Bei ProSieben gibt man sich selbstzufrieden. So nah wie in der Saison 2014/2015 war man dem Marktführer RTL noch nie. 2,2 Prozentpunkte trennten die Sender noch, rund ein Viertel weniger als noch eine Saison zuvor. Doch es war nicht die Stärke von ProSieben, sondern die Schwäche von RTL, die die beiden Sender näher zusammenrücken ließ - denn auch ProSieben büßte im Vergleich zum Vorjahr 0,2 Prozentpunkte ein und musste sich letztlich mit 11,1 Prozent Marktanteil bescheiden. Doch 0,2 Prozentpunkte - das ist in Zeiten der Fragmentierung kein Beinbruch. Bei den 14- bis 39-Jährigen, die man selbst umständlich "Relevanzzielgruppe" nennt, war ProSieben zudem Marktführer.

Und so könnte man meinen, der angekündigte Abschied von Stefan Raab sei das einzige größere Problem, das ProSieben in den nächsten Monaten Kopfzerbrechen bereiten dürfte. In der Tat: Raabs Rückzug reißt ein nicht zu unterschätzendes Loch ins Show-Lineup des Senders. Sechs Mal "Schlag den Raab", dazu weitere fünf abendfüllende Events von "Wok-WM" bis "Bundesvision Song Contest" plus das Primetime-Special von "TV total" - und natürlich "TV Total" selbst, das zuletzt so erfolgreich wie viele Jahre nicht war. All das wird nicht mal eben so zu ersetzen sein. Zudem war es Raab, der - so polarisierend er auch ist - ProSieben immer wieder zu Anerkennung bis weit über die Joko-und-Klaas-Zielgruppe hinaus verhalf. Sei es als Retter der Samstagabendunterhaltung dank "Schlag den Raab", sei es durch frischen Wind im Politbereich von Kanzlerduell über die "TV Total Bundestagswahl" bis zu "Absolute Mehrheit", sei es als anscheinend einziger, der durch sein Mitwirken Deutschland vor den hintersten Plätzen beim ESC bewahren kann. Raab wird ProSieben also längst nicht nur, aber eben auch aus Quotensicht fehlen.

Dabei schien ProSieben bis zur Ankündigung des "Raabschieds" im Show-Bereich gar nicht schlecht aufgestellt. Joko und Klaas haben mit "Mein bester Feind" ein Format erfolgreich an den Start gebracht, das die beiden nicht so fordert wie das weiterhin sehr starke "Duell um die Welt". Gemeinsam mit "Circus HalliGalli" sind die beiden spätestens nach Raabs Weggang von unschätzbarem Wert für ProSieben. "The Big Surprise" mit Palina Rojinski hatte zudem ebenfalls einen guten Einstand - muss nach dem Rückgang bei Folge 2 aber erst noch beweisen, dass das keien Eintagsfliege war. Verlassen kann sich ProSieben überdies auf "The Voice", wo von Castingmüdigkeit bislang keine Spur war. Und "Germany's Next Topmodel" blieb auch in Staffel 10 ein Quotengarant am Donnerstagabend. Häufig unterschätzt zudem: "Galileo Big Pictures", das vermutlich selbst zur völligen Überraschung des eigenen Senders im Mai sogar einmalig an "DSDS" vorbeizog.

Mit Raab im Rücken wäre das alles schon nicht schlecht - doch ohne ihn wäre es um so wichtiger gewesen, einen Neustart wie "Himmel oder Hölle" erfolgreich zu platzieren. Das hervorragend gestartete Format war bei Folge 2 brutal abgestürzt. In Kürze erhält die Sendung mit modifiziertem Konzept nochmal eine Chance - ProSieben wird mehr denn je auf einen Erfolg hoffen. Problematisch bleibt zudem der Donnerstags-Platz außerhalb der "Voice"- und "Topmodel"-Zeit. "Catch the Millionaire" wird man nach dem Quotendesaster nicht nochmal auflegen, gerade enttäuscht dort auch "Die Band". Immerhin wird man künftig mehr von "Got to dance" haben, weil man sich die Show nicht mehr mit Sat.1 teilen muss.

