Wir werden nie erfahren, ob das deutsche Fernsehen heute ein anderes wäre, wenn der kleine Kampf zwischen den aufstrebenden Privatsendern Tele 5 und Sat.1 einen anderen Verlauf genommen hätte – damals, Ende der 80er Jahre. Tele 5 suchte einen neuen Moderator für seine tägliche Spielshow "Ruck Zuck". Der Neue sollte Mike Krüger sein, geködert von einer "unanständig hohen Summe als Gage", und eigentlich war der Deal schon unterschriftsreif. Bis auch noch Sat.1 anrief, um Krüger mitzuteilen, dass seine ARD-Show "Punkt Punkt Punkt" künftig im Privatfernsehen laufen würde, weil man die Rechte an dem Format gekauft hatte. Und Krüger als Moderator am liebsten gleich mit.

Als der das Angebot von Tele 5 erwähnte, fragte der neue Sat.1-Programmchef Martin Kraml geistesgegenwärtig: "Was würdest du denn sonst noch gerne im Fernsehen machen wollen?" Damit war die Sache entschieden. Wenige Monate später startete "Die Mike Krüger Show" in Sat.1 zur besten Sendezeit am Donnerstagabend – und ihr Namensgeber ist heute noch begeistert, was für "ein unglaublicher Etat" zur Verfügung stand und dass jeder Sketch eine "unglaubliche Materialschlacht" sein durfte.

Die "Goldgräberzeit des Privatfernsehens" war auf ihrem Höhepunkt angelangt, und in seiner gerade bei Piper erschienenen Autobiografie "Mein Gott, Walther - Das Leben ist oft Plan B" erinnert sich Mike Krüger unterhaltsam an die vielen Absurditäten der Branche. Nicht bloß bei den Privaten.

In einem Kapitel schildert er, wie der Bayerische Rundfunk 1987 einen Frontalangriff auf "Wetten dass..?" plante: mit einer modernen Spielshow, "erheblich größer und aufwendiger" als alles, was die Konkurrenz zu bieten hatte – und mit Krüger als Moderator. Die Show hieß eher bescheiden "Vier gegen Willi" und war ein Spiel zwischen zwei Familien, die Geld gewinnen konnten, wenn sie am Ende richtig tippten, durch welches kleine Tor der Show-Goldhamster Willi laufen würde ("die unglaubliche Summe von 10.000 DM"!). Eine riesige Monitorwand mit 150 aneinander geschalteten TV-Geräten, bedient von aus den USA eingeflogenen Computerfachleuten, gehörte zur Kulisse. Stars wie Freddie Mercury traten auf, um ihre neuen Platten vorzustellen. Vor allem mit den Spielen erregte die Show aber Kritiker und Publikum.

"Invasion der Knalltüten"

Ein Vater musste in einem Einspielfilm mitansehen, wie das Familienauto verschrottet wurde, und im Studio entscheiden, welches der vor ihm stehenden Metallklötze mal sein Auto war; ein Postbeamter bekam einen Irokesenschnitt verpasst; und die Toten Hosen verwüsteten im Senderauftrag die Wohnung der Kandidatenfamilie, die per Live-Schaltung im Studio zusehen musste. Es gab zwar üppige Wiedergutmachungen (ein neues Auto, ein Reinigungsdienst-Abo), und die erste Show sahen über 15 Millionen Menschen. Aber der BR wurde "wegen meiner Show auf das Übelste beschimpft", weiß Krüger noch sehr genau.

"Der Spiegel" nannte "Vier gegen Willi" eine "Invasion der Knalltüten" und schloss sich der FAZ an, die ob der neuen TV-Unterhaltung völlig ratlos war, weil Kandidaten nicht mehr durch Leistung, "sondern durch Leiden (...) neuerdings zu öffentlichen Ehren" kommen". Wie gesagt: Wir reden über's Jahr 1987.

