Als Fan von Fernsehserien tendiert man gerade bei noch weitgehend unbekannten Schauspielerinnen und Schauspielern dazu, die Rolle und den Mensch dahinter gleich zu setzen. Man kennt es bzw. sie oder ihn ja nicht anders. Bis es sich dann auf einmal ändert, wie an einem Samstag im Juni. Mir sitzen Uzo Aduba („Crazy Eyes“) und Dascha Polanco („Dayanara ‚Daya‘ Diaz“) gegenüber und begrüßen mit deutlich mehr Sympathie als üblich bei solchen Pressjunkets, bei denen Serienstars und anderen Prominenten im Viertelstunden-Takt die Journalisten vorgesetzt werden. Jetzt haben sie also mich. Und ich sie. Es ist ungewohnt, sie nach den bisher 39 Folgen „Oranger Is The New Black“ nun schick gestylt und ohne die Gefängniskluften zu sehen. Aber auch erfrischend und wenn man so drüber nachdenkt: Uzo Aduba als mein Gegenüber ist mir dann doch ein Stückchen lieber als „Crazy Eyes“. Denn so herzlich ihre gespielte Figur im Kern ist, so verrückt ist auch ihr Charakter. Mit Aduba hingegen möchte man über Gott und die Welt reden. Am Besten bei einem alkoholischen Kaltgetränk philosophieren. Dafür bleibt bei der Taktung der Interviews der beiden Netflix-Serienstars aber keine Zeit. 

Sie touren nicht zum ersten Mal um die Welt, um für eines der Aushängeschilder des SVoD-Dienstes zu werben. Die Serie geht heute schließlich in ihre vierte Staffel. Für Uzo Aduba ist das immer noch surreal. Wir reden über die vergangenen drei Staffeln und landen im Rückwärtsschritt bei der glücklichen Entscheidung, die das alles erst möglich macht. „Ich war kurz davor aufzugeben. Die kleinen Theaterjobs wurden weniger, mein Kontostand immer kleiner. Dann kam mein Manager und fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, bei einem Serien-Piloten vorzusprechen. Ich wollte es versuchen und bekam ein Vorsprechen für ‚OITNB'. Wegen einer falschen Wegbeschreibung kam ich jedoch zu spät und obwohl ich das Gefühl hatte, dass es wirklich gut lief, war ich der festen Überzeugung, dass mir mein zu spät kommen alles verbaut hätte. Ich saß weinend auf dem Heimweg in der U-Bahn und wollte alles hinschmeißen. Doch dann kam ich nach Hause und hörte das Telefon klingeln. Ein Moment, den ich nie wieder vergessen werde.“

Eine schöne Anekdote. Egal, wie oft man sie in dieser Form schon gehört hat. Die Netflix-Pressedame schaut auf die Uhr. Die gemeinsame Zeit ist kurz und kostbar. Aus Höflichkeit unterbricht man natürlich nicht. Auch nicht als Dascha Polanco sich einklinkt. Sie hat drei Kinder, einen Abschluss in Psychologie und vor ihrem Auftritt in „OITNB“ gerade einmal zwei weitere, kleine Rollen zu verzeichnen. „Ich war in Nebenrollen in den Fernsehserien ‚Unforgettable‘ und ‚NYC 22‘ zu sehen, das war‘s dann aber auch. Mein großer Plan war eigentlich nie, Schauspielstar zu werden. Nach meinem Studium war ich damit beschäftigt, als Krankenschwester zu arbeiten – und landete durch berühmte Schicksalsschläge bei einem Casting für ‚OITNB’. Nun sitz ich hier und bin sehr dankbar, dass tun zu dürfen.“ Immer wieder machen beide deutlich: Sie können ihr Glück nicht so ganz fassen. Auch die Reisen rund um die Welt und die Reaktionen auf die Serie aus diversen Ländern.

