Unter all den Boulevard-Meldungen zum Dschungelcamp versteckten sich vor knapp zwei Wochen bei "Bild" auch interessante Zahlen. Während die Sender die Menge der Anrufe, die bei Abstimmungen eingehen, normalerweise streng geheim halten, fielen den "Bild-Reportern konkrete Zahlen in die Hände. Und die waren erstaunlich niedrig: Gerade mal 1.600 Anrufe sollen demnach gereicht haben, um Sarah Joelle Jahnel in die Dschungelprüfung zu schicken. Zahlen, die man bei RTL wie üblich gar nicht erst kommentieren will - die aber auch nicht völlig abwegig erscheinen, auch wenn Markus Küttner, der bei RTL als Leiter Real Life & Comedy fürs Dschungelcamp verantwortlich ist, im DWDL.de-Interview betont: "Wir sind mit dem Involvement sehr zufrieden."

38 Jahre nach der Erfindung der telefonischen Abstimmung darf man aber zumindest mal die Frage stellen: Sind diese kostenpflichtigen Votings eigentlich noch zeitgemäß - zumindest in Sachen Dschungelcamp dürften sie an manchen Tagen schließlich kein übermäßig einträgliches Geschäft gewesen sein, wenn im Gegenzug auch noch Gewinne von 5.000 Euro pro Sendung ausgespielt werden. Tatsächlich ist es offenbar so, dass das Dschungelcamp zwar eines der meistgesehenen Formate des deutschen Fernsehens ist, aber nicht unbedingt jenes, das die Menschen am häufigsten zum Telefonhörer greifen lässt. Bei anderen Formaten wie Castingshows à la "DSDS" sieht das offenbar schon anders aus. Es bewegt augenscheinlich mehr Menschen, als Fan einen Castingkandidaten zu unterstützen als einen C-Promi in die Dschungelprüfung zu schicken, um die eigene Schadenfreude zu bedienen.

Eine allgemeine Televoting-Müdigkeit sei jedenfalls nicht festzustellen, heißt es unisono aus dem Markt. "In unseren Unterhaltungsformaten laufen die interaktiven Mehrwertdienste stabil auf hohem Niveau", sagt eine RTL-Sprecherin, die Kollegin von ProSiebenSat.1 betont: "Telefonvotings sind bei den Zuschauern weiter sehr beliebt." Werner Klötsch, Geschäftsführer von Digame und damit dem führenden Dienstleister für solche Telefonvotings, sagt gegenüber DWDL.de ebenfalls. "Die Anruferzahlen bei Telefon-Abstimmungen hängen auch davon ab, wie polarisierend Kandidaten eines Formats sind. Abgesehen von solchen natürlichen Schwankungen sind sie aber alles in allem seit Jahren sehr stabil."

Dabei ist es nicht so, dass man nicht auch schon andere Wege ausprobiert hätte. "Rising Star" von RTL beruhte ebenso auf einer Abstimmung via App wie "Keep your Light Shining" von ProSieben - beides übrigens kapitale Flops. Das lag sicher nicht allein an der App-Abstimmung - aber womöglich ließ man sich manchmal etwas zu sehr von diesem modernen Anstrich blenden und hat zu wenig Arbeit ins restliche Konzept gesteckt. "Bei den Abstimmungen geht es uns primär darum, das Involvement und die Interaktivität der Zuschauer zu steigern. Dabei muss das Einbinden des Publikums immer dem Formatkonzept folgen, nicht umgekehrt", heißt es bei RTL. "Ein Voting, ob via Anruf, SMS oder App ist Mittel zum Zweck, die Bindung der Fans an ihr Format zu erhöhen. Am Ende aber entscheidet immer das Sendungskonzept über den Erfolg."

Das inzwischen ebenfalls eingestellte "American Idol" ließ die Zuschauer einst sogar via Facebook und Google abstimmen. Ideen, die auch für Fernsehmacher durchaus Charme haben müssten - könnte durch die Interaktion in sozialen Netzwerken mehr sozialer Buzz generiert werden, der wiederum zusätzliche Zuschauer auf die Sendung aufmerksam machen könnte. Trotzdem sind die Sender auch hier zurückhaltend. "Wir nutzen alternative Votings, dürfen aber feststellen, dass die Interaktionsrate beim Telefon nach wie vor am höchsten ist. Das liegt sicher daran, dass das Telefonvoting niemanden ausschließt", so ProSiebenSat.1-Sprecherin Diana Schardt.

In die gleiche Kerbe schlägt auch Digame-Chef Werner Klötsch: "Es stellt eine hohe Zugangsbarriere dar, dass die Zuschauer zunächst mal eine App installieren müssen, bevor sie ihre Stimme abgeben können. Die Erfahrung zeigt, dass via App vor allem jüngere Zuschauer abstimmen, Ältere aber größtenteils außen vor sind. Mit Telefon und SMS hängt man hingegen niemanden ab." Und auch bei RTL betont man: "Es gibt keinerlei Pläne, bei unseren bekannten Formaten die Telefonabstimmungen durch App- oder Social-Media-Abstimmungen zu ersetzen, da Telefon/SMS immer noch die zugänglichste Methode für den Großteil unserer Zuschauer ist."

Und: Sie bleiben eben doch weiterhin eine willkommene Zusatzeinnahme-Quelle, die sich bei einer App gar nicht so einfach realisieren ließe. Digame bietet auch App-Lösungen an, räumt aber ein: "Kostenpflichtige Abstimmungen über eine App sind wenig attraktiv, weil beispielsweise Apple eine Abrechnung über den App-Store vorschreibt und damit ein beträchtlicher Teil der Einnahmen bei Apple verbleibt." Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, weshalb kostenpflichtige Abstimmungen weiter die Regel bleiben: "Die Tatsache, dass ein Anruf oder eine SMS Geld kosten, führt zu valideren Ergebnissen, weil so Quatsch-Abstimmungen verhindert werden können. Aus technischer Sicht lassen sich Telefon- und SMS-Votings ohnehin leichter kontrollieren als Online-Abstimmungen", so Klötsch. Auch Markus Küttner von RTL sagt: "Kostenlose Votings sind für uns derzeit keine Option, da u.a. die Gefahr der Manipulation und Verzerrung hier sehr hoch ist. Wir gehen davon aus, dass Zuschauer, die für ein Voting bezahlen, damit auch gewissenhafter umgehen."

Sind Apps damit als Abstimmungstool für Fernsehsender tot? Nicht, wenn sie intelligent eingesetzt wird. "Generell gilt, dass eine App, mit der man ausschließlich 'ja' oder 'nein' sagen kann, niemandem einen Mehrwert bringt", sagt der Digame-Chef. "Spannend werden Abstimmungen per App aber, wenn gleichzeitig auch soziodemographische Merkmale mit abgefragt werden und die Ergebnisse damit angereichert werden." Wenn beispielsweise wie beim ARD-Experiment "Terror" nicht nur ein Gesamturteil ermittelt werden kann, sondern auch noch die Angabe mitgeliefert wird, welche Personengruppen wie abgestimmt haben, dann gäbe es einen echten Mehrwert, der mit einem Telefonvoting so nicht zu ermitteln wäre. Doch abgesehen davon wird uns das Telefonvoting wohl noch lange begleiten - nach dem Vorbild des TED von 1979.