Wenn einer der neuen Player aus der digitalen On-Demand-Welt sich auf traditionelle Tugenden versteht, wo sie sinnvoll sind, dann ist es Amazon. Das gilt nicht nur für den bisweilen unterschätzten Offline-Modus, sondern auch für die guten alten Premierenfeiern. Quasi das physische Gegenstück zum individuellen Stream auf Abruf, für das sich viele Gleichgesinnte vor einer großen Leinwand versammeln – in diesem Fall sogar in einer Kirche.

Weil Amazon weiß, wie man für Gesprächsstoff sorgt, waren Stars und Macher der neuen Serie "Hand of God" jüngst in jenen Ländern unterwegs, in denen der Online-Händler VoD anbietet, feierten eine Premiere nach der anderen, um auf den weltweiten Streaming-Start am heutigen Freitag aufmerksam zu machen. Vor dem Event im Französischen Dom zu Berlin sprach Hollywood-Star Ron Perlman ("Hellboy", "Sons of Anarchy") mit dem Medienmagazin DWDL.de darüber, was die Serie so besonders macht.



"Den Richter Pernell Harris zu spielen ist wie Hamlet oder King Lear – ein ganzes Kompendium faszinierender Charaktereigenschaften in einer einzigen Rolle, alles von enormer Macht und Unbarmherzigkeit bis zu unendlich tiefem Leid und Schmerz", so Perlman. "Ich war mir anfangs nicht sicher, ob meine Fähigkeiten ausreichen würden, das zu spielen. Aber Ben und Marc hatten zum Glück weitaus mehr Zutrauen in mich als ich selbst."

Ben und Marc, das sind der Schöpfer und Showrunner von "Hand of God", Ben Watkins ("Burn Notice"), sowie der Regisseur und Executive Producer, der deutsch-schweizerische Oscar-Preisträger Marc Forster ("Monster's Ball", "World War Z"). Nach Vorabansicht der ersten fünf von insgesamt zehn Folgen lässt sich klar sagen, dass die beiden eine außergewöhnliche Serie geschaffen haben, die von ebenso drastischer Handlung wie emotionaler Spannung lebt. Die Geschichte dreht sich um Harris, den "Richter Gnadenlos", der nach einem Nervenzusammenbruch zur Selbstjustiz greift und dabei seinen plötzlich auftretenden religiösen Visionen und Gottesbotschaften folgt.

"Das Thema Fanatismus hat mich beschäftigt", so Autor Watkins zu DWDL.de. "Wenn Menschen sich einer Sache so intensiv zuwenden, dass diese Sache fortan ihr komplettes Leben bestimmt – ganz egal, ob das Religion, Politik oder Kunst ist. Mich interessiert der Zwiespalt, der darin liegt. Denn selbst wenn man sich anfangs einer guten Sache verschreibt, entstehen durch die fanatische Ausübung zwangsläufig negative Konsequenzen und oft kommen andere Menschen im Umfeld zu Schaden."

Watkins und Forster, die beide von der Hollywood-Agentur CAA vertreten werden, hatten über den Stoff frühzeitig zueinander gefunden, dann kam Perlman als Star und Executive Producer an Bord. "Wir haben das Skript HBO, Showtime, Netflix, Amazon und etlichen US-Cable-Networks angeboten", erinnert sich Perlman. "Einige wollten es, andere nicht. Aber der kompromissloseste Enthusiasmus kam uns auf Anhieb von Amazon entgegen. Wenn ich jemals wieder eine neue Serie anzubieten habe, werde ich zuerst zu Amazon gehen."

Hand of God© Amazon/Karen Ballard
Ben Watkins, der vor seiner Autorenkarriere über 30 verschiedene Jobs hatte, darunter Anwaltsgehilfe oder Soap-Darsteller, gibt sich ähnlich euphorisch: "Kreativ gesehen, macht es einen Riesenunterschied, ob man für einen Sender bzw. eine Plattform mit oder ohne Werbung arbeitet. Ohne Werbung fallen einfach viele Einschränkungen weg. Im speziellen Fall von Amazon Studios kommt hinzu, dass dieses noch junge Studio sich einen Namen machen will und daher explizit nach ganz besonderen, innovativen Geschichten sucht. Anders als bei vielen Network-Serien musst du nicht durch die berüchtigte 'Development-Hölle', in deren Verlauf deine Ursprungsidee eine Änderung nach der anderen erfährt."

Anders als Watkins hat Regisseur Forster bei seinem Einstieg ins Seriengeschäft die klassischen TV-Sender gleich mal übersprungen. Seine Motivation, dem Kino zumindest vorübergehend den Rücken zu kehren, hat man so ähnlich schon von anderen Filmemachern gehört – doch aus dem Mund eines gefeierten Oscar-Preisträgers, dem die Projekte vermeintlich nur so zufliegen, klingt das natürlich besonders bemerkenswert: "Independent-Filme fürs Kino sind heute immer schwerer zu stemmen", so Forster. "Die meisten Kinobesucher haben ganz bestimmte Erwartungen, wie sie sich am Ende eines Films fühlen wollen. Alles muss seine Auflösung finden. Und dem muss man sich beugen, wenn man an der Kinokasse erfolgreich sein will. Im Fernsehen ist es das Gegenteil: Dort braucht man keine Auflösung, dort sind offene Enden erwünscht. Die Leute sollen ja wieder einschalten. Diese Art von Storytelling interessiert mich sehr."

Dass "Hand of God" so eindringlich wirkt und den Zuschauer fesselt, liegt neben Ron Perlman auch an einem starken Ensemble aus vielschichtigen Charakteren. Die weibliche Hauptrolle, Pernell Harris' Ehefrau Crystal, spielt Hollywood-Star Dana Delany, die von "Superman" über "Desperate Housewives" bis zu "Body of Proof" über die meiste Serienerfahrung aller Beteiligten verfügt. "Nach drei Staffeln 'Body of Proof' war ich so müde und abgespannt, dass ich ein Jahr frei nehmen wollte und meinem Agenten sagte: Bitte keine Jobs!", so Delany zu DWDL.de. "Das Jahr war noch nicht rum, als mein Agent anrief und meinte, es gäbe da ein interessantes Meeting. Als ich hörte, dass es um eine Amazon-Serie ging, war mein Interesse geweckt. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens Network-Serien gedreht, aber für mich steht es außer Frage, dass Streaming die Zukunft unserer Branche ist."

Zumindest in seinem Kopf hat Ben Watkins "Hand of God" schon mal auf fünf Staffeln angelegt, wie er selbst sagt. Die erste ist in der Originalversion ab heute bei Amazon Prime Instant Video abrufbar, in der deutsch synchronisierten Fassung ab 2. Oktober.