"Hör mir auf mit Snapchat": Wer über das junge soziale Netzwerk spricht, erntet häufig Skepsis. Tatsächlich ist das vor fünf Jahren gestartete soziale Netzwerk längst nicht so selbsterklärend wie etwa Facebook oder Twitter. Und doch lohnt es sich, sich mit Snapchat auseinanderzusetzen – alleine schon, weil die Nutzer äußerst jung sind und einem "Bloomberg"-Bericht zufolge inzwischen täglich mehr Menschen "snappen" als "tweeten". Alleine innerhalb eines halben Jahres kamen 40 Millionen Mitglieder hinzu, die sich auf Videoschnipsel und skurrile Gesichtsfilter einlassen wollen. Das ist auch vielen Fernsehsendern nicht entgangen. "Snapchat ist deshalb so interessant, weil mittlerweile mehr als vier Millionen User in Deutschland die App nutzen", erklärt eine ZDF-Sprecherin.

90 Prozent von ihnen sind nach Angaben von Snapchat zwischen 13 und 34 Jahre alt. "Grundsätzlich erreichen wir mit Snapchat also ein Publikum, das unseren klassischen Angeboten mehr und mehr den Rücken kehrt", betont man auf dem Mainzer Lerchenberg. Experimentieren möchte man beim ZDF hier vor allem mit Echtzeit-Broadcasting. "Im Fernsehen befindet sich immer eine Kamera oder ein Reporter zwischen Protagonist und Zuschauer. Mit Snapchat haben wir nun die Möglichkeit, ganz unverfälschte Einblicke zu gewähren. Mit dem Smartphone werden wir oder unsere Protagonisten selbst zu Regisseuren. Der unmittelbare und personalisierte Zugang schafft eine stärkere Nähe und Bindung zum Format."

Snapchat biete daher die Möglichkeit, neue Formen des Storytellings auszuprobieren. So begann das ZDF im Mai mit dem Projekt "Blickwechsel", das sich als erstes deutsches journalistisches Hochglanz-Storytelling-Format auf Snapchat versteht. Darin wurden fünf Protagonisten je einen Tag in ihrem Leben begleitet – darunter der Inklusions-Aktivist Raúl Krauthausen und ein Travestie-Künstler. Mit einem Astronautenausbilder war man außerdem im Luft- und Raumfahrtzentrum an Stellen unterwegs, an denen normalerweise keine Kamera erlaubt sind. "In den Snaps haben wir Kontakt zur ISS aufgenommen und gesehen, wie ein Satellit abgestoßen wurde. Das fanden unsere User ziemlich cool", heißt von Seiten des Senders, der dahingehend nun weitere Möglichkeiten ausloten will.

Zurückhaltender gibt man sich beim Ersten. Für den Sender spiele Snapchat "wegen seiner extrem jungen Zielgruppe bislang eine untergeordnete Rolle", sagt Tobias Kimmel aus der Online-Redaktion. Perspektivisch sei Snapchat vor allem für Events interessant. Diese könnte ein "Snapchat-affiner Protagonist" nach einem Storyboard mit Snaps begleiten. "Im Regelprogramm fehlen uns schlichtweg die Formate, die zur Zielgruppe des Netzwerkes passen." Dafür wird aber beim jungen Angebot funk fleißig ausprobiert: Der BR steuert hier mit "iam.serafina" sogar eine Scriped-Soap für Snapchat bei.

Ähnlich wie beim Ersten geben sich auch die RTL-Sender zumeist zurückhaltend, wenn es um Snapchat geht. Zwar sei das soziale Netzwerk in den Überlegungen zu einer potentiellen Programmbegleitung "immer fester Bestandteil", sagt Thomas Bodemer von der Mediengruppe RTL Deutschland gegenüber DWDL.de. "Da Snapchat jedoch noch keine Auswertungsmöglichkeiten oder B2B-Schnittstellen bietet, haben wir uns für RTL bislang immer dagegen entschieden." Ein größeres Potential könnten aus Sicht von RTL dagegen die kürzlich gelaunchte Story-Funktion bei Instagram bieten, die für Snapchat durchaus eine ernstzunehmende Konkurrenz darstellt.


