Den Kinos in Deutschland ist Mitte März schlagartig die Geschäftsgrundlage entzogen worden. Sie mussten corona-bedingt schließen und hatten so keine Einnahmen mehr. Mittlerweile dürfen sie wieder öffnen, müssen sich dabei aber an strenge Sicherheitsvorkehrungen halten. So gilt ein Mindestabstand von 1,5 Metern. Das macht für viele Kino-Betreiber einen Betrieb finanziell nicht möglich. Mit einer Auslastung von teils deutlich weniger als 50 Prozent lässt sich für Viele kein Geschäft machen, andere können den Mindestabstand überhaupt nicht gewährleisten. Vor allem kleine Programmkinos fürchten um ihre Existenz. 

Zwar wurden bundesweit Förderprogramme für Kino-Betreiber aufgelegt, doch die Krise könnte eine Entwicklung beschleunigen, die wohl zu einem massenhaften Kino-Sterben führen wird. Disney hat gerade erst angekündigt, die 200 Millionen Dollar teure Neuverfilmung von "Mulan" ab September bei Disney+ zeigen zu wollen. Zuvor hatte man den geplanten Kinostart mehrfach verschoben, zuletzt auf unbestimmte Zeit. Dort, wo die Kinos bereits wieder geöffnet haben und es Disney+ nicht gibt, wird der Film wohl in den Lichtspielhäusern zu sehen sein. Hierzulande dann aber sehr wahrscheinlich nicht. In jedem Fall gibt es den Blockbuster bei Disney+. Und obwohl er dort 30 Dollar kosten wird, ist es ein Paradigmenwechsel. Auch die Filme "Der einzig wahre Ivan" mit Angelina Jolie und Bryan Cranston sowie "Artemis Fowl" mit Colin Farrell wird man bei Disney+ veröffentlichen, statt wie eigentlich geplant im Kino. 

Schon in den vergangenen Jahren wurden die exklusiven Verwertungsfenster für Kino-Betreiber immer kleiner, nun verzichten die ersten Studios angesichts der Krise grundsätzlich auf einen Kinostart. Etliche Verleiher und Studios haben ihre neuen Steifen verschoben und wollen sie erst dann auf den Markt bringen, wenn ein Großteil der Kinos weltweit wieder geöffnet hat - und dort auch genügend Zuschauer Platz finden. Für die Kino-Betreiber ist das ein Teufelskreis: Sie brauchen dringend Besucher, die sie vor allem mit neuen Filmen bekommen. Gleichzeitig dürfen sie ihre Kapazitäten nicht voll auslasten. Und das veranlasst die Macher der Filme dazu, mit der Veröffentlichung zu warten. Disney will die Aktion jetzt zwar nicht als grundsätzlichen Strategiewechsel verstanden wissen, aber ein Anfang ist gemacht. 

Universal und AMC: Historische Einigung

Ebenfalls nicht im Sinne vieler Kino-Betreiber ist das Vorhaben von Universal, Filme nach rund drei Wochen im Kino anderweitig verfügbar zu machen. Erst vor wenigen Tagen hat sich Universal mit AMC, der größten Kinokette der Welt, auf einen entsprechenden Deal geeinigt. 17 Tage nach Kinostart kann Universal damit künftig seine Filme in den Onlineverleih bringen. Welche Auswirkungen das auf die Besucherzahlen in den Kinos haben wird, bleibt abzuwarten. Attraktiver werden Kino-Besuche damit aber nicht. Universal und AMC lieferten sich zuvor einen Auseinandersetzung, weil Jeff Shell, CEO von NBC Universal, ankündigte, künftig mehr Filme als sogenanntes Premium-VoD veröffentlichen zu wollen (also Filme im Einzelkauf für vergleichsweise hohe Preise). AMC kündigte daraufhin an, gar keine Filme des Studios mehr zeigen zu wollen. Man einigte sich doch - mit voraussichtlich weitreichenden Folgen für die Kino-Branche. Der Deal gilt vorerst nur für die USA, die Vorgehensweise für den europäischen Markt will man bald besprechen. 

Kino-Verband fordert weniger Mindestabstand

In Deutschland hat der Kino-Verband HDF KINO den Mindestabstand als größtes Problem für die Betreiber von Kinos ausgemacht und fordert nun lautstark eine Verringerung des aktuellen Wertes von 1,5 Metern. Dazu bringt man seit wenigen Tagen auch eine Studie des Hermann-Rietschel-Instituts von der TU Berlin ins Spiel, laut der Menschen während eines Kinobesuchs nur einem Bruchteil möglicher Aerosolmengen ausgesetzt sind als beispielsweise in einem Büro. Selbst wenn zehn Prozent der Kinobesucher mit dem Coronavirus infiziert seien und sich dann ohne zu Reden den Film ansehen würden, läge die Aerosolkonzentration im Saal unter der, der die sprechenden Büromitarbeiter bei nur einem Infizierten ausgesetzt seien. 

Und es ist auch nicht so, als würden die Kinos keine Rückendeckung aus der Politik bekommen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters bezeichnete den Mindestabstand in Kinos zuletzt als "Problem", weil die Säle dadurch zu großen Teilen leer bleiben müssen. "Ich bin darüber sehr unglücklich", erklärte sie gegenüber der "Bild". Und doch hat sich bislang nichts geändert - und ob die Politik den Mindestabstand bei insgesamt steigenden Fallzahlen verringern wird, erscheint zumindest fraglich. 

"Wenn die Beschränkungen nicht gelockert werden, werden wir auf einen großen Teil der Kinos künftig verzichten müssen."
Torsten Koch, Geschäftsführer Constantin Film Verleih 

Christine Berg, Vorstandsvorsitzende des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater (HDF Kino) sagte gegenüber der dpa, dass man einen "erheblichen Anteil der Kinos" verlieren würde, sollten die Abstandsregelungen auf dem aktuellen Niveau bleiben. Es würde zu einem Kino-Sterben kommen. Und auch Torsten Koch, Geschäftsführer der Constantin Film Verleih GmbH, warnt ebenfalls vor einem Kinosterben: "Wenn die Beschränkungen nicht gelockert werden, werden wir auf einen großen Teil der Kinos künftig verzichten müssen", erklärte er gegenüber der "Bild". Gerade erst ist das Insolvenzverfahren über das Berliner Colosseum eröffnet worden. 

Wann der Teufelskreis durchbrochen werden kann, ist derzeit noch längst nicht abzusehen. Dafür müsste sich auch nicht nur die Situation in Deutschland bessern, sondern auf der ganzen Welt. Die Prestige-Projekte der US-Studios starten für gewöhnlich weltweit einheitlich. Derzeit dreht man sich aber noch im Kreis. Die großen Hollywoodstudios verschieben ihre Filme, weil viele Kinos noch nicht geöffnet haben. Und die Kinos bräuchten neben weniger Mindestabstand vor allem neue Filme, um zu öffnen. In jedem Fall, das lässt sich schon jetzt klar erkennen, wird das Kino geschwächt aus der Krise hervorgehen, der Trend zeigt ganz klar in Richtung VoD.