Eine zunehmend offene Flanke bildet im ProSieben-Programm die US-Fiction. Lange Zeit hatte ProSieben hier fast nur auf Sitcoms gesetzt - die noch immer dafür sorgen, dass das Nachmittagsprogramm ohne nennenswerte Kosten auf Autopilot tolle Quoten holt. Doch in der Primetime werden die Probleme immer offensichtlicher. In der zurückliegenden Saison musste man schon auf "How I Met Your Mother" verzichten, künftig fehlt auch noch "Two and a half Men". Als Stützen bleiben da nur noch "The Big Bang Theory" und  die "Simpsons" - letztere aber schon mit Abschlägen, insbesondere in Wiederholungen sind die Quoten nämlich inzwischen häufiger mau. Nachschub gab es in diesem Bereich in den letzten Monaten kaum. Und wenn ProSieben mal Neues ins Programm nahm, dann war das entweder in den USA schon wieder abgesetzt - wie bei "Friends with Better Lives", oder fiel hierzulande durch - wie "Mom". Von den etwas neueren Sitcoms schlägt sich allenfalls noch "2 Broke Girls" halbwegs solide. Doch einen Abend aufbauen lässt sich darauf bislang nicht, weshalb man nun schon die "Simpsons" wieder auf den Dienstag verlegen musste.

Man darf gespannt sein, ob die Montagslösung nun auf Dauer vier Folgen "Big Bang Theory" sein werden. Auch die neue US-Saison hält nämlich im Bereich klassischer Sitcoms nichts bereit, was als kommender Hit gilt. Womöglich könnte ProSieben diese Abhängigkeit ja verringern, indem man die Comedy-Abende mit etwas selbst produziertem verstärkt. Doch wenn man mal von "Circus HalliGalli" absieht, ist der Sender hier inzwischen praktisch blank. Der Sender, der einst "Stromberg" hervorbrachte, zeigte zuletzt zumindest öffentlich keinerlei Anstrengungen mehr in dieser Hinsicht. Und einer wie Simon Gosejohann macht seine Versteckte-Kamera-Clips nicht mehr für die "Comedystreet" - einst bei ProSieben gar zum 20:15-Uhr-Format befördert -  sondern für Clipfish.

Auf den ausbleibenden Sitcom-Nachschub hat ProSieben bislang zwar nicht mit Eigenproduziertem reagiert, dafür wurden aber verstärkt wieder andere Serienfarben ins Programm genommen - allerdings mit ziemlich durchwachsenem Erfolg. "Devious Maids" erwies sich aus Quotensicht nicht als "Housewives"-Ersatz, "Flash" und "Gotham" feierten zwar einen sehr erfolgreichen Einstand - fielen aber schon im Lauf der halben ersten Staffel, die bislang gezeigt wurde, unter den Senderschnitt. "Grey's Anatomy" kämpft mittlerweile mit der 10-Prozent-Marke, "Vikings" erwies sich als Flop, der US-Hit "Empire" fiel gerade erst durch. Immerhin war auf "Under the Dome" war Verlass - doch ProSieben braucht hier deutlich mehr. Denn anders als das unverwüstliche "Big Bang Theory" sind die anderen Serien abseits der klassischen Krimis - die in der Regel bei Sat.1 landen - nicht guten Gewissens wiederholbar. Sich von der Sitcom-Abhängigkeit ein Stück weiter freizustrampeln, wird dadurch gleich doppelt schwer.

Und dann ist da auch noch der Vorabend, über den man perspektivisch wohl auch ein paar Gedanken verlieren sollte. "Galileo" kam im Schnitt in dieser Saison hier noch auf 10,4 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen, ein halber Prozentpunkt weniger als noch eine Saison zuvor. Im April und Mai war der Marktanteil im Schnitt sogar einstellig. Im Juni lief's zwar wieder besser - doch werden einstellige Marktanteile zur Regel, dann muss entweder an "Galileo" gearbeitet werden, oder ein Plan B her.