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In der Mediengruppe sind einzig Super RTL und RTL II bei Snapchat aktiv, was mit Blick auf die jungen Zielgruppen beider Sender freilich Sinn ergibt - auch wenn der Fokus des Kindersenders im Austausch mit seinen Zuschauern auf Facebook und YouTube liegt. Aus Sicht von RTL II gehört Snapchat dagegen zu den wichtigsten Social-Media-Angeboten. "Daher sind wir auch dort vertreten", sagt eine Sprecherin. Aktuell baut der Sender hier auf seine "News" - in der Hoffnung, dadurch eine sehr junge Zielgruppe für Nachrichten begeistern zu können. Für den Nachrichtensender n-tv spielt Snapchat dagegen keine Rolle. Man habe das Netzwerk getestet, sei aber zu dem Ergebnis gekommen "dass der Nutzen derzeit noch in keinem vertretbaren Verhältnis zum Aufwand steht". Dabei gibt es international durchaus einige beachtliche Beispiele dafür, wie Journalismus auf Snapchat aussehen kann. CNN etwa bietet in den USA sehr sehenswerte Storys.

"Ein attraktiver USP"

Bei ProSiebenSat.1 wird dagegen weiter experimentiert. "Angefangen haben wir auf Snapchat mit Live-Content parallel zu unseren Live-Events", erklärt Carsta Maria Müller, Team Lead Social Media bei ProSiebenSat.1 Digital. "Aktuell probieren wir uns daran, die Memory-Funktion sinnvoll zu nutzen und freuen uns über diese neue Funktion, da leider nicht jeder Content live kommuniziert werden kann." Diese genannte Funktion erlaubt es, Videos und Fotos abzuspeichern. "Abhängig von den zukünftigen Funktionen, mit denen Snapchat uns noch überraschen wird, gewinnt die Plattform immer mehr an Relevanz im Marketing-Mix. Wenn die Demografie jedoch so jung bleibt, bleibt sie eher isoliert, was durchaus ein attraktiver USP ist."

In der Vergangenheit habe man bereits einen ersten so genannten "Content Marketing Case" via Snapchat gemacht, "der sich positiv auf unsere Umsätze ausgewirkt hat", sagt Müller. Darauf will man sich jedoch nicht ausruhen. "Die stetige Veränderung der Plattform bedeutet, dass wir nachziehen müssen. Sprich, das Experimentierfeld erweitert sich oder anders gesagt: Unsere Spielwiese wird immer größer." Aktuell setzt ProSiebenSat.1 bei Snapchat auf einen Mix aus Backstage-Berichten, Storys aus dem Büro-Alltag sowie Tagesberichterstattung zu den täglichen Formaten. "Inhaltlich sind wir frei und offen, verzichten aber nicht auf einen gewissen Qualitätsanspruch, denn Bewegtbild ist unser Geschäft", betont die Socia-Media-Expertin. Es sei schließlich in der DNA des Hauses, "dass unsere Snap-Storys unerhaltsam sind, eine Storyline aufweisen, die Bilder und Videos klar erkennbar sind und nicht zuletzt der Ton verständlich ist".

Und auch bei den Viacom-Sendern wird bei Snapchat weiter ausprobiert. Bei der im September bei Nickelodeon gestartete Eigenproduktion "Spotlight" spielt Snapchat schon jetzt eine große Rolle, wie man betont. Der dazu gehörige Kanal mit seinen 10.000 Followern ermögliche einen Blick hinter die Kulissen. Die lineare Serie wurde direkt mit der Plattform verknüpft, sodass Snaps, die in der Serie gemacht wurden, während der Ausstrahlung im TV direkt bei Snapchat live gingen und von den Fans angeschaut werden konnten. Neben Nickelodeon wollen im nächsten Jahr weitere Sender-Marken wie MTV, Viva und Nicknight lokale Snapchat-Kanäle launchen. Viva soll zudem einen eigenen Musical.ly-Kanal erhalten. Hier produzieren aktuell rund 100 Millionen meist junge Menschen sogenannte Lip-Sync-Videos - das ist dann womöglich schon das nächste große Social-Media-Ding.

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