Neuer, schneller, weiter – das ist wie immer Anfang Januar das vorherrschende Motto auf der CES, der weltgrößten Consumer-Tech-Messe in Las Vegas, auf der in diesen Tagen 20.000 Produktneuheiten vom Smartphone über die Drohne bis zum sprechenden Kühlschrank gelauncht werden. In einem solchen Umfeld professioneller Euphorie fällt es besonders auf, wenn Skepsis, Selbstkritik und Nachdenklichkeit über die künftige Rolle der Medien zum Thema werden.

Davon ist diesmal bemerkenswert viel zu hören. Eine besonders prominente Stimme ist die von US-Medienmogul Barry Diller, Chairman von IAC (About.com, Vimeo, Tinder, "The Daily Beast") und Expedia sowie früherer Chef von Fox und Paramount Pictures. Bei einem Bühnentalk am Donnerstag in Las Vegas nahm er gleich mehrfach das scheinbar so altmodische Wort "Verantwortung" in den Mund. "Jeder, der heute in den Medien arbeitet, muss die Konsequenzen vom schnellen Streben nach Klicks und Reichweite, aber auch von Jahrzehnten billigen Reality-TVs übderdenken", so Diller.

 

Gastgeber Michael Kassan, CEO der Strategieberatung MediaLink, hatte zuvor den immer stärkeren "Direct to Consumer"-Fokus von Medien und Marketing mit einem politischen Beispiel karikiert: Donald Trump sei mit seiner "direkten, ungefilterten Kommunikation" so erfolgreich gewesen, dass er wohl auch als Präsdient in erster Linie nicht via Presse, sondern "direct to consumer" kommunizieren werde. Die große Bemühung der meisten Journalisten, so Barry Diller, sei es stets gewesen, den Kern des Wesentlichen vom Lärm des Nichtigen zu trennen. Dass dafür im Social-Media-Zeitalter nicht mehr zwingend traditionelle Mittler wie Verlage oder Sender gebraucht werden, nannte er "befreiend, aber auch gefährlich".

Selbstkritisch gab der Eigner der News-Plattform "The Daily Beast" zu, dass dort für viele Jahre das Hauptziel immer weitere Steigerungen der Reichweite gewesen sei. Bis zu einem Strategieschwenk vor einem Jahr: Seither betont man lieber den hohen journalistischen Standard und gibt sich mit jenen rund 23 Millionen Unique Usern zufrieden, die dies zu schätzen wissen. Überraschend offen sprach Diller die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Werbevermarktung an und weitete seinen Appell an die Verantwortung der Werbewirtschaft aus: "Die Bereitschaft, für Premium-Umfelder auch Premium-Preise zu bezahlen, ist bislang leider nicht sehr hoch. Werbekunden und Agenturen rufen zwar gern nach Qualität, entscheiden sich selbst aber viel öfter für pure Reichweite als für Qualität. Da muss ein Umdenken stattfinden."

Auch im klassischen Fernsehen sieht der IAC-Gründer eine wachsende Herausforderung ans Marketing, da der Trend ganz klar zu werbefreien Plattformen wie Netflix oder Amazon gehe. "Alle, die sich's eben leisten können, werden für ihre Wunschinhalte künftig zahlen und entsprechend immer weniger Werbung tolerieren", so Diller. "Mit deinem TV-Spot erreichst du dann vor allem die Leute, die sich deine Produkte gar nicht leisten können." 

"Geben wir's doch zu: Lineares TV ist heute ein ziemlich mieses Produkt"

Randy Freer, President & COO, Fox Networks Group


In einer anschließenden Debatte mit Medien- und Marketing-Entscheidern auf der CES erntete Diller viel Zustimmung und kaum Widerspruch. Auch hier trat bemerkenswerte Selbstkritik zu Tage. So gab etwa Roel de Vries, globaler Markenchef des Autoherstellers Nissan, zu, er sei "mitunter besorgt, dass wir den Wandel nicht schnell genug hinbekommen. Wir hängen natürlich noch alle an den alten Modellen, weil wir unsicher sind." Zum ersten Mal habe der Konsument gegenüber den Marken nun wirklich die volle Macht und Entscheidungsfreiheit. Wer nicht auf ihn höre, werde künftig ignoriert.

Auch Jim Norton, Chief Business Officer von Condé Nast ("Vogue", "Vanity Fair", "Wired"), diagnostizierte für den globalen Werbemarkt eine "Überfokussierung von Ad-Technology" wie etwa Programmatic Advertising und eine "ewige Jagd nach den billigsten Werbekontakten", die wiederum zu einer Übergewichtung nicht verantwortungsvoll erstellter Medieninhalte führe. Silberstreif am Horizont: Laut Norton kommen jetzt die ersten Werbekunden mit der Erkenntnis: "Wir haben vergessen, unsere Story zu erzählen." 

Randy Freer, President & COO der Fox Networks Group, gab einen kleinen Einblick in den Wandel, den James und Lachlan Murdoch von der Spitze der Muttergesellschaft 21st Century Fox aus angestoßen haben. Demnach orientiere sich Fox immer weiter weg vom Starren auf Einschaltquoten, hin zu einer ganzheitlicheren Betrachtung dessen, was der TV-Konsument wünsche. "Geben wir's doch zu: Lineares TV ist heute ein ziemlich mieses Produkt", so Freer. "Fox hat zwar die wenigste Werbung aller US-Networks, aber das ist immer noch zu viel." Gemeinsam mit den Werbekunden und deren Marken müsse man konsequent relevantes und hochwertiges Storytelling entwickeln.