Conan O'Brien redete nicht lange um den heißen Brei herum: "Hört auf zu jammern, nur weil das lineare Fernsehen langsam ausstirbt!", empfahl der US-Late-Night-Talker dem Fachpublikum an der Côte d'Azur. "Akzeptiert es einfach und sucht lieber nach neuen Lösungen für morgen." Der beliebte Komiker selbst hat nach 25 Jahren im TV genau das getan. Seine tägliche Show "Conan" im Programm von TBS ist längst nicht mehr der einzige oder gar wichtigste Baustein seines Schaffens. Mit Bezug auf seine Aktivitäten bei YouTube und auf anderen Social-Media-Plattformen sagte O'Brien: "Noch nie in meiner Karriere habe ich so schnell so hohe Reichweiten aufbauen können."

Konsequenterweise wird die lineare Sendedauer von "Conan" ab Anfang 2019 auf 30 Minuten halbiert. Stattdessen wollen O'Briens Produktionsfirma Team Coco und TBS-Eigner Turner deutlich mehr Energie ins Digitale und ins Live-Geschäft stecken. Dazu gehören eigenständige Online-Video- und Branded-Content-Formate ebenso wie Tourneen mit jungen Stand-up-Comedians, die wiederum neue Inhalte generieren. "Das größte Missverständnis in Bezug auf Millennials ist, dass sie nur noch auf ihre Smartphones starren und sich für nichts mehr interessieren", so O'Brien. "In Wahrheit sind sie sehr anspruchsvoll und gerade über kulturelle Themen bestens informiert. Was sie sofort durchschauen, ist, wenn man von oben herab mit ihnen zu kommunizieren versucht."

Aus Sicht der klassischen Massenmedien zeichnen sich die Herausforderungen kaum irgendwo sonst so plastisch ab wie beim weltgrößten Branchentreff der Werbe-, Medien- und Tech-Industrie – und das nicht nur, weil Google, Facebook & Co. mit Abstand den meisten Platz entlang der Croisette besetzt haben. Instagram, das nach eigenen Angaben inzwischen 1 Milliarde Nutzer pro Monat erreicht, startete während der Cannes Lions IGTV, seine neue Video-App für längere Bewegtbild-Inhalte von Social-Media-Stars und anderen professionellen Publishern. Bis zu 60 Minuten dürfen die vertikalen Full-Screen-Videos dauern – eine klare Kampfansage an YouTube, aber auch an alle anderen Player, die um die Screentime der Konsumenten konkurrieren.

Ebenfalls härter wird gleichzeitig der Verteilungskampf um die Werbebudgets. YouTube, das in Cannes 1,9 Milliarden eingeloggte Nutzer pro Monat vermeldete, stellte diverse neue Tools für Kunden und Agenturen vor, um das bunte Flimmern besser zu monetarisieren. Damit soll es künftig etwa möglich sein, verschiedene Versionen eines Video-Ads quasi in Echtzeit hinsichtlich Aufmerksamkeit und Wirkung gegeneinander zu testen oder die Verweildauer der Nutzer bildgenau zu verfolgen und entsprechend zu optimieren. Facebook wiederum feierte sich für die Einführung von Video-Ads im Messenger, die neben den Chats im Autoplay-Verfahren selbstständig starten. "Höchste Priorität hat das Nutzererlebnis", so Stefanos Loukakos, Head of Messenger Business. "Aber die ersten Signale zeigen uns keine nennenswerten Veränderungen daran, wie Leute die Plattform nutzen oder wie viele Nachrichten sie versenden."

Kreative Köpfe wie Conan O’Brien, die flexibel, experimentierfreudig und nicht auf ein bestimmtes Medium festgelegt sind, sehen sich als Profiteure der wachsenden Vielfalt. Von "spannenden Zeiten für Filmemacher" sprach Oscar-Preisträger James Marsh, Regisseur der HBO-Miniserie "The Night Of" oder des Stephen-Hawking-Biopics "The Theory of Everything" in einem Talk auf der Cannes-Lions-Bühne. "Möglich, dass die Blase irgendwann platzt, aber derzeit kann man verschiedensten Plattformen die anspruchsvollsten, düstersten Stoffe vorschlagen und man bekommt ziemlich viel Geld, um sie umzusetzen."

