Um dem Publikum angesichts der ebenso unübersichtlichen wie unerfreulichen Welt- und Nachrichtenlage nicht noch weitere Unvorhersehbarkeiten zuzumuten, hat RTL sich entschlossen, den Auftakt seines jährlichen Prominentencamps in diesem Jahr weitgehend überraschungsfrei zu halten – und zum Start einfach die Sendung vom vergangenen Jahr abgepaust. Am Freitagabend ist "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" in die neunte Runde gegangen. Und abgesehen von der bemerkenswertesten Neuerung, dass nämlich die beiden Moderatoren Sonja Zietlow und Daniel Hartwich sich diesmal ein- und dieselbe Frisur teilen, war der Titel noch niemals zuvor so gelogen wie dieses Mal.

Während das deutsche Fernsehen haufenweise Prominenten-Ausgaben irgendwelcher Shows produziert, hat RTL sein Dschungelcamp in diesem Jahr weitgehend mit Menschen besetzt, deren Wirken selbst Zuschauer mit überdurchschnittlichem Medienkonsum erst nachgoogeln müssen.

Jedenfalls bis das Wochenende rum ist.

Länger wird es ja wohl kaum dauern, bis die ersten Camper explodiert sind, Geheimnisverrat begangen oder ihre Kotzgrenze ausgelotet haben. An letzterem hat Ex-"Glücksrad"-Buchstabenfee Maren Gilzer gleich zum Auftakt gearbeitet und im Dschungeltelefon gefragt: "Ich hab so 'ne Brechmigräne. Gibt's da irgendwelche Regeln?" Naja: weitersenden. Macht das deutsche Fernsehen schließlich an den 340 Tagen im Jahr, in denen niemand live im australischen Busch sitzt, auch.

Die gute Nachricht ist, dass eine nachweisbare Prominenz eher selten ausschlaggebend dafür ist, ob sich Kandidaten in dieser Sendung bewähren. Eher schon ihre Krawallfähigkeit. Die ist allerdings ausbaufähig: Im Vergleich zu den vorigen Jahrgängen hielt sich das Geplärre arg in Grenzen. Kein Geschrei wegen der plötzlichen Abreise vom Luxusboot, nur minimale Bedenken beim Fallschirmsprung ins grüne Nichts – und nachher fanden auch noch alle, das sei eines der besten Erlebnisse ihres Lebens gewesen. Dankbares Pack. "Notiz an die Produktion: Nächstes Jahr kein Fallschirmspringen", witznotierte sich Zietlow anschließend in den Block.

Aber, im Ernst, Notiz an die Produktion: Wär's nicht 'ne gute Idee gewesen, schon dieses Jahr was Neues zu versuchen anstatt den exakten Ablauf vom vorigen Mal runterzuspulen? (Wenn man mal von der kleinen Schwimmeinlage absieht, die eines der Teams zu bewältigen hatte.)

Inzwischen hat RTL eine gewisse Routine mit der Show entwickelt, die dem Sender regelmäßig den Januar vergoldet, und diese Routine ist es ja auch, die "Ich bin ein Star" zu einer verlässlich guten Unterhaltung hat werden lassen. Jedenfalls so lange, bis die Vorhersehbarkeit einsetzt.  

Ex-"Bachelorette"-Kandidat Aurelio und Ex-"Topmodel"-Kandidatin Sara bestritten die erste Dschungelprüfung "Sommerfest", indem sie Kotzfruchtdrinks wegkippten, sich gegenseitig schleimcremten, Schafshodenlimbo tanzten und sich zum nächsten Stern hollywoodschaukeln sollten. Weil Sara zwischendurch ein bisschen zu zimperlich agierte, wählten sie die Zuschauer anschließend prompt in die nächste Herausforderung. Eine kleine Ewigkeit dauerte dieser Schlussteil der Sendung, die sonst vor allem toll ist, wenn sie schnell und abwechslungsreich ist. Aber das ist nun mal der Fluch des Erfolgs: Warum nur zwei Stunden senden, wenn die Werbepausen auch für drei gebucht sind?

In den kommenden Tagen ist noch genügend Zeit, um sich zu steigern, und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Walter Freiwald dabei nicht seine Finger im Spiel hätte. Bereits beim Einzug ins Camp lieferte das frühere "Der Preis ist heiß"-Maskottchen erste Belege seiner Eruptionsfähigkeit, woraufhin Leidensgenosse Aurelio bereits ankündigte, er würde ihn, wenn es zu schlimm wird, "stilllegen". Wie einen alten Atommeiler. In Sachen Verstrahltheit könnte es ein Mann, der bereits beim Verlust seiner Schuheinlagen austickt, mit dem durchaus aufnehmen ("Ich riskier doch nicht, dass mein Fuß durchbricht!").

Als Ausflippkonkurrenz hat sich Kulka bereits positioniert. Obwohl RTL ihr schon den Gefallen getan hat, ihrer Großkotzigkeit die Tränchen entgegenzuschneiden, die sie bei der Erinnerung an ihre kleine Tochter daheim verdrückt hat. Auf die Frage nach dem Grund ihrer Teilnehme, antwortete Kulka außerdem schon grundehrlich: "Sonst läuft nicht soviel bei mir."

Das übrige Personal muss von den Autoren erst noch kartografiert werden. "Lindenstraßen"-Schauspielerin und Zirkusfrau Rebecca Siemoneit-Barum schwankt zwischen Heimweh und Abenteuerlust, Soap-Darsteller Jörn Schlönvoigt brauchte offensichtlich nicht mal seine GZSZ-Karriere beenden, um völlig übermotiviert im Dschungel aufzuschlagen, und die letztjährige DSDS-Bewerberin Tanja Tischewitsch ist stolz, in ihrem jungen Leben bereits was geleistet zu haben, das ihr keiner mehr nehmen kann: "Ich bin die erste von DSDS, die in den Dschungel geht und es nicht in die Top 10 geschafft hat!" Ihren vorübergehenden Aufenthaltsort im täglichen Live-Fernsehen möchte sie nutzen, um endlich "berühmt zu werden".

Seltsam. Früher war "Ich bin ein Star" die Show, in der Karrieren geendet haben. Inzwischen sind nur noch Leute übrig, deren Karriere dort beginnen muss.

Die Herausforderung für die Autoren ist in diesem Jahr jedenfalls größer denn je, weil anders als in den Vorjahren kein Selbstläufer dabei ist – kein Wendler, bei dem das Publikum von vornherein neugierig ist, wie er sich außerhalb seiner Scheinwelt benimmt. Mit müden "Lügenpresse"-Gags und Uli-Hoeneß-Steuererklärungswitzen werden Zietlow und Hartwich die kommenden Tage auch nicht weiter bestreiten können. Aber glücklicherweise ist der Dschungel für genau solche Herausforderungen ja gemacht. Gibt's da irgendwelche Regeln? Na klar: einfach weitersenden.

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