Kritik an Jury-Entscheidungen ist so alt wie die Vergabe von Jury-Preisen. Es wäre also naiv sich darüber zu erregen, weil es letztlich zum üblichen Ping-Pong-Spiel zwischen denen, die Fernsehen produzieren und denen, die darüber urteilen, gehört. Die Welle der Überraschung und Empörung über die diesjährigen Gewinner des Grimme-Preises aus dem Lager der Privatsender und Produktionsfirmen wirft lediglich die Frage auf: Was um Himmels Willen wurde vergangene Woche eigentlich erwartet?

Schon seit Januar war bekannt, dass lediglich in einem der drei Wettbewerbe des Grimme-Preises - Fiktion, Information/Kultur und Unterhaltung - überhaupt Produktionen von Privatsendern im Rennen sind. Wenig überraschend geht es um den Wettbewerb Unterhaltung. Bei der Bekanntgabe der Nominierungen jedoch gab es noch keine Empörung - sondern ganz im Gegenteil Freude, weil etwa mit den beiden Vox-Shows „Sing meinen Song“ und „Die Höhle der Löwen“ sogar zwei Primetime-Unterhaltungsshows für den ehrwürdigen Grimme-Preis nominiert wurden.

Lange genug tat sich der Grimme-Preis schließlich schwer damit, Unterhaltung als eigene Qualität zu verstehen und sich diesem dominierenden Genre des deutschen Fernsehens zu öffnen. Dass dies zögerlich und nicht plötzlich passierte, ist übrigens auch eine Qualität. Schließlich haben andere Preisverleihungen in der Branche an Ansehen eingebüßt, weil der innere Kompass entweder fehlte, zu oft neu justiert wurde oder gar der Attraktivität einer Preisverleihung untergeordnet wurde.

Ausgerechnet in dem Jahr, in dem die vier größten deutschen Fernsehsender keine gemeinsame Definition von gutem Fernsehen finden können und die mögliche Zukunft des Deutschen Fernsehpreises nach über einem Jahr der Beratungen immer noch in den Sternen steht, sollte die Beständigkeit des Grimme-Preises alles andere als ein Kritikpunkt sein. Eben langsam aber stetig öffnet sich der Grimme-Preis - und verabschiedet sich vom Image des gepflegten Kultur-Pessimismus. Marl ist offener als Kritiker des Grimme-Preises denken.

Nicht nur aber hauptsächlich für das Privatfernsehen ist es beispielsweise auch interessant zu wissen, dass Nominierungskommission und Jury bei Format-Adaptionen längst auf die handwerkliche lokale Umsetzung und ihre prägenden, eigenen Elemente schauen. Auch dies ist ein Fortschritt gegenüber der grundsätzlichen Ablehnung von Format-Adaptionen vergangener Jahre. Eine Nominierung des Vox-Formats „Die Höhle der Löwen“ in diesem Jahr ist Zeugnis dafür. Die reflexartige Frage mag also sein: Warum bekommt die Sendung dann keinen Grimme-Preis?

Der Anstand gebietet an dieser Stelle zwei Dinge. So sei gesagt, dass mit „Die Anstalt“ und „Mr. Dicks“ zwei außerordentlich gute Fernsehsendungen völlig zu Recht am 27. März im nordrhein-westfälischen Marl mit einem Grimme-Preis geehrt werden. Weder diese Entscheidung noch die Details der gründlichen, vertraulichen Arbeit der Jury bedürfen einer öffentlichen Besprechung. Nein, kommen wir zurück zur Frage: Was um Himmels Willen wurde vergangene Woche eigentlich erwartet?

Grimme so öffentlich-rechtlich© DWDL

In den Wettbewerben Fiktion und Information/Kultur war keine einzige Produktion aus dem Privatfernsehen nominiert. Alle Erwartungen des Privatfernsehen können sich also nur auf einen Wettbewerb konzentriert haben. Doch so sehr dieser Kommentar das offensichtliche Lager-Denken des Privatfernsehens adressiert, so wenig interessieren medienpolitische Überlegungen bei der Bewertung von Fernsehsendungen. Von ihnen kann man sich nicht frei machen, aber sie sind nur ein Faktor von vielen. Das Handwerk der Produktionen selbst ist immer der entscheidende.

Ist also alles nur gekränkte Eitelkeit, wenn darüber gespottet wird, dass der Grimme-Preis in diesem Jahr eine rein öffentlich-rechtliche Veranstaltung ist? Nein. Der Grimme-Preis muss sich klug und mit Bedacht weiterentwickeln. Einen entsprechenden Dialog haben Frauke Gerlach, Direktorin des Grimme-Instituts, und Steffen Grimberg, Leiter des Grimme-Preises, bereits angestoßen. Es sind diese beiden neuen Köpfe in Marl, die erwartungsfroh machen sollten, was die Zukunftsfähigkeit des Grimme-Preises angeht.

Dazu würde beispielsweise die Aufwertung des Wettbewerbs Unterhaltung gehören. Während die Jurys Fiktion sowie Information/Kultur jeweils fünf Auszeichnungen vergeben können, bleiben für das breiteste aller Genres - die Unterhaltung - gerade einmal zwei mögliche Auszeichnungen. Es ist diese Beschränkungen, die das Abbilden eines Spektrums von Produktionen unmöglich macht. Während hier eine Anpassung an die Realität im deutschen Fernsehen greifbar scheint, muss sich das Privatfernsehen wiederum selbst einer Realität stellen.

Welche Filme, Serien oder Informations- und Kulturprogramme der Privatsender hätten denn in diesem Jahr überhaupt nominiert werden können? Die Wahrheit ist doch: In diesen Genres, besonders in der Fiktion, steuerte das Privatfernsehen zuletzt nicht viel bei. Das mag sich ändern, wenn man an die neue deutsche Serienwelle denkt, die auch RTL, Vox und TNT Serie gepackt hat. Und die Sat.1 wieder entdecken will. Wenn man an den Wunsch von RTL denkt, auch mit inhaltlicher Relevanz punkten zu wollen. Wenn all das stetiger geschieht, würde es sicher auch in Marl Berücksichtigung finden.

Am Ende sendet der Grimme-Preis 2015 sicherlich kein so eindeutiges Signal, wie es mancher Journalist interpretierte und das Privatfernsehen in einer Bandbreite von verschnupft bis beleidigt attestierte. Hier müssen sich beide Seiten bewegen: Wenn aus dem Privatfernsehen mehr Nominierungswürdiges in manchem Wettbewerb käme und der Grimme-Preis wiederum allein durch die Quantität der Auszeichnungen das ganze Spektrum des Fernsehens gleichermaßen würdigen würde, könnte die Grimme-Welt 2016 schon wieder ganz anders aussehen.

Besorgniserregend ist nur die Fahrlässigkeit mit der diese eitle Branche bei unbequemen Preisentscheidungen gleich all das in Frage stellt, was bislang einen gemeinsamen Nenner darstellte, wenn es auch nur ein kleiner gewesen sein mag. Dem deutschen Fernsehen und seinen Machern bleibt nur noch wenig, wenn es eine Preisverleihung nach der anderen demontiert und so eine Branche mit zehntausenden Handwerkern und Kreativen um eine verdiente Ehre für besondere Leistungen bringt.