Cannes Lions 2018 – Hulu© Cannes Lions

Kreative Köpfe in Cannes: Hulu-Programmchef Craig Erwich, Comedian und Autor Ramy Youssef, "The Handmaid's Tale"-Produzent Warren Littlefield (v.l.)

Eine dieser ambitionierten Plattformen, der US-amerikanische Streaming-Dienst Hulu, ließ in Cannes die Kreativen für sich sprechen. Stand-up-Comedian Ramy Youssef berichtete von der Produktion seiner ersten eigenen Serie, "Ramy", die halb autobiografisch, halb komödiantisch überhöht vom turbulenten Leben eines jungen amerikanischen Moslems im politisch gespaltenen New Jersey erzählen soll. Youssef ist Hauptdarsteller und Creator, arbeitet zum ersten Mal mit einem Writers' Room. "Wenn wir uns bei bestimmten Gags und Formulierungen nicht sicher sind, nehme ich sie abends einfach mit auf die Impro-Bühne und probiere sie dort aus. Danach wissen wir Bescheid." Die enorme kreative Freiheit bei Hulu lobte auch Warren Littlefield, Produzent von "The Handmaid's Tale" und einst in den 1990ern erfolgreicher NBC-Chef. Für die dritte Staffel der Ausnahmeserie stellte er wiederum eine "neue Richtung und neue Themen" in Aussicht.

"Plattformen wie YouTube oder Instagram bieten den Vorteil, dass man der Welt sein Talent zeigen kann und – sofern man wirklich Großartiges leistet – mit ziemlicher Sicherheit entdeckt wird", so die gefeierte Schauspielerin und Autorin Lena Waithe, Emmy-Preisträgerin für die Netflix-Comedy-Serie "Master of None" und Schöpferin der Showtime-Drama-Serie "The Chi". Sie trommelte gemeinsam mit dem US-Telko-Konzern AT&T und dessen Digital-Studio Fullscreen für das "AT&T Hello Lab", ein Mentorenprogramm zur Unterstützung junger Filmemacher aus unterrepräsentierten Communities. Auf ihren Schützling war Waithe durch ein Musikvideo auf Instagram aufmerksam geworden, das sie beeindruckt hatte. "Ich will bessere Filme und mehr verschiedene Perspektiven sehen", so ihre Motivation, Mentorin zu werden und für Diversity zu werben.

Cannes Lions 2018 – Kevin Costner© Cannes Lions
Von seinen frischen Erfahrungen mit dem Abenteuer TV-Serie erzählte Hollywood-Legende Kevin Costner. Nach einem Kurzabstecher beim History-Dreiteiler "Hatfields & McCoy" ist "Yellowstone" für den Oscar-Preisträger nun die erste reguläre Serie als Hauptdarsteller und ausführender Produzent. Für den noch jungen Viacom-Sender Paramount Network wiederum ist der moderne Western von Creator Taylor Sheridan ("Sicario", "Hell or High Water") die erste fiktionale Eigenproduktion. "Wir erzählen hier keine ferne Fiction, sondern durchaus von dem, was Farmer im Mittleren Westen der USA Tag für Tag erleben", betonte Kostner.

Er spielt in "Yellowstone" den verbissenen Großgrundbesitzer John Dutton, der sein Land gegen Fortschritt, neureiche Investoren und protestierende Ureinwohner zu verteidigen versucht. Ob seine Figur eher Held oder Schurke sei, lautete eine der Fragen an Kostner. "Ein König, der eine Menge fragwürdige Dinge tut", so die Antwort. "Toll, dass ich so eine vielschichtige Rolle heutzutage in einer Serie spielen darf." Wann und wo "Yellowstone" in Deutschland ausgestrahlt wird, steht noch nicht fest.