Mike Krügers Autobiografie© Piper

Auch aus heutiger Perspektive ist es vor allem erstaunlich, wie unorthodox ausgerechnet der BR damals die Samstagabend-Unterhaltung im Ersten zu verjüngen versuchte. Nach nur sieben wenigen Sendungen war mit "Vier gegen Willi" aber schon wieder Schluss, und Krüger deutet an, dass die Gremien der ARD daran nicht ganz unschuldig waren. Offiziell machte man die sinkenden Einschaltquoten verantwortlich – zwischenzeitlich waren "nur" noch knapp 11 Millionen Zuschauer dabei. Krüger meint: "Der deutsche Humor war wohl noch nicht soweit."

Entschädigt wurde Krüger später mit "7 Tage – 7 Köpfe", dem erfolgreichen Wochenrückblick von RTL, den es gar nicht gegeben hätte, wäre der Sender nicht so geduldig gewesen. Der damalige RTL-Programmdirektor Marc Conrad hatte sich von einer französischen Radiosendung inspirieren lassen, in der sieben Journalisten jeden Freitag über die Themen der Woche stritten; RTL produzierte einen TV-Piloten, der aber "fand keine Gnade und verschwand völlig zu Recht in der Versenkung des Archivs". Rudi Carrell übernahm die Produktion, setzte Hans Meiser, Ulrike von der Groeben und Senderchef Helmut Thoma ins Studio – aber das funktionierte genauso wenig. Krüger fand die Show erst "unterirdisch", dann "durchwachsen". Bis schließlich die Erkenntnis kam: Das Konzept funktioniert bei RTL nur als Comedy.

"Vielleicht bin ich auch einfach zu altmodisch"

"Wir brauchen einen Dicken, einen Kleinen und eine tolle Frau", soll Carrell gesagt haben. Dann einigte er sich mit Krüger darauf, sich gegenseitig mit Holland- und Nasen-Witzen durch den Kakao zu ziehen. Der Rest ist Fernsehgeschichte. Und Krüger schreibt: "Die nächsten zehn Jahre sollten für mich mit die erfolgreichsten, entspanntesten und vor allem lustigsten meiner gesamten Karriere werden." Dabei gingen die Quoten erst "nach ungefähr zwei Jahren durch die Decke". Eine solche Geduld ist im Fernsehen heute eher die Ausnahme; aber wer sie aufbringt, wird belohnt – so wie das ZDF mit der "heute show".

Ähnlich wie sein Filmpartner Thomas Gottschalk, dessen Autobiografie vor wenigen Monaten erschienen ist, wird Krüger trotzdem etwas wehmütig, wenn er über den aktuellen Zustand der TV-Unterhaltung nachdenkt, "bei der ich jegliche Art von Haltung vermisse": "Verstehen Sie mich nicht falsch, vielleicht bin ich auch einfach zu altmodisch für Sendungen wie 'Ich bin ein Star, holt mich hier raus'!" Mit seinen Sendungen habe er sicher auch "kein intellektuelles Bildungsprogramm" gemacht. "Aber (...) heute sind fast alle Shows wie ein Kindergeburtstag", in der Promis sich zum Affen machen müssten.

Das ist ein etwas kurioses Fazit für einen Moderator, der bei "Vier gegen Willi" vor fast zwanzig Jahren Kandidaten in einen verkabelten Glitzeranzug gesteckt hat, damit sie sich auf Brust, Kopf und Arm klopfen, um mit Impulsen einen virtuellen Zeichentrickhamster auf der davorstehenden Riesenleinwand zu fangen. Aber vielleicht ist es auch bloß der Beleg dafür, dass Fernsehen schon immer Geschmackssache war. Und es manchmal einfach darauf ankommt, von welcher Seite man die ganze Sache betrachtet: vor oder hinter der Kamera.

Mike Krüger (mit Till Hoheneder): "Mein Gott, Walther", erschienen im Piper-Verlag, 19,99 Euro.

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