Alle reden über das Ende von Günther Jauch und den Weihnachtsopa von Edeka, aber kaum jemand redet über „Mordkommission Berlin 1“. Warum auch? Bei dem Titel? Was wird das schon sein? „Mordkommission Berlin 1“? Fernsehkrimis aus der üblichen Retortenproduktion heißen so. Und dann läuft das Ding auch noch bei Sat.1. Was will man da erwarten? Eine weitere Romantic-Comedy?

Der Sender macht es den Zuschauern wirklich leicht, diese Produktion zu übersehen. Dabei wäre Ignoranz völlig fehl am Platze, denn hinter dem Allerweltstitel verbirgt sich ein Film, der so besonders ist, dass man schon tief in der Kino- und Fernsehgeschichte graben muss, um Vergleichbares zu finden.

„Mordkommission Berlin 1“ spielt in den 20er-Jahren in Berlin. Und – ganz wichtig – er zeigt diese 20er-Jahre in Berlin auch. Er schafft Atmosphäre, die so aussieht, riecht und klingt, als sei man wirklich 90 Jahre in der Zeit nach hinten gehüpft. Sehr offenbar haben in diese Produktion von Wiedemann & Berg sehr viele Menschen sehr viel Herzblut gelegt und sie damit zu einer Ausnahmeerscheinung im deutschen Fernsehen gemacht.

Als Hauptfigur agiert Kommissar Paul Lang, ein korrekt gekleideter Mann mit Manieren. Seine Ermittlungen führen ihn in die verruchten Klubs der Stadt, wo all das getan wird, was verboten ist. Prostitution, Drogenkonsum und Schutzgelderpressung sind dort an der Tagesordnung, und etliche Honoratioren sind mit an Bord. Lang möchte etwas dagegen tun, aber sein Freund, der Staatsanwalt ist dagegen. Das bisschen Unordnung könne man doch getrost übersehen, solange die Verhältnisse ansonsten im Zaum zu halten seien, meint er. Selbst der kaum getarnte Verbrecherverein „Die Krokodile“ sei keine Gefahr. Den habe man im Griff. Wie man sich irren kann.

Am nächsten Tag findet Lang seinen Freund tot wieder im blutrot gefärbten Becken der richtigen Krokodile im Zoo. Er macht sich auf die Jagd nach dem Täter. In Frage kommt für ihn aber nicht der offensichtlich verdächtige Gangsterboss Parkov, sondern Immanuel Tauss, der nach dem ersten Weltkrieg für Unruhe in Berlin sorgte, weil er als Veteran und Untergrundkämpfer seine eigenen Gesetze machte und dabei keinen noch so grausamen Mord scheute. Das einzige Problem: Tauss sitzt im Gefängnis.

Es beginnt das übliche Puzzlespiel, bei dem der Kommissar versucht, die ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsteilchen irgendwie zusammenzufügen, bei dem er lange irrt, bevor er schließlich auf die richtige Spur kommt.

Der Film lebt die 20er

Was klingt wie ein konventioneller Krimi, atmet bei „Mordkommission Berlin 1“ einen ganz anderen Geist. Es sind halt die 20er-Jahre, und genau das zeigt dieser Film auf großartige Weise. Er zeigt es nicht nur, er feiert diese wilde Zeit, als sich Berlin nach dem Krieg neu erfand und Regelbeachtung allenfalls eine Option war, mit Akribie und Sinn fürs Detail nach.

Regisseur Marvin Kren, der dieses Projekt nach einem Buch von Arndt Stüwe und Benjamin Hessler glanzvoll inszeniert hat, legt viel Wert auf Atmosphäre. Durchweg fängt er den Geist jener Tage ein, ob im Glitzerklub oder in tristen Lagerhallen. So etwas hat man lange nicht gesehen. Vor allem nicht im Fernsehen. Sofort werden Assoziationen wach zu Kinofilmen, zu „Cabaret“, zu den amerikanischen Mafiafilmen mit Pacino und de Niro, zum „Cotton Club“.

Dieser Film zeigt das nicht einfach nur, er lebt diese Zeit. Die Ausstattung hat Großartiges dazu geliefert, und die Jungs von der digitalen Postproduktion stehen den Kollegen in nichts nach. Hier werden die 20er-Jahre gefeiert, und sie sehen ziemlich attraktiv aus. Spontan möchte man mitfeiern, möchte auch dabei sein. Wäre „Mordkommission Berlin 1“ ein Kinofilm und trüge nicht einen solch bescheuerten Nichtssagetitel, man könnte glatt ein 20er-Jahre-Revival voraussagen.