Uzo Aduba & Dascha Polanco© Netflix

Auch das klingt oft gehört. Sagt das nicht jeder Schauspieler oder Musiker, der höflich und professionell ist? Nun, beim Netflix-Erfolg „Orange Is The New Black“ hat die TV-Globalisierung ein ganz neues Tempo aufgenommen. Selten zuvor ging eine Serie so schnell rund um den Globus. Dass das Ensemble der Knast-Serie so groß und mit so vielen neuen Gesichtern besetzt wurde, macht aus der Frauen-WG am Set eine Reisegruppe zu jedem neuen Staffelstart, der man abnimmt, dass sie selbst noch nicht ganz begreifen was da gerade mit ihnen passiert. Auch nicht zum Start von Staffel 4. Längst haben Aduba und Polanco in der Serie den Sprung von der Neben- zur Hauptrolle gepackt. Eine vielfältige Figurenentwicklung der Drehbuchautoren und die zu Recht mehrfach ausgezeichneten darstellerischen Darbietungen haben ordentlich dazu beigetragen. Und doch hat Staffel 3 gemessen an den hohen Erwartungen mich zumindest ein Stück weit enttäuscht. Das außerordentliche Niveau der vorherigen Folgen wurde mit weniger Spannung, weniger einzigartigen Momenten fortgesetzt.

Ist für eine solche Anmerkung Platz bei den stets so freundlich unverfänglichen Interviews mit US-Stars? Ich habe es mal ausprobiert. „Honey“, beginnt Polanco mit einer derart ruhigen Stimme, wie ich sie sonst nur von meiner Mutter kenne, wenn sie mir die Angst vor etwas nehmen möchte, „ich kann absolut nachvollziehen was du meinst. In den letzten Jahren haben wir Stammcharaktere kennengelernt, die sehr verbandelt interagiert haben, die wir lieben lernten. Jetzt kommen neue Personen hinzu und müssen erst einmal eingeführt werden. Das braucht etwas Zeit. Im Großen und Ganzen geht ‚Orange‘ aber weiter seinen konsequenten Weg: Es geht um das Leben, um Selbstentfaltung und der Umgang mit seinem sozialen Umfeld. So wie das echte Leben haben auch wir eine gute Mischung aus Comedy und Drama, etwas, zu dem sich jeder Zuschauer verbunden fühlen kann. Und du kannst dich freuen, die vierte Staffel wird düsterer, für dich, die anderen Zuschauer und die Insassen emotional anstrengender.“ 

Toll. Damit geht man nur zur Hälfte auf mein angesprochenes Problem ein, entbehrt aber nicht einer gewissen Faszination, wie hier Kritik gekonnt aufgegriffen und kurzerhand mit Verständnis in Neugier auf die neue Staffel verwandelt wird. Sie sind bereits gut in Übung, die beiden Damen. Sie erzählen auch einmal mehr die Geschichte, wie Netflix als Pionier vorangeschritten ist, wie schön frei die Zusammenarbeit doch sei. Wieder lauscht man höflich und denkt sich: Schon mal gehört. Die Zeit, sie rennt uns doch davon. Einen letzten Versuch noch. Vor dem Hintergrund der offensichtlich gesammelten Erfahrungen im Umgang mit Presse, Aufmerksamkeit und Erfolgen, frage ich mich: Wie kann man auf dem Boden bleiben? Wie hebt man nicht ab, wenn man von Netflix in einer weltweiten Promotion-Tour um den Globus geschickt wird und Journalisten - wie auch ich - Schlange stehen für Gespräche?

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Es kommt darauf an, wie du erzogen wurdest. Für mich ist dieser Karrieresprung keine Selbstverständlichkeit. In meinem Kopf schwirrt jeden Tag der Gedanke herum, dass das alles mit einem Fingerschnipsen vorbei sein könnte. In meinen Augen muss man als Mensch geerdet sein, sich nicht mit einem Maserati oder Designer-Klamotten profilieren müssen und auch in einem 10$-Kleid der überzeugten Meinung sein, dass man toll aussieht. Wir leben in einer Ära, in der jeder des Berühmtsein wegens berühmt sein möchte. Ich bin in die Kunst verliebt. Wenn ich zu wählen hätte, ob ich berühmt sein wollen würde, oder in aller Stille mein Schauspiel zu verrichten, würde ich Zweiteres wählen. Ich will glücklich werden, nicht erfolgreich“, sagt Polanco und wirkt in der Wahl der Worte so bedacht und überzeugt wie es sonst nur die Liga von Meryl Streep schafft. Klingt eine Nummer zu groß? Schauen wir mal.