In den vergangenen Tagen wurde schon viel geschrieben über den Relaunch des "Stern" und das oft in sehr blumigen Worten, die den Eindruck erweckten, es würde an diesem Donnerstag ein völlig anderer "Stern" am Kiosk liegen. Doch wer zum Probierpreis von einem Euro zum "Stern" greift, wird zwar Veränderungen im Detail entdecken und doch fühlt sich der Wochentitel von Gruner+Jahr nicht wesentlich verändert an. Das ist kein Makel - nur ein bemerkenswerter Kontrast zur ausschweifenden Analyse zahlreicher Fachmedien inklusive PR-wirksamer Sprache vom "Stern"-Team rund um Chefredakteur Dominik Wichmann im Vorfeld. Er fühlt sich zweifelsohne besser an, der "Stern". Zeitgemäßer, könnte man sagen.



Neue Typografie, neuer Stil bei Infografiken und neues Seitenlayout fallen in die Kategorie nötiger Frühjahrsputz und wenn ein Attribut aus der wortreichen Beschreibung der neuen Optik seitens Gruner+Jahr stimmt, dann das: Der neue "Stern" wirkt entschiedener und weniger egal. Aufgeteilt in "Diese Woche", ein "Extra" in der Mitte und dem "Journal" am Ende liefert die Erstausgabe des modernisierten Magazins einen gelungenen Themenmix. "Die Welt verstehen" heißt von "Neon" lernen: Der Einstieg ins Ressort "Die Woche" bilden aktuelle Themen als Fragestellung verpackt. Schön adaptiert. Neben der Titelstory zur Frage des Zölibats - innen wie gewohnt optisch opulent in Szene gesetzt - gefällt besonders das Stück "Legale Staatsfeinde" über Steuertricks von populären Großunternehmen. In Großbritannien war es ein hochpolitisches Aufreger-Thema. Bei uns könnte es das noch werden.

Dazwischen immer wieder altbekannte Rubriken. Von Karikaturen bis zu Rezensionen und auch den Ausstieg "Was macht eigentlich" geben treuen "Stern"-Lesern ein vertrautes Gefühl. Nach der Lektüre von 164 Seiten ist klar: Der Relaunch steht erst ganz am Anfang. Chefredakteur Dominik Wichmann formulierte im Vorfeld nicht nur den Anspruch ein optisch überarbeitetes Heft zu präsentieren - sondern auch eine neue Haltung zu entwickeln. Das ist die weit größere Herausforderung. Sie lässt sich nicht an einer Ausgabe ablesen. Das braucht Zeit und redaktionellen, weniger optischen Feinschliff. Man stelle sich vor, es hätte im Januar nicht die Reportage von "Stern"-Reporterin Laura Himmelreich über ihre Begegnung mit Rainer Brüderle gegeben. Wann hätte man dann zuletzt einmal etwas vom "Stern" gehört?

Die Geschichte von Frau Himmelreich wurde kontrovers diskutiert und wirkte ein Stück weit wie eine clevere PR-Geschichte um ein auflagenstarkes aber zuletzt vorsichtig leises Magazin wieder in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu katapultieren. Gerade rechtzeitig vor dem Relaunch. Aus Verlagssicht war das richtig. Der "Stern" muss inhaltlich relevanter werden. Man kann geteilter Meinung über diesen Auslöser der dann entstandenen Sexismus-Debatte. Der Relevanz des "Stern" hat sie geholfen. Diese Situation muss das Team um Chefredakteur Wichmann nutzen. Denn so gefällig die neue Optik auch ist und so wortreich er sie im Editorial anpreist: Sie war das geringere Problem des "Stern".