Das hat auch zu tun mit den Figuren, die allesamt mit Liebe gezeichnet sind. Allen voran ist da Friedrich Mücke als Kommissar Lang zu nennen. Man kann Mücke kennen, wenn man etwa das vor zwei Jahren gestartete und schnell gescheiterte Erfurter „Tatort“-Team erlebt hat. In dem war Mücke ein Schatten seiner selbst, denn was er kann, zeigt er jetzt.

Er ist der gebrochene Ermittler, der an einer Wunde leidet, deren Nachschmerzen nur mit Morphium zu bändigen sind. Doch das mit der Droge weiß kaum jemand. Nach außen wahrt Kommissar Lang Fassade. Er ist der stets korrekt gekleidete Kommissar, der seine Untergebenen herablassend behandelt, denn sie können sich nicht mit seiner Auffassungsgabe messen. Lang ist ein großer Ermittler, gezeichnet nach einem realen Vorbild, nach einem Kommissar, der einst die Polizeiarbeit revolutionierte, weil plötzlich Tatortspuren wichtig wurden, weil er Pathologen zum genaueren Hinsehen animierte.

Keine abgenutzten Gesichter

Natürlich steckt da eine gehörige Portion Sherlock Holmes drin, aber das interessiert nur am Rande, denn der Film beschränkt sich nicht auf die Polizeiperspektive. Tobias Moretti spielt Immanuel Tauss, den Verbrecher im Gefängnis, der trotzdem die Strippen da draußen zieht. Moretti ist ein großartiger Verbrecher. Er spielt diesen Tauss als eingepferchtes Tier. Er spricht kaum, dafür redet sein Körper, schreit seine Mimik heraus, dass er etwas will, das ihn aufrecht hält im finsteren Verließ.

Die akkurate Besetzung, die offenbar sehr bewusst keine abgenutzten Gesichter zeigt und damit auf den Promibonus verzichtet, hört bei den beiden nicht auf. Es sind noch mehr Rollen, die im Gedächtnis bleiben. Zu nennen ist der grobschlächtige Gangsterboss Parkov, den Oliver Masucci („Er ist wieder da“) so spielt, dass man sofort Zigarrenqualm reicht, wenn man ihn sieht. Und dann muss natürlich auch der grandiose Frederick Lau genannt werden, der den gedemütigten Assistenten von Kommissar Lang spielt, nach einer Weile gegen den Chef ermittelt und eine wundersame Entdeckung macht. Wie Lau diesen Assistenten dahinnuschelt und damit seine Unzulänglichkeit darlegt, das offenbart große Klasse.

Mordkommission Berlin 1© Sat.1

Man könnte nun einwenden, dass der Film in der zweiten Hälfte die eine oder andere Länge hat, dass sich die Handlung während der zwei Nettostunden auch mal zieht, aber das sind Kinkerlitzchen im Vergleich zum Gesamtwerk, das sich speist aus vielen Anspielungen und Zitaten der Filmgeschichte. Für Cineasten ist es ein einziges Wiedersehensfest, das nicht nur im Klub gefeiert wird, sondern auch final im Berliner Abwassersystem, wo der dritte Mann schön grüßen lässt.

Selbst in schwachen Momenten wird dieser Film wieder hochgezogen von der exzellent eingesetzten Filmmusik, die so mächtig daherkommt, dass aus einem FilmFilm ein Breitwandfilm wird. So geht Kino.

„Mordkommission Berlin 1“ ist ein epochales Meisterwerk, eines das Furore machen würde, wenn es im Kino liefe. Gerne würde man das, was hier als Eventfilm präsentiert wird, auch als Serie sehen. Wenn mit dieser Akribie geschrieben, inszeniert und gespielt würde, könnte ganz Großes, gar Exportfähiges entstehen.

Vorher aber müsste das Publikum dieses Meisterwerk mal entdecken. Es lohnt sich, es ist gut. Auch wenn es bei Sat.1 läuft.

Sat.1 zeigt "Mordkomission Berlin 1" heute Abend um 20:15 Uhr.