Wenigstens eine Gewissheit mag TV-Verantwortlichen in den letzten Tagen in Las Vegas tröstlich erschienen sein: "Fernsehen ist und bleibt der Superstar aller Technologien", erklärte Shawn DuBravac, Chief Economist der US-amerikanischen Consumer Technology Association (CTA), ausgerechnet, als es um die neuesten Smart-Home-Lösungen und Künstliche-Intelligenz-Anwendungen ging.

Der Grund für diese Feststellung folgte auf dem Fuße: "So gut wie jeder Haushalt empfängt auf irgendeine Weise TV. Im Vergleich dazu werden künftige Technologien eine sehr viel stärker fragmentierte Verbreitung erleben." Freilich kann sich keine scheinbar noch so robuste Branche jenen drei Megatrends entziehen, die den Messetrubel der CES dominierten und die durch ihr neuartiges Zusammenwirken derzeit einen klaren Wendepunkt für fast alles Gewohnte markieren.

 

Es ist die Kombination von On Demand für sämtliche Lebensbereiche, zunehmender Autonomie für Technik, die bislang von Menschenhand gesteuert wurde, und von maschinellem Lernen. "Ganz egal, was du machst – eine denkende und selbstlernende Maschine wird Teil deiner Zukunft sein", sagt der New Yorker Strategieberater und CES-Veteran Shelly Palmer. "Autonom arbeitende Maschinen und Gegenstände beginnen, jeden Aspekt unseres Alltags zu berühren. Gleichzeitig sind wir Menschen mehr und mehr daran gewohnt, in einer On-Demand-Welt zu leben, wo unsere Bedürfnisse umgehend befriedigt werden."

Palmer – dem das US-Tech-Portal "Recode" den Titel "King of CES Tour Guides" verpasst hat – bietet in Las Vegas eine wertvolle Dienstleistung an: gezielte Trendführungen durch die endlosen Weiten der weltgrößten Technologiemesse, bei der in diesem Jahr rund 175.000 Fachbesucher aus 150 Ländern auf 240.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche über 20.000 Produktneuheiten zu sehen bekamen. Etwa ein Fünftel der 3.800 Aussteller existierte laut CTA vor drei Jahren noch gar nicht.

Egal ob Chip-, Automobil-, Smartphone- oder TV-Geräte-Hersteller: Die rasante Beschleunigung der Konvergenz zwischen den drei Megatrends ließ sich auf Palmers Tour durch die Messehallen in nahezu jeder Kategorie feststellen. Dabei ist das Rennen um den Mittelpunkt des Hauses, der Wohnung, der Familie neu eröffnet. Wer Smart-TV-Geräte verkaufen will, preist wie Samsung "die neue Art, als Familie zusammenzukommen", die sich nicht mehr so sehr auf lineares Live-TV bezieht, sondern auf Vielfalt durch Integration verschiedenster On-Demand-Quellen.
CES 2017 / Samsung

Da rund die Hälfte aller Nutzer von OTT-Angeboten mehr als nur einen Dienst abonniert, ist Einfachheit gefragt. Bei Samsung etwa mit der "Smart View"-App für Smartphones, die alle Fernbedienungen ersetzen kann, oder mit neuen aggregierten Services wie "Sports", die personalisierte Vorlieben – in diesem Fall zum Beispiel eine bestimmte Sportart oder einen bestimmten Verein – unabhängig von der Signalherkunft Free-TV, Pay-TV oder Streaming bedienen. Auch das äußere Design des Fernsehers rückt wieder stärker in den Vordergrund: Dünner, leichter, randloser als jemals zuvor geht es bei LG, Samsung, Sony oder TCL zu. Gern wird damit kokettiert, auch in ausgeschaltetem Zustand so schön wie ein Bild an der Wand zu sein.

Nach Ultra-HD oder 4K, der doppelten HD-Auflösung, kristallisiert sich bei den Geräteherstellern Ultra HD Premium oder 4K HDR als der neue Top-Standard heraus. Die Pixelzahl ist mit 3.840 mal 2.160 die gleiche, aber durch die High Dynamic Range (HDR) wird das Weiß noch weißer und das Schwarz noch Schwarzer, das natürliche Farbspektrum wird zu einem höheren Prozentsatz auf dem Bildschirm umgesetzt. Die Geräte sind wesentlich weiter als die Inhalte: Noch immer mangelt es – von neuen Amazon- oder Netflix-Serien und ein paar weiteren OTT-Plattformen abgesehen – an nativen 4K-TV-Angeboten. "Die meisten meiner Kunden auf Sender- oder Studio-Seite sagen mir: Wir produzieren auf absehbare Zeit nicht in 4K, weil es sich noch nicht lohnt", so Palmer.

Mittelpunkt der Familie wollen zunehmend auch andere sein. Der voll vernetzte Kühlschrank etwa, der bei Samsung mit einem "Family Hub 2.0" genannten Riesendisplay die Küche zur Service- und Entertainment-Zentrale machen soll, zur Neige gehende Lebensmittelbestände autonom erkennt und entsprechende Bestellprozesse auslöst. Allen voran aber Amazon Alexa, die virtuelle Assistentin des E-Commerce-Riesen, die Sprachsteuerung mit künstlicher Intelligenz verknüpft. Obwohl Amazon selbst nicht als Aussteller in Las Vegas präsent war, darf Alexa als einer der ganz großen Stars der CES gelten. Zu Beginn der Messe waren rund 1.500 verschiedene Skills vorhanden – so heißen die Anwendungen Dritter, die über die Alexa-Plattform laufen. Innerhalb von vier CES-Tagen wurden mehr als 700 neue vorgestellt.

Amazon Alexa© Amazon

CTA-Manager DuBravac sprach in diesem Zusammenhang vom neuen führenden "Hub Device" und von einer "Ära des bildschirmlosen Computing": "Die nächste Schnittstelle ist Spracherkennung und -steuerung. Vor vier Jahren lag die durchschnittliche Fehlerrate bei der Erkennung gesprochener Wörter noch bei 23 Prozent. Heute sind wir mit 5 bis 6 Prozent bei der Übereinstimmung mit menschlichen Fähigkeiten angekommen." Innerhalb der nächsten zwölf bis 18 Monate sollen Industrieprognosen zufolge übermenschliche 99 Prozent Treffsicherheit erreicht werden. Laut Gartner Research werden innerhalb der nächsten zwei Jahre 30 Prozent aller menschlichen Interaktionen mit Technik sprachgesteuert sein – nicht zuletzt, weil dies mit durchschnittlich 165 Wörtern pro Minute viermal so schnell geht wie Tippen.

Als erster TV-Anbieter hat die US-Pay-TV-Plattform Dish auf der CES angekündigt, ihren Hopper DVR mit Alexa kompatibel zu machen. In Kürze reichen dann gesprochene Kommandos wie "Go to NBC" oder "Show me 'Game of Thrones'". Weitere Anbieter dürften rasch folgen. Smart-TV-Herstellermarken wie Westinghouse, Element oder Seiki stellten die ersten Ultra-HD-Geräte mit integriertem Amazon-Fire-TV-Betriebssystem vor, die ebenfalls über Alexa-Sprachsteuerung verfügen. "Die TV-Industrie wird nicht umhinkommen, sich ihren Platz im rasant wachsenden Alexa-Ökosystem oder im etwas später gestarteten, aber technisch ebenso exzellenten Google Home zu sichern", ist Strategieberater Shelly Palmer überzeugt.

David Levy© Variety
Dass ihnen durch die neuen Rahmenbedingungen bei Technik und Nutzung erhebliche Veränderungen ins Haus stehen, wissen die TV-Verantwortlichen, die in den letzten Tagen in Las Vegas waren, selbst am besten. David Levy, President der Time-Warner-Fernsehsparte Turner, brachte dies auf den Punkt, als er den US-Branchengerüchten, sein Late-Night-Star Conan O'Brien könne schon bald vom linearen TV stärker ins Digitale rücken, nicht etwa widersprach, sondern sie gar befeuerte. "Ob Conan viermal die Woche auf TBS läuft oder vielleicht nur einmal auf TBS und dafür an allen anderen Tagen digital – das ist doch auf Dauer zweitrangig", so Levy beim Entertainment Summit der CES. "Wie sieht die Definition eines TV-Senders in fünf bis zehn Jahren aus? Das wissen wir alle noch nicht genau – aber sicher ganz anders als heute."