Wenn es an etwas fehlt im deutschen Fernsehen, dann sind das selbstverständlich: Fußgängerzonenumfragen. Hat sich zumindest RTL gedacht und ein Kamerateam losgeschickt, um Passanten mit Themen zu konfrontieren, die unsere Gesellschaft bewegen. Duschen Sie täglich? Sind Frauen schlechtere Autofahrer als Männer? Sind die Deutschen zu dick? Hätte eigentlich bloß noch gefehlt: Wissen Sie, wie das aussieht, wenn zwei Fernsehsendungen bei hohem Tempo aufeinanderprallen? Die unschöne Antwort darauf hat RTL am Freitagabend unter dem Titel "Hartwichs 100!" ausgestrahlt, und zwar mit der Zusatzdrohung: "die Show, die zeigt, wie Deutschland wirklich drauf ist".

Dabei wäre es viel interessanter, mal rauszukriegen, wie Daniel Hartwich eigentlich wirklich drauf ist, wenn er nichts dagegen hat, seinen Namen für eine Fernseh-Leichenfledderei herzugeben, die im Wesentlichen aus Bestandteilen anderer Shows zusammengenäht ist, welche bereits erfolgreich abgesetzt wurden.

Womöglich ist "Frankenstei..." – äh: "Hartwichs 100!" aber auch bloß die konsequente Reaktion auf den Einstellungswandel vieler Deutscher, die sich immer häufiger scheuen, Lebensmittel wegzuwerfen, selbst wenn deren Haltbarkeitsdatum schon überschritten ist. Vieles ist ja trotzdem noch gut!

RTL hat sich daran ein Besipiel genommen, einfach die Umfragen aus dem "Familienduell" rausgelöffelt, mit der Idee der Zuschauer-Beobachtungsshow "Sofa-Stars" in einen Mixer gesteckt und das dickflüssige TV-Gebräu anschließend in eine leere Gameshowhülle gegossen. Fertig war der Freitagabend-Cocktail!

Um das Publikum nicht unnötig früh mit dem "Nachtjournal" zu belästigen, musste Recycling-Chef Hartwich (bevor er in Kürze auch noch durch's RTL-Dschungel-Sommerrevival führen darf) freilich ein bisschen Zeit schinden. Und zwar, indem er 100 Kandidaten im Studio schätzen ließ, wie 100 Leute in der Fußgängerzone und weitere 100 in den von RTL mit Kameras ausgestatteten Haushalten auf bestimmte Situationen reagierten: 20 von 100 reden beim "Let's Dance"-Gucken über Motsi Mabuses Dekolleté; 43 von 100 lesen vorm Einschlafen; 17 von 100 meckern beim Deutschlandspiel über den Schiedsrichter.

Das kann, wenn man außerdem gerne Rentnern beim Kissenaufschütteln zusieht, Junggesellen beim iPhone-Weckerstellen und Mamis beim Schneewittchenzitieren, sicher eine meditative Angelegenheit sein. Hartwich hatte dann aber doch sichtlich Mühe, den Off-Kommentar dazu vollzutexten und freute sich auch über Kleinstanlässe: "Ha! Das Kind hat 'Arschloch' gesagt!" Und: "Oh, ein Elektrobett!" Offensichtlich geht es in deutschen Haushalten nicht ganz so aufregend zu wie sich RTL das erhofft hatte.

Der Studiokandidat mit der besten Schätzung durfte jeweils nach vorne auf die Bühne kommen, um dort in einem quälend langen Finale weiter irgendwas zu schätzen (mit der Aussicht, am Ende 10.000 Euro einzusacken). Wer in der Redaktion geglaubt hat, das sei eine gute Gelegenheit, wahllos egale Details aus dem Leben der Unbekannten referieren zu lassen, ist nicht überliefert. Aber wir wissen jetzt: Der Schalke-Fan feuert seinen Verein gerne aus der Nordkurve an! Und die sportliche Mutter kommt immer zu früh zu Verabredungen!

Ganz auf Autopilot eingestellt stand Hartwich zwischen seinen Kandidaten herum und sagte Sätze wie: "Sie waren mal in einen Aufzug eingeschlossen, nicht?" und "Ich habe die Information erhalten, dass Sie öfter mal Prominente auf der Toilette treffen." Mit einer großen Portion Wohlwollen verbucht man das in der Tradition der bekannten Rudi-Carrell-Fragetechnik ("Haben Sie mal was Spannendes mit einem Känguru erlebt?") – mit weniger Enthusiasmus müsste man hingegen annehmen, dass sich auch Hartwich endgültig von der Riege der RTL-Moderatoren-Borg hat assimilieren lassen und einfach das macht, was ihm jemand aus der Regie aufs Ohr quäkt.

Anders gesagt: "Hartwichs 100!" ist gähnend langweilige Fernsehunterhaltung, ein geringfügig aufgemotztes Best-of der letzten RTL-Flops, das auch noch mit Versteckte-Kamera-Späßen aufgefüllt werden musste, um in die Zielgerade zu kommen und die Leute raten zu lassen: Wieviele Ökomessen-Besucher von 100 kaufen eine völlig überteuerte hässliche Kartoffel, wenn der "Lockvogel" sie als Premium anpreist? Und wieviele werfen für einen als Guttenberg-Double verkleideten Daniel Hartwich im Urlaub eine Lügenpostkarte an dessen vermeintliche Gattin ein, damit der Typ fremdgehen kann? (Damit Sie sich nicht vor Spannung die Fingernägel zerkauen: 10 und 18.)

Am Ende hat eine freundliche Dame die 10.000 Euro abgeräumt, um sich damit den bereits geplanten Urlaub in Ungarn zu verschönern. RTL ist halt einfach der Sender, der Träume wahr werden lässt. Vor allem die schon vorher gebuchten. Nächste Woche folgt die Fortsetzung mit Folge zwei, in der eine dicke Frau im Auto fragen wird: "Boah, wer hat hier gepupst?" Kein Scherz.

Oder um's mit dem Hartwich-Borg zu sagen: "War das nicht schön? Ja, das war nicht schön!" 

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