Die Universität Tübingen geht seit mehr als 20 Jahren der Frage nach, wie das Fernsehen über Fußball berichtet, und kam dabei zu einem nicht ganz überraschenden Ergebnis: Die Berichterstattung wird immer weiter ausgedehnt. Christoph Grimmer, der in Tübingen lehrt, rechnete gerade im Deutschlandfunk vor, dass vor zwei Jahren über neun Stunden hinweg über das Finale der Weltmeisterschaft berichtet wurde - ziemlich viel, wenn man bedenkt, dass davon nur etwas mehr als zwei Stunden auf die reine Spielzeit entfielen. Doch obwohl so viel über Fußball berichtet wird, treten Sportjournalisten immer weiter in den Hintergrund. "Die eigene Kompetenz wird abgegeben an Experten", sagt Grimmer - und wer am Freitagabend schon lange vor dem eigentlichen EM-Eröffnungsspiel das ZDF einschaltete oder zumindest nach Abpfiff dran blieb, wird den Eindruck nicht los, dass sich dieser Trend in Zukunft eher noch verstärken wird.

Zumindest das ZDF folgt nämlich neuerdings einem Beispiel, der in anderen Ländern schon länger zu beobachten ist. Dort begrüßt der Moderator nämlich nicht nur einen Experten, sondern gleich mehrere Gäste, die in bester Talkshow-Manier beisammensitzen. Das macht einiges her und ist insbesondere für Oliver Welke und Oliver Kahn eine gern gesehene Entlastung, führt aber zwangsläufig dazu, dass das Fernsehen noch mehr Experten benötigt als bisher. Aus diesem Grund hat sich das ZDF Verstärkung an Bord geholt: Neben Ex-Leverkusen-Kapitän Simon Rolfes, der schon seit einigen Monaten das Team der "Sportreportage" unterstützt, ist neuerdings auch der langjährige BVB-Spieler Sebastian Kehl mit dabei. Er gab gleich am Eröffnungsabend seinen Einstand am ZDF-Tisch und war zuvor ein gefragter Mann. Mit mehreren Sendern sei er im Gespräch gewesen, sagte Kehl vor dem Turnierstart im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de.

Allzu viel Zeit zur Vorbereitung für den ersten Einsatz blieb allerdings nicht. "So lange habe ich mich auf meine TV-Karriere nicht vorbereitet. Nach meinem letzten Spiel war ich lange auf Reisen - auch, um eine gewisse Distanz zur Fußballkarriere zu schaffen." Bei vielen ehemaligen Kollegen habe er jedoch aufmerksam verfolgt, wie sie ihre Karriere als Experten beim Fernsehen starteten. "Das fand ich selbst immer sehr interessant", erzählt der gebürtige Hesse, der es während seiner Karriere auf immerhin 31 Länderspiele brachte. Für seine Auftritte im ZDF hat sich Kehl vorgenommen, "ein Stück weit aus dem Nähkästchen zu plaudern" und den Zuschauern nicht allzu viel abzuverlangen, immerhin säßen bei einer Europameisterschaft ja viele vor dem Fernseher, die sonst gar keine Fußballspiele sehen. Und auch wenn er redegewandt ist und sich gut zu verkaufen weiß, so ist sich Kehl noch nicht im Klaren darüber, wie es nach der EM für ihn weitergehen wird. "Ob das etwas sein wird, das ich dauerhaft machen werde, weiß ich noch nicht - vielleicht sogar eher nicht, weil ich auch noch andere Pläne habe."

Tatsächlich ist es Sebastian Kehl nicht langweilig. Er belegt einen Studiengang, will den Trainerschein machen und kann sich genauso gut eine Karriere als Manager vorstellen. Womöglich wäre Kehl mit diesen Eigenschaften ein idealer Kunde für Simon Rolfes. Der frühere Bundesliga-Profi hat nämlich eine Karrieremanagementfirma für Profisportler gegründet, die sich um Karriereplanung, Spielerberatung und Finanzmanagement kümmert - und nicht zuletzt um die Frage, was nach der aktiven Zeit kommt. Ein äußerst spannender Prozess sei die Karriere nach der Karriere, sagt Rolfes gegenüber DWDL.de und wenn man so mit ihm spricht, dann erhält man keineswegs den Eindruck, als würde ihm das Kicken fehlen. Vor einigen Monaten kam nun auch noch der Job beim Fernsehen dazu. "Man hat viel erlebt als Spieler, klar, aber es gibt so viele andere Facetten, die ich bislang noch gar nicht kannte. Der Fußball ist so groß geworden. Das kennenzulernen, hat mich immer gereizt."

Dieter Gruschwitz© ZDF/Rico Rossival
Ihn und Kehl eint, dass sie reichlich Ernsthaftigkeit mitbringen. Entsprechend begeistert klingt ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz, als er auf seine beiden Experten angesprochen wird. Er lobt Akribie, Vorbereitung und Kritikfähigkeit und attestiert ihnen einen "hohen Grad an Professionalität". Keineswegs selbstverständlich, wie Gruschwitz durchscheinen lässt. "Ich habe vor einigen Jahren schon anderes erlebt", erinnert er sich - freilich ohne konkrete Namen zu nennen. Wichtig ist letztlich, dass Experten sich trauen, ihre Meinung zu äußern, was jenen Fachmännern, deren Karriere schon länger vorbei ist, häufig leichter fällt. Simon Rolfes will dennoch den Finger in die Wunde legen, wenn es nötig wird. "Wenn der Respekt vor der Leistung eines Spielers da ist, dann ist es doch kein Problem, sich auch mal kritisch zu äußern", sagt er und versetzt sich prompt in die Lage des Profis. "Ein Spieler weiß doch auch selbst nur allzu gut, wenn er mal nicht gut gespielt hat." Ganz grundsätzlich müssten sich Spieler bewusst machen, dass es ein Miteinander in diesem Geschäft gibt. "Man sitzt vielleicht nicht immer im gleichen Boot, aber man ist auf gleicher See."

Ähnliches weiß auch Sebastian Kehl zu berichten. "Als Spieler habe ich zwar nicht jeden Tag die Zeitung gelesen, aber selbstverständlich wird man mit Kritik konfrontiert. Grundsätzlich weiß man als Spieler natürlich trotzdem, wie die eigene Leistung war", so der einstige Dortmunder Kapitän, der vor einem Jahr sein letztes Spiel absolvierte. Sportjournalisten machen da aber häufig wohl ohnehin keine allzu großen Unterschiede. Kehl: "Wenn eine Mannschaft ein gutes Spiel abgeliefert hat, wird man als Spieler meist auch gut bewertet - ganz unabhängig davon, ob man nun wirklich gut gespielt hat oder womöglich einen schlechten Tag erwischt hat. Umgekehrt verhält es sich genauso: Wenn du verlierst, dann ist es meist egal, ob du ein gutes Spiel gemacht hast." Bleibt abzuwarten, ob er als Experte am ZDF-Tisch in den kommenden Wochen etwas genauer hinschauen wird.

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