen Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen, die die Aussagen der Mitwirkenden hinterfragten. Dass die Protgonisten später wiederum mit den Thesen der Experten konfrontiert wurden, ist der besondere Clou, den sich Biermann und Leutzbach ausgedacht haben. Eine in mehrerelei Hinsicht spannende Dialektik.