Ganz neue Töne versprach RTL II im Vorfeld von "Popstars". Das Versprechen mutete schon alleine deshalb etwas kurios an, weil die Show selbst alles andere als neu ist. Streng genommen handelt es sich bei "Popstars" sogar um jenes Format, das den Boom der Castingshows auslöste – denn noch bevor Dieter Bohlen seinen ersten "Superstar" kürte, flogen die No Angels bereits an die Spitze der Charts. Verständlich, dass RTL II nur allzu gerne an diesen inzwischen 15 Jahre zurückliegenden Erfolg anknüpfen würde. Doch seit den No Angels ist eben viel passiert im deutschen Fernsehen.

In zahlreichen Formaten ging es in der Zwischenzeit um den Traum von der großen Gesangskarriere. Kaum ein Talent, das sich nicht schon einmal vor einer der zahlreichen Jurys präsentierte. Zwölf vermeintliche "Superstars" hat RTL inzwischen gecastet, "The Voice of Germany" geht im Herbst bereits in die fünfte Staffel und nach "X Factor", "Rising Star" sowie diversen Musical- oder Schlagercastings grenzt es beinahe schon an ein Wunder, dass sich noch immer junge Menschen finden, deren Hoffnung es ist, durch eine Castingshow den Durchbruch zu schaffen.

Auch "Popstars" war trotz wachsender Konkurrenz über viele Jahre hinweg fester Bestandteil des Casting-Reigens, wenngleich sich vermutlich nur noch wirklich eingefleischte Fans an die Gewinnerbands erinnern dürften, die nach den No Angels und Bro'Sis und dem Wechsel der Show zu ProSieben das Rennen machten. So gesehen kann RTL II zumindest für sich in Anspruch nehmen, die erfolgreichsten Bands des Formats gecastet zu haben. Seit Montagabend ist "Popstars" nun also zurück bei RTL II – und wie in der ersten Staffel ist es erklärtes Ziel des Senders, eine neue Girlband zusammenzustellen. Beinahe scheint es, als wäre die Show gar nicht weg gewesen. Frei nach Grimms Märchen könnte man also sagen: Und wenn sie nicht verstummt sind, dann singen sie noch heute.

Die größte Überraschung der Neuauflage: Trotz aller Castingshows hat man tatsächlich 27 Kandidatinnen aufgetrieben, die zum großen Teil über gute Stimmen verfügen. Auf Totalausfälle haben RTL II und die Produktionsfirma Brainpool, die erstmals für "Popstars" verantwortlich zeichnet, dankenswerterweise verzichtet, sodass selbst castingmüde Fernsehzuschauer die zweistündige Auftakt-Folge problemlos überstehen konnten. Ob das schon reicht, um die Charts zu stürmen, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Nur einer fehlte: Detlef D! Soost, dessen Name über all die Jahre hinweg wie kein Zweiter für die "Popstars"-Suche stand, war am Montag nicht mit an Bord der Show. Das kann man bedauern, schließlich brachte Soost von Haus aus stets ein gewisses Reibungspotenzial mit – angesichts der doch sehr harmonischen Jury, die diesmal aus den Sängerinnen Stefanie Heinzmann und Miss Platnum sowie der Tänzerin und Choreographin Bella Garcia besteht, wäre einer wie Soost vermutlich gar nicht verkehrt gewesen. So war das Trio jedenfalls stellenweise etwas zu sehr bemüht, die "Popstars"-Anwärterinnen mit Samthandschuhen anzufassen. Da fällt nach dem Auftritt einer 16-jährigen Kandidatin dann eben schon mal mit "Boah, ist die süß!" ein Satz, den man locker auch in der "wunderbaren Welt der Tierbabys" in Sat.1 hätte verorten können.

Zeit, um sich intensiv mit den Gesangsleistungen auseinanderzusetzen, blieb angesichts von 27 Auftritten leider kaum, zumal RTL II seine Kandidatinnen in der ersten Folge auch noch einer Tanzübung unterziehen wollte. So kam die Show zwar meist flott daher, an manchen Stellen aber auch etwas oberflächlich. Die Standard-Sätze, die man offenkundig artig aus dem Castingshow-ABC abgeschrieben hat, verstärkten diesen Eindruck noch. "Ich erwarte von den Kandidatinnen, dass sie offen sind für das, was in den nächsten Wochen passieren wird", gab etwa Stefanie Heinzmann zu Beginn artig zu Protokoll und Miss Platnum erhoffte sich wenig später von jeder der Kandidatinnen natürlich "einen eigenen Charakter".

Und selbstverständlich durfte der Off-Sprecher vor dem Tanz-Training darauf hinweisen, dass es nun gelte, "im Team zu funktionieren". Was man eben so sagt, wenn der große Traum zum Greifen nah ist. Das alles hat man in den vergangenen Jahren schon ein paar mal zu oft gehört, wenn es darum ging, neue Talente zu casten - entsprechend wenig hat "Popstars" dann auch mit den "neuen Tönen" zu tun, die RTL II vollmundig in Aussicht stellte. Nein, neue Töne bot "Popstars" erst mal nicht. Und das war nach unzähligen TV-Castings ehrlicherweise auch nicht zu erwarten. Dennoch konnte man sich bei der Rückkehr des Klassikers gut unterhalten fühlen, was auch daran lag, dass die Macher nicht der Versuchung erlagen, die Show - anders als in der Vergangenheit - künstlich mit Nonsens aufzuladen.

Ob "Popstars" 15 Jahre nach der ersten Staffel tatsächlich noch einen Platz im Fernsehen hat, müssen nun die Zuschauer entscheiden. Klar ist, dass Brainpool einen Erfolg der Castingshow noch besser gebrauchen kann als RTL II, schließlich steht die Produktionsfirma nach dem angekündigten TV-Abschied von Stefan Raab vor einer echten Zäsur. Neue Töne können also ganz sicher nicht schaden. Zur Not tun es eben auch ein